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AFRIKA/1095: Kongo-Kinshasa - Ein Land auf der Suche nach der Kultur des Lebens (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, November/Dezember 2011

Eigene Zukunft erfinden
Kongo-Kinshasa: Ein Land auf der Suche nach der Kultur des Lebens

von Muepu Muamba


Die Wahlen sind gerade gelaufen in der Demokratischen Republik Kongo. Dass sie überhaupt stattgefunden haben, ist schon ein Sieg, ungeachtet der Wahlergebnisse, der Zusammenstöße und der Proteste, die sie begleiteten. Bei den letzten Wahlen 2006 hat man die Kongolesen in Trance versetzt. Die Versprechungen konnten unmöglich eingehalten werden.

Dieses Jahr haben die Koryphäen der kongolesischen Politik wieder diesen Stil fortgesetzt und riskiert, dass sie bei der Bevölkerung eine Allergie gegen Wahlen auslösen, wie es bei den Bürgern der "real existierenden Demokratien" der Fall ist, wo die Mehrheit nicht einmal ihre Stimme abgibt. Das ist aber glücklicherweise im Kongo noch nicht geschehen. Die Kongolesen sind auch dieses Mal zahlreich zur Wahl gegangen. Sie demonstrierten somit ihren Willen, an der Gestaltung ihres Landes aktiv teilzunehmen.

Doch die politische Klasse im Kongo ist offensichtlich nicht auf dem Niveau dieser Bevölkerung. Aber sind wir mit solchen Gedanken eigentlich nicht unrealistisch? Wie können wir von Zwergen mit Bonsai-Visionen erwarten, dass sie zu Riesen werden, die die Karre aus dem Dreck ziehen und die Würde der Bürger mit der Bevölkerung zusammen wiederherstellen?

Man könnte so sagen: Bei diesen Wahlen standen sich der junge Kabila und sein "Großvater" Tshisekedi gegenüber. Etienne Tshisekedi ist eine erfahrene, bekannte Persönlichkeit der kongolesischen Politik. Er betrat diese Szene bereits bei der Unabhängigkeit des Landes 1961 und somit ist er eine historische Gestalt. Historisch ist er auch aus einem anderen Grund: Tshisekedi war einer der 13 Parlamentarier, die sich am Anfang der 80er Jahre in einem offenen Brief gegen das Mobutu-Regime gestellt haben. Diese Aktion führte zur ersten kongolesischen Oppositionspartei: der Union pour la démocratie et le progrès social - die "Union für Demokratie und sozialen Fortschritt" (UDPS).

Man kann die jetzigen Wahlen auch so sehen: Sie finden im Grunde genommen zwischen zwei Generationen statt. Auf der einen Seite sind Kengo wa Ndondo und Tshisekedi wa Mulumba und auf der anderen Seite Joseph Kabila und Vital Kamerhe. Langsam übernimmt eine neue Generation das Ruder. Wird sie besser sein als die vorherige? Warten wir es ab, beurteilen wir sie nach ihren Taten! Die Kongolesen sind dabei, den Weg in Richtung Demokratie einzuschlagen.

Der Aufbau einer echten Demokratie ist keine leichte Sache. Indien und die USA sind herausragende und erhellende Beispiele dafür. Es geht schließlich darum, eine Nation zu bauen, es geht aber auch um den Aufbau der Einheit Afrikas. Doch die politischen Parteien scheinen außer Wahlen nichts anzubieten und vergessen völlig, was nach der Stimmabgabe geschehen soll.

Der Wahlprozess in der DR Kongo ist sicher von Manipulationen beeinträchtigt worden. Es gab Gewalt, es gab Tote. Und es wird wahrscheinlich weitere geben. Für ein Land, das aus Betrug und Gewalt geboren ist, ist das im Übrigen leider "normal". Es hätte eines echten Wunders bedurft, damit die Dinge anders verlaufen. Die weitere Entwicklung der Situation wird von der Verantwortung der politischen Klasse und von dem Niveau des politischen Bewusstseins der Bevölkerung abhängen.

Die Kongolesen wissen, dass ihre Zukunft und die ihrer Kinder nur durch ihre eigenen Hände gebaut werden kann. Die Kongolesen wollen Frieden, um ihre Zukunft zu gestalten. Und es wird ihnen bis heute Krieg geboten.


