Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/1288: Südafrika - Nach der Wahl Beginn einer neuen politischen Ära? (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2014

Nach der Wahl Beginn einer neuen politischen Ära?

von Rita Schäfer



Die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Südafrika bestimmen nicht nur das Parteiengefüge in den nächsten vier Jahren. Vielmehr fordern sie dazu auf, über 20 Jahre Demokratie zu reflektieren und Zukunftsprognosen zu wagen.


Politische Analysten ordnen die Wahlergebnisse in größere Zusammenhänge ein. Sie nutzen Kolumnen in der Tagespresse, elektronische Plattformen und Blogs. Besonders aufschlussreich sind öffentliche Diskussionsrunden, dazu kamen kürzlich drei namhafte politische Experten auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin zusammen. Prince Mashele, Direktor des Centre for Politics and Research in Pretoria, Prof. Raymond Suttner von der Universität Grahamstown und Kay Sexwale, die als unabhängige politische Kommentatorin tätig ist.


Einfordern der Verfassung

Kay Sexwale, die auch als ausgewiesene Gender-Expertin gilt und sich für die Umsetzung der Verfassung einsetzt, erläuterte zunächst die Widersprüche zwischen Verfassungsinhalten und Rechtsauslegung. Diese Divergenzen würden Probleme verursachen, die in den letzten Jahren wiederholt politische Auswirