Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/1191: Somalia - Rehabilitierung, zweite Chance für ehemalige Al-Shabaab-Kämpfer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Mai 2013

Somalia: Zweite Chance für ehemalige Al-Shabaab-Kämpfer - Regierung setzt auf Rehabilitierung

von Muhyadin Ahmed Roble


Bild: © Abdurrahman Warsameh/IPS

Frühere Kämpfer der Miliz Al-Shabaab
Bild: © Abdurrahman Warsameh/IPS

Mogadischu, 10. Mai (IPS) - Mit 18 Jahren sollte Farah Osman eigentlich noch kein kriegserfahrener Soldat sein. In den vergangenen sieben Jahren hatte er auf der Seite der somalischen Extremistengruppe Al-Shabaab gekämpft. Jetzt ist Osman jedoch ein Deserteur. Gemeinsam mit etwa 800 ehemaligen jungen Kämpfern hält er sich derzeit im Sarendi-Rehabilitationszentrum in Mogadischu auf. Der schlanke, hochgewachsene Teenager will in die Gesellschaft zurückkehren und künftig in der Armee dienen.

Wann genau er von den Milizionären rekrutiert wurde, die mit dem Terrornetzwerk Al Qaeda in Verbindung stehen, weiß er nicht mehr. Es muss Ende 2006 gewesen sein, als die von den USA unterstützten äthiopischen Truppen in Somalia einmarschierten und eine Übergangsregierung installierten. Osman befand sich an einem heißen Tag auf dem Heimweg von der Schule, als ihn ein früherer Religionslehrer ansprach und ihn zu einem Stützpunkt der Al-Shabaab mitnahm.

Osman wartete mit anderen Jungen unter einem Baum, bis sein Lehrer mit einer Gruppe Männer und Flaschen mit Mineralwasser zurückkehrte. Prediger erklärten den Kindern über Stunden, was es mit dem Heiligen Krieg und der Feindschaft mit Äthiopien auf sich hatte. In jenem Jahr wurde Osman elf. "Der Himmel, Geld und Ruhm waren überzeugende Argumente", weiß er heute. "Ihren Versprechen konnte man nicht widerstehen. Jeder von uns war sofort bereit, sein Leben für Religion und Vaterland zu opfern."

Osmans Ausbilder waren allesamt Somalier gewesen. Unter ihnen war Adan Hashi Farah 'Eyrow', Kriegsveteran und Gründer von Al-Shabaab, des bewaffneten Arms der somalischen Dachorganisation Union Islamischer Gerichte. Farah wurde im Mai 2008 bei einem US-Luftangriff auf sein Haus in Dhuusomareeb im Zentrum Somalias getötet.


Ein Handy und die Aussicht aufs Paradies

"Sie bieten dir ein Mobiltelefon und einen Monatslohn von 50 US-Dollar an", sagt Osman. Er habe sich der Truppe aber noch aus anderen Gründen angeschlossen. "Ich wollte ein mächtiger und respektierter Mann werden. Und zu der Zeit nahmen die Menschen nur einen Mann mit einer Waffe ernst."

Fünf Jahre lang Osman zog durch kriegszerstörte Gebäude in Mogadischu, Wälder nahe der Grenze zu Kenia und den Süden des Landes, um äthiopische Soldaten und afrikanische Friedenshüter aufzuspüren und zu töten. Sie handelten immer in dem festen Glauben, im Fall ihres Todes ins Himmelreich zu kommen.

Doch im Oktober 2011 verübte Al-Shaabab einen Selbstmordanschlag auf das Bildungsministerium in Mogadischu, bei dem mehr als 70 Menschen ums Leben kamen. Die meisten Opfer waren Studenten. "In dem Augenblick wurde mir klar, dass die Al-Shabaab nicht aus religiösen Gründen Krieg führte", sagt Osman.

Der Teenager ist nicht der erste und letzte Kämpfer, der die Organisation verlässt. Hunderte militante Islamisten im ganzen Land haben ihre Waffen abgeliefert und sich ergeben, nachdem ihnen die Regierung 2010 eine Amnestie und eine bessere Zukunft in Aussicht stellte.

Al-Shabaab steckt in finanziellen Schwierigkeiten, seitdem die Gefechte an mehreren Fronten geführt werden und die Extremisten strategisch wichtige Städte im Land verloren haben. Daher wird erwartet, dass noch mehr Mitglieder der Gruppe den Kampf aufgeben.

An einem Septembertag im Jahr 2012 legten rund 250 Al-Shabaab-Kämpfer in der Stadt Jowhar etwa 80 Kilometer von Mogadischu entfernt ihre Waffen nieder. Dies war die bisher größte Gruppe, die sich an einem einzigen Tag der somalischen Armee und der 'African Union Mission' in dem Land ergab.

Geheimdienstchef Khalif Ahmed Ereg berichtet von einem sprunghaften Anstieg der Zahl der Al-Shabaab-Deserteure. Diese werden zunächst vom Geheimdienst NISA überprüft, bevor sie in Rehabilitierungsprogramme aufgenommen werden.


'Falsche' Deserteure infiltrieren Streitkräfte

Die Kontrollverfahren sind allerdings auf Kritik gestoßen, da viele Deserteure nach wie vor enge Verbindungen zu extremistischen Kreisen unterhalten. Ibrahim Sheikh Hassan, ehemals Professor für Politikwissenschaften an der Universität von Mogadischu, bezeichnete die Überprüfungen durch NISA als lasch und unzureichend. Dies ermögliche der Al-Shabaab, eigene Leute gezielt in die Streitkräfte einzuschleusen.

NISA weist allerdings Vorwürfe zurück, wonach zahlreiche Anschläge in der vergangenen Zeit auf das Konto solcher falschen Deserteure gegangen seien. Im Januar wollte jedoch ein Al-Shabaab-Mitglied, das sich öffentlich von der Gruppe distanziert hatte, ein Selbstmordattentat auf den somalischen Regierungschef verüben. Ein Armeesoldat starb, weitere wurden verletzt.

Ministerpräsident Abdi Farah Shirdoon will die Rehabilitierungsmaßnahmen für ehemalige Kämpfer verstärken. Im März kündigte er an, nach dem im März 2012 eröffneten Sarendi-Zentrum noch zehn weitere Unterkünfte für ehemalige Al-Shabaab-Mitglieder einzurichten. Nach Auskunft eines Regierungsbeamten halten sich zurzeit noch etwa 800 Deserteure im Zentrum und im Süden Somalias auf. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://amisom-au.org/
http://www.ipsnews.net/2013/05/giving-extremists-a-second-chance/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. Mai 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2013