Im Zeichen der Gewalt geboren

Was die Gewalt betrifft: Wir mussten 2010 feststellen, dass anlässlich des 125. Jahrestages der Berliner Konferenz kein einziger Staat, der damals an diesem beschämenden Akt teilgenommen hat, irgendeine offizielle Zeremonie oder ein Treffen von Intellektuellen organisiert hat, um an dieses so wichtige historische Ereignis im Leben der Afrikaner zu erinnern und darüber zu diskutieren. In Berlin selbst gab es keine offizielle Stelle, die die Initiative ergriffen hat, um dem afrikanischen Kontinent ihr Bedauern auszudrücken und sich zu entschuldigen. Und das stand im scharfen Kontrast zu den Feierlichkeiten, die anlässlich des Falls der Berliner Mauer begangen worden sind. Lediglich einige zivilgesellschaftliche Organisationen haben ihre Stimme erhoben, um die gleichgültigen Berliner an dieses ehrlose Datum zu erinnern, das mit dem Namen ihrer Stadt verbunden ist.

Gerade diese Missachtung eines ganzen Kontinents, diese Verweigerung der Menschenwürde, diese niederträchtige Behandlung der afrikanischen Erde durch die vertragsunterzeichnenden Mächte in Berlin begründete den Nährboden, auf dem sich die Geschichte Afrikas seit dem 19. Jahrhundert bis in unsere Tage zugetragen hat.

Diese Kultur des Todes "formatierte" die neue, moderne afrikanische Elite in ihren Beziehungen untereinander und zu den Völkern des Kontinents. In dieser Beziehung ist die Geschichte der "Demokratischen" Republik Kongo beispielhaft: Es ist ein Land, das im Zeichen der Gewalt und des Betrugs geboren ist!

Die Kongolesen wurden schon damals in Berlin globalisiert: mit Haut und Haaren und mit ihrem gesamten Hab und Gut; durch einen einzigen Federstrich, ohne dass sie davon wussten. Diese erste Globalisierung ist der Grund für den aktuellen Umgang der berühmt berüchtigten "internationalen Staatengemeinschaft" mit diesem Land.

Wie sonst erklärt es sich, dass gewisse Berichte, die von der UNO angeordnet und von deren eigenen Experten redigiert worden sind, niemals publiziert wurden? Wie ist sonst diese Toleranz von Seiten der "internationalen Staatengemeinschaft" gegenüber den Plünderungen erklärbar, denen die DR Kongo seit Jahren ausgesetzt ist?

Der Gewaltakt der Berliner Konferenz lieferte dieses afrikanische Land an den belgischen König Leopold II. aus. Die Gewalt von Leopold dem II. lieferte Kongo an die Gewalt des Belgischen Staates aus, und die Gewalt von Belgien und dessen Verbündeten lieferte das Land an die Gewalt der neuen kongolesischen Elite aus, die bis heute andauert. Diese kontinuierliche Gewalt offenbarte sich auch Ende der 50er Jahre, als die junge kongolesische Demokratie durch die "westlichen Demokratien" im Keim erstickt wurde, gefolgt von einer mehr als 30jährigen brutalen und zerstörerischen Diktatur Mobutus, unterstützt durch die gleichen "Demokratien".

Alle diese Gewalttätigkeiten wirkten auf die Bildung einer neuen kongolesischen Elite, meist durch die Vermittlung von Missionaren und der belgischen Administration. Diese Elite studierte nicht, um sich in den Dienst der Bevölkerung zu stellen, sondern, um von den Privilegien zu profitieren. Ihre Träume sind teure Autos und luxuriöse Villen. Vor diesem Hintergrund muss man die Verirrungen und das Schicksal des Kongo verstehen. Ich bestehe darauf, dass man sich dem Problem Demokratie in diesem Land mit solch einem Schicksal auf diese Weise nähert. Wenn man über die Zukunft von Kongo-Kinshasa nachdenkt, muss man immer diese schreckliche und schmerzhafte Vergangenheit vor Augen haben.


Kultur des Lebens statt des Todes

Gegen diese Kultur des Todes kämpfen die Kongolesen seit mehr als 50 Jahren, damit sie sich die Kultur des Lebens wieder aneignen können. Ich bezeichne als Kultur des Todes auch diese neuartige Beziehung, die wir zu den Dingen haben. Wir Kongolesen sind neuerdings nicht mehr mit den Dingen - wie man das in einigen Sprachen in Afrika ausdrückt (das Wort haben gebraucht man gar nicht, man ist mit den anderen und den Dingen, weil vor allem auf das Sein Wert gelegt wird) - sondern wir besitzen die Dinge. Vielmehr: sie besitzen uns!

Sie definieren uns, weil sie in unser Wesen bereits integriert sind, sie reichen bis in die Tiefen unserer Identität. Vom Besitzverhältnis zu den Objekten zum Besitzen eines menschlichen Wesens ist es nur ein kleiner Schritt, der schnell geschehen kann. Wir sind dann nicht mehr mit den Menschen, da sie für uns nur zu bloßen Objekten degradiert werden, die wir nach Belieben manipulieren können.

