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AFRIKA/1088: Südafrika - Schutz des Staates vor Recht auf Information (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, November/Dezember 2011

Schutz des Staates vor Recht auf Information
Umstrittenes Gesetz vom Parlament Südafrikas angenommen

von Hein Möllers


Es ist eines der umstrittensten Gesetzesvorlagen der jungen Demokratie in Südafrika - die "Protection of State Information Bill". Am 22. November 2011 hat sie die erste Hürde genommen. Das Parlament verabschiedete die Vorlage mit großer Mehrheit. Das Gesetz muss nun durch die Länderkammer und abschließend vom Staatspräsidenten gegengezeichnet werden. Die Kritik ist nicht leiser geworden. Die Gegner wollen weiter auf das gesetzgeberische Verfahren Einfluss nehmen und gegebenenfalls das Verfassungsgericht anrufen.


Am Morgen des 22. November dieses Jahres versammelten sich Hunderte von Menschen vor den Toren des Parlaments in Kapstadt. Sie begannen die Fahnen auf der Zugangsstraße auf Halbmast zu setzen. Bei der sechsten Flagge schritt die Polizei ein und sperrte die Flaggenallee mit Gittern ab. Sehr viele der Demonstranten waren schwarz gekleidet. Sie folgten damit dem Aufruf der Kampagne Right2Know, die zu einer landesweiten Mobilisierung gegen die Protection of State Information Bill (PoSIB), im Volksmund Security Bill, aufgerufen hatte.

Über diese Gesetzesvorlage sollte an diesem Tag im Parlament abgestimmt werden. Die Eröffnung erfolgte um 14 Uhr. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse gab es über den Ausgang keine Zweifel, zumal die Regierungspartei ANC Fraktionszwang verhängt hatte. Auch auf der Gästetribüne waren viele in schwarz erschienen. Sie erlebten eine kontroverse und emotionale Debatte, in der die Regierungsseite die Sicherheit des Staates betonte, während die Oppositionsparteien die Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit und des Rechts auf Zugang zu Informationen herausstrich.


Parlament stimmt zu

Während der erregten Debatte fragte die Oppositionsführerin im Parlament, Lindiwe Mazibuko von der Democratic Alliance (DA), mit Fingerzeig auf die Bänke des ANC: "Was werden Sie, die Abgeordneten auf dieser Seite des Hauses, eines Tages ihren Enkelkinder erzählen? Ich weiß. Sie werden davon berichten, dass Sie für die Freiheit gekämpft haben. Doch werden Sie ihnen auch sagen, dass Sie dazu beigetragen haben, diese Freiheit wieder zu zerstörten?" Der ANC gebe mit diesem Gesetz die Werte auf, für die er vor hundert Jahren angetreten sei. "Es kriminalisiert die Freiheit, für die viele unserer Menschen eingetreten sind."

Alle Redner und Rednerinnen der Opposition wiesen darauf hin, dass der Staat ein berechtigtes Interesse an seiner Sicherheit und der Verteidigung seiner verfassungsmäßigen Ordnung habe. Der zur Abstimmung stehende Gesetzesentwurf gehe aber weit darüber hinaus. Er gebe einen Freibrief an alle Behörden bis hinunter zu den Kommunalverwaltungen, Informationen unter Verschluss zu stellen und kritische Nachfragen zu Entscheidungen der Behörden, die keineswegs unter den Staatsschutz fallen, von vornherein zu unterbinden und zu kriminalisieren. Mit diesem Gesetz werde das Recht auf Information, wie es im Promotion of Access to Information Act (PAIA) festgeschrieben sei, beschnitten. Dieses Gesetz gilt international als eines der fortschrittlichsten, was das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Information anbetrifft.

Die Regierungspartei verteidigte das Gesetz. Sie warf der Opposition vor, es nicht gelesen zu haben. Luwellyn Landers, der Vorsitzende des ANC-Rechtsausschusses, sagte: "Unserer Erfahrung nach haben die meisten Opponenten des Entwurfs ihn nie gelesen. Die heutige Diskussion bestätigt das." Er warnte, dass bei einer Ablehnung das alte Gesetz in Kraft bleibe, das 1982 unter dem vorletzten Apartheid-Präsidenten P. W. Botha erlassen wurde.

Die Regierungsseite unterstrich, dass der Staat geeignete Rechtsinstrumente brauche, sich vor Spionage und Unterminierung auf den Gebieten Verteidigung, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu schützen. Und er müsse sich auch gegen zersetzende Berichterstattung und Verbreitung von Gerüchten, die die Staatssicherheit gefährden könnten, zur Wehr setzen.

Die Fraktionsgeschäftsstelle des ANC hatte am Morgen vor der parlamentarischen Lesung eine Mitteilung an die Presse verteilt, in der es hieß: Man interpretiere das Gesetz falsch, wenn man es auf Medien und Medienfreiheit beziehe. Es handele sich um ein Gesetz zum Schutze des Staates und sei mitnichten ein Mediengesetz.

Die Abstimmung fiel erwartungsgemäß eindeutig aus. 229 Abgeordnete stimmte für die Vorlage, 107 sagten "Nein". Von den Parlamentariern des ANC hatten sich 34 wegen Krankheit oder dringlicher Angelegenheiten entschuldigt. Ben Turok, einer der prominente Kritiker des Gesetzes im ANC und maßgeblicher Mitverfasser der Freiheitscharta von 1955, verließ den Plenarsaal unmittelbar vor der namentlichen Abstimmung. Die ANC-Abgeordnete Gloria Bormann enthielt sich als einzige aus dem Regierungslager der Stimme. Bormann wie Turok müssen - was ihnen im Vorhinein bekannt war - mit Disziplinarverfahren rechnen.


Das weitere Vorgehen

Mit der Abstimmung im Parlament hat das Gesetz die erste Hürde genommen. Es wurde an die Länderkammer, den National Council of Provinces, weitergeleitet. Stimmt diese zu, muss abschließend der Staatspräsident das Gesetz unterzeichnen, damit es in Kraft tritt.

Die Länderkammer hat einen Ad-hoc-Ausschuss zur Beratung des Mediengesetzes eingesetzt. Er besteht aus 15 Delegierten. Im Ausschuss verfügt der ANC über eine komfortable Mehrheit. Er stellt zehn Mitglieder, die Demokratische Allianz (DA) zwei und der Congress of the People (Cope), die Inkatha Freiheitspartei (IFP) und die Unabhängigen Demokraten (ID) jeweils ein Mitglied.

Der Ausschuss soll der Länderkammer am 8. April 2012 Bericht erstatten. Die Oppositionsparteien dringen auf die Aufnahme einer Klausel, die das Recht der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Staat betont.

Mit der Endunterzeichnung durch Staatspräsident Jacob Zuma kann frühestens gegen Ende des ersten Halbjahres 2012 gerechnet werden. Diese Zeitspanne wollen die Kritiker nutzen, um das Gesetz zumindest in den strittigsten Passagen zu überarbeiten und zu entschärfen.

Die Kritik kommt aus der Politik und der Zivilgesellschaft - Gewerkschaftsverbänden, Kirchen und Bündnissen wie Right2Know. Kritik kommt auch aus der Wirtschaft und selbstverständlich aus den Vertretungen der Medienmacher, dem Verlegerverband und den Journalistenorganisationen. Das Gesetz sei - wie es der Gewerkschaftsverband Fedusa (Federated Unions of SA) ausdrückte, ein Schritt zurück, auch wenn mit dem Gesetz von Botha gedroht werde, und widerlege den Anspruch der Regierung, sich Transparenz und Verantwortung zu verpflichten.