Die neue kongolesische Demokratie muss sich einigen Herausforderungen stellen: darunter vor allem dem Respekt vor der Unverletzlichkeit des Lebens und der Erde. Eine riesige Herausforderung, eine herkulische Aufgabe in einem Land, wo die Menschen und die Erde seit mehr als einem Jahrhundert der Ausbeutung der reichen Rohstoffreserven geopfert werden.

Und trotzdem: Die Quintessenz der Demokratie liegt in diesen Herausforderungen. Es ist unerlässlich, dass die kongolesische Elite von heute den Respekt des Lebens und der Erde wieder lernt, wenn sie eine gerechte menschliche Gesellschaft aufbauen will. Sie soll den Dialog wieder entdecken, das afrikanische Palaver wieder lernen.

Auf diesem steinigen Weg in Richtung Demokratie muss die kongolesische Nation noch wichtige Fragen beantworten: Wie sollten eine Polizei, eine Armee und eine Verwaltung reformiert werden, die ursprünglich geschaffen worden sind, um die koloniale Ordnung abzusichern, gegen die Interessen der Bevölkerung? Bis zum heutigen Tage funktionieren diese Institutionen immer noch nach der kolonialen Ideologie. Wie könnten sie jetzt in den Dienst der kongolesischen Bevölkerung gestellt werden?

Die Wahlen allein können keine Lösung bringen. Es bedarf des Engagements und der aktiven Teilnahme der gesamten kongolesischen Bevölkerung, um diese großen Herausforderungen zu bewältigen. Es ist notwendig, dass alle - die politische Klasse, die Kirchen, die Zivilgesellschaft, die gesamte Bevölkerung - eine klare Vision haben und diese formulieren. Ohne eine effektive Transformation unserer mentalen Einstellungen, Aktionen und unserer genannten Institutionen gibt es keine echte Demokratie.

Die Kongolesen müssen mit offenen Geist in Richtung Demokratie schreiten: nüchtern und immer genau hinterfragend. Sie sollen niemandem blind vertrauen. Man hat uns während dieser 50 Jahre zu viel belogen. Wir wollen keine Politiker, die mal dieses, mal das Gegenteil sagen. Wir wollen Politiker, die Pro-Kongolesen sind. Eine politische Elite, der die Interessen der kongolesischen Bevölkerung am Herzen liegt. Und nicht eine politische Klasse, die um nichts anderes kämpft, als an die Macht zu kommen, um von den Pfründen zu profitieren.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss man eine wirklich starke Zivilgesellschaft schaffen, die nicht nur eigene politische Ambitionen hat und nach politischen Posten schielt, sondern die sich nicht von den Politikern einlullen lässt. Eine Zivilgesellschaft mit einem geschärften politischen Bewusstsein im Dienst ihres Landes und der Bevölkerung.

Wir brauchen eine freie und verantwortungsvolle Presse. Nicht eine anbiedernde in Komplizenschaft und Einverständnis mit ihrem Herrn, die nichts anderes im Sinn hat als die Interessen der Machthaber zu schützen, wie es in einigen Ländern üblich ist.

Eine große Herausforderung ist auch die Respektierung der Institutionen, die sich die Kongolesen selbst geschaffen haben. Man kann in diesem Zusammenhang auch feststellen, dass die Änderung der Verfassung durch die bisher amtierende Regierung ohne vorherige Konsultationen der Opposition und ohne deren Zustimmung keine erfreuliche Sache war. Das sind schwerwiegende Fehler, eine Hypothek auf die Zukunft des Landes. Sie wirft Fragen über den Respekt der Politik gegenüber dem Lande und der Bevölkerung auf.

Wir brauchen Institutionen für eine unabhängige Gerichtsbarkeit, die von der politischen Klasse in ihrer Gesamtheit voll respektiert werden: Institutionen, die von Frauen und Männern mit soliden Überzeugungen getragen werden, die fähig sind, ihre Unabhängigkeit mit Entschlossenheit und ohne Kompromisse zu verteidigen.

Kein einziges Land, kein einziges Volk konnte alle diese Herausforderungen an einem Tag bewältigen. Kongo-Kinshasa wird auch keine Ausnahme von dieser Regel sein bei der "Nationbuilding". Das ist ein Kampf, den ein Volk unablässig führt.


Wahlen bedeutet nicht gleich Demokratie

Wahlen mit Demokratie gleichzusetzen, stimmt nicht einmal zur Hälfte. Die Demokratie ist eine Art zu leben, ein langfristiger Prozess. Man kann es in einigen Ländern Lateinamerikas beobachten, ein Boden grausamer Diktaturen, wo mit "nach Maß geschneiderten Demokratien" geherrscht wird. Man trifft das gleiche Phänomen auch in Afrika seit einigen Jahren: in Burkina Faso, in Kamerun, Gabon, Congo-Brazzaville, usw. Im diesen Ländern half das "demokratische" Frankreich ein wenig nach, um demokratisch die Wahlen zu manipulieren.

Schließlich müssen - über all die Slogans und das Wahlgeschrei hinweg - die Kongolesen und ihren Eliten eine Antwort finden: Welche Gesellschaft wollen sie aufbauen? Eine fundamental wichtige Frage. Vor allem in diesem Moment, wo fast alle Völker auf unserem Planeten zwischen Mut, Zweifel, Angst und Bangen schwanken. In diesen Zeiten, wo man mehr auf die Zahl der Wähler achtet als auf die Wahlresultate.

Die kongolesische Demokratie entwickelt sich nicht auf einer verlassenen Insel in entlegenen Galaxien. Sie baut sich auf unserem Planeten auf, der von Betrug, von Ungerechtigkeit, von Waffen und von der Gewalt dominiert wird. Sie entwickelt sich in der Region der Großen Seen in Afrika, wo die Kultur des Todes den Geist prägt. Es ist illusorisch zu glauben, dass Kongo allein den Weg der Demokratie beschreiten kann: nur gemeinsam mit seinen Nachbarn wird es möglich sein!

Wir müssen unsere eigene Zukunft erfinden! Eine Herausforderung, die schon Frantz Fanon in den 60er Jahren an die afrikanische Elite gerichtet hat: "Wenn wir Afrika zu einem neuen Westen umgestalten wollen, dann sollten wir die Schicksale unserer Länder dem Westen anvertrauen. Sie werden das besser machen als die Talentiertesten unter uns. Wenn wir aber wollen, dass die Menschheit nur einen Millimeter vorwärts geht, wenn wir sie auf ein anderes Niveau heben wollen, als der Westen das getan hat, dann müssen wir erfinden, dann müssen wir entdecken."


Der Autor ist Schriftsteller und Journalist im Exil

Übersetzung aus dem Französischen: Maria Kohlert-Németh


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Wahlen im Kongo - Opera buffa oder Trauerspiel

Für den November waren in der Demokratischen Republik Kongo Parlaments- und Präsidentschaftswahlen angesetzt. Um die 500 Sitze im Parlament bewarben sich mehr als 18.000 Kandidaten. Die Wahllisten hatten Buchumfang von 59 Seiten - für die Wählerinnen und Wähler, unter denen viele nicht Lesen und schreiben konnten, kein leichtes Unterfangen. Die Parteien fallen kaum durch programmatische Erklärungen auf. Sie fungieren überwiegend als Wahlvereine. Das Ergebnis der Parlamentswahlen soll im Januar bekannt gegeben werden.

Da die DR Kongo von der Verfassung her eine Präsidialdemokratie ist, waren für die Gestaltung der zukünftigen Politik die Präsidentschaftswahlen entscheidend. Der Präsident bildet die Regierung, gibt die politischen Richtlinien vor und verfügt über große Entscheidungsfreiheiten in militärischen und sicherheitspolitischen Belangen. Um das Präsidentenamt bemühten sich elf Kandidaten, lediglich drei konnten sich nennenswerte Stimmen ausrechnen: Joseph Kabila, Etienne Tshisekedi und Vital Kamerhe.

Der bisherige Staatspräsident Joseph Kabila - heute 40 Jahre alt - bewarb sich um eine weitere Amtsperiode. Er begann seine politische Laufbahn 2001 nach der Ermordung seines Vaters im Januar 2001. Er erlangte schnell zumindest die Duldung seiner umstrittenen Nachfolge und gewann bald auch internationale Anerkennung, vor allem von den USA und der EU, nicht zuletzt weil er den Krieg mit Ruanda und Uganda zumindest vertraglich beenden konnte. Kabila ist bis heute der Favorit von USA und EU.

In der Übergangszeit wurde unter Federführung Kabilas eine neue Verfassung erarbeitet und in einem Referendum bestätigt. Die Wahlen 2006 konnte er für sich entscheiden. Sie fanden unter starker militärischer Präsenz europäischer Truppen statt.

Kabilas wichtigster Herausforderer Etienne Tshisekedi ist ein politisches Urgestein. Der 79-jährige Jurist erlangte als erster Kongolese in seiner Zunft den Doktorgrad. Die belgischen Kolonialherren versuchten, nach Möglichkeit eine Qualifikation von Einheimischen zu unterbinden.