Breite Kritik

Im Ton sind die Kritiken unterschiedlich harsch gehalten. Manche verwerfen das Gesetz in Bausch und Bogen, andere halten eine überarbeitete Fassung für vertretbar. Relativ moderat fällt die Kritik des Nelson Mandela Centre on Memory aus. Es deckt die zentralen Mängel auf und zeigt damit mögliche Kompromisslinien auf. Es werden vier Zusätze bzw. Überarbeitungen gefordert, womit die fundamentale Intention des Gesetzes - nämlich der Schutz des Staates - nicht infrage gestellt würde. Die Zeit reiche noch, die Mängel des Gesetzes zu beheben. Ohne diese Zusätze aber seien "einige Aspekte des Gesetzes verfassungswidrig".

Die Kritik des Mandela Centre beginnt mit dem Hinweis auf den Widerspruch zwischen dem gerade vom Parlament verabschiedeten Gesetz PoSIB und PAIA, dem Gesetz zum freien Zugang zu Informationen. PoSIB müsse daher überarbeitet werden.

Das Mandela Centre zieht daraus den Schluss: Dem öffentlichen Interesse muss stärkeres Gewicht eingeräumt werden. Die Intention des PAIA habe Vorrang vor dem PoSIB. Entsprechende Paragraphen sind dahingehend neu zu formulieren. Lediglich klare Gesetzesverstöße und Informationen, die die nationale Sicherheit im eng gefassten Sinne tangieren, dürften strafrechtlich belangt werden.

Der Staat habe - heißt es weiter - ein genuines Sicherheitsinteresse. Das rechtfertige aber nicht, wie es das vorliegende Gesetz tue, Dokumente in großzügiger Weise und auch durch untergeordnete Behörden als geheim einzustufen, wenn das öffentliche Interesse an einer Aufdeckung das Interesse der nationalen Sicherheit überwiege. Der Prozess der Einstufung müsse transparenter erfolgen, als es das Gesetz vorsieht. Deshalb sei es auch unerlässlich, klare Grenzen für eine Einstufung zu ziehen. Wert legt das Centre auch darauf, dass eine automatische Aufhebung von Geheimhaltung wieder aufgenommen werde, wie es ein erster Entwurf von 2008 noch vorgesehen hatte.

Der Gewerkschaftsverband Cosatu moniert in erster Linie den Umgang mit Informanten. Wer aus Betrieben oder Behörden Hinweise z.B. auf Korruption gibt, muss mit drakonischen Strafen rechnen. Ähnliches gilt für Journalisten, die solchen Hinweisen nachgehen, recherchieren und sie veröffentlichen.

"Cosatu ist besorgt, weil relevante Bestimmungen des Gesetzes so weit gefasst sind, dass sie jede Interpretation zulassen." "Informanten müssen mit hohen Strafen rechnen, wenn sie Informationen von hohem öffentlichen Interesse weitergeben. Das Gesetz enthält eine ganze Reihe von Regelungen, die das Recht auf Information beschneiden." Problematisch sei vor allem, dass der Staat ermächtigt werde, selbst Bestimmungen auszuhebeln, die vom Parlament verabschiedet, aber mit dem neuen Gesetz nicht in Einklang zu bringen sind."

Der Gewerkschaftsverband, Partner in der Dreierallianz der Regierung, will notfalls vors Verfassungsgericht ziehen. Der andere Partner, die Kommunistische Partei SACP, steht hinter dem Gesetz. Vorerst aber setzt Cosatu auf die Länderkammer und letztlich auf den Präsident Jacob Zuma. "Wir appellieren an den Präsidenten, das Gesetz nicht zu unterzeichnen. Wir hoffen auch, dass der Nationalrat der Provinzen noch wichtige Änderungen vornimmt. Wenn alles schief geht, bleibt uns nur der Weg zum Verfassungsgericht", sagte Generalsekretär Zwelinzima Vavi in einer öffentlichen Erklärung.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 6, November/Dezember 2011, S. 8 - 9
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2012