Er schloss sich 1958 der Partei des Staatsgründers Patrice Lumumba an, diente dann nach dem Putsch Mobutus 1965 als Minister in mehreren Kabinetten. Seit 1979 trat er als Kritiker des Regimes hervor und wurde mehrfach verhaftet. 1982 gründete er mit anderen die zunächst illegale Union für Demokratie und sozialen Fortschritt UDPS, als deren Kandidat er bei den diesjährigen Wahlen antrat.

Hohe Anerkennung gewann Tshisekedi 1990, als sich Mobutu auf internationalem Druck hin gezwungen sah, ein Mehrparteiensystem zuzulassen und Tshisekedi als Premier hinzunehmen. Es begann ein vielversprechender Prozess, die Krisen im Lande in eigener Regie zu lösen. Er endete jedoch 1993. Mobutu war - nicht zuletzt mit Hilfe Frankreichs - auf internationalem Parkett wieder hoffähig geworden. Tshisekedi wurde gefeuert.

Unter Laurent Kabila mehrfach inhaftiert, ging er 1999 ins Exil. Er verwarf den Volksentscheid über die Verfassung, da seiner Ansicht nach die Voraussetzungen im immer noch von Kriegen heimgesuchten Land nicht gegeben waren. An den Wahlen von 2006 nahm er deshalb nicht teil und rief seine Anhänger zum Boykott auf. Der dritte nennenswerte Kandidat und Herausforderer Kabilas, Vital Kamerhe, kommt aus dem Lager Kabilas. Der 52-Jährige begann seine politische Laufbahn 1984 zwar in der UDPS und diente in den 1990er Jahren unter verschiedenen Premiers, den Sprung in Spitzenämter schaffte er aber unter Laurent Kabila. Als Gründungsmitglied (2002) und Generalsekretär (2004) der PPRD unterstützte Kamerhe die Wahlkampagne Kabilas und galt als Drahtzieher im Hintergrund. Nach einer öffentlichen Kritik an seinem Chef wurde er 2009 gefeuert und gründete 2010 die Union der kongolesischen Nation UNC, als deren Kandidat er bei den Wahlen antrat.

Joseph Kabila hat in seiner ersten Amtsperiode keines der Probleme des Landes angepackt. Er musste mit einen herben Stimmenverlust rechnen. Um gegen eine möglicherweise geeinte Opposition bestehen zu können, änderte er die Verfassung dahin, dass ein Kandidat mit einfacher Mehrheit gewählt ist und sich keiner Stichwahl stellen muss. Gegen mögliche Wahlanfechtungen wappnete er sich, indem er das Gericht mit Getreuen erweiterte, die nun mindestens eine Zweidrittelmehrheit haben.

Während des Wahlkampfes kam es zu Behinderungen und Übergriffen gegen Opponenten. Die Staatsmedien beherrschten die Themen, der Opposition nahe stehende Radiosender wurden geschlossen.

Die Wahlen mussten wegen mangelnder Organisation um zwei Tage verlängert werden, da Unterlagen fehlten. Zahlreiche Betrugsvorwürfe wurden bekannt. Es gab bei Öffnung der Lokale bereits gefüllte Urnen, in anderen Bezirken übertraf die Zahl der abgegebenen Stimmen die der registrierten Wähler. Die Auszählung erfolgte so chaotisch wie die Wahl. Die Kommission verwarf Stimmen als ungültig, bestätigte andere zweifelhafte Abgaben, ohne dass - wie internationale Beobachter meldeten - klar wurde, nach welchen Kriterien die Entscheidungen getroffen wurden. Die Bekanntgabe des Ergebnisses wurde mehrfach verschoben. Sie lautete schließlich für Kabila 48,95, Tshisekedi 32,33 und Kamerhe 7,74 Prozent.

Beobachter nannten das Ergebnis als unhaltbar und bestätigten den Wahlen einen "Mangel an Glaubwürdigkeit" (Carter-Zentrum). Trotzdem zeichnet sich ab, dass westliche wie zahlreiche afrikanische Regierungen zur Anerkennung eines vorgeblichen Wahlsieges Kabilas neigen. Sie wollen Ruhe im Kongo. Der südafrikanische Staatspräsident Jacob Zuma sah im Wahlgang einen "Anlass zum Feiern". Das Oberste Gericht in Kinshasa hat nachgelegt und das Ergebnis erwartungsgemäß bestätigt.
Hmoll


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 6, November/Dezember 2011, S. 28 - 30
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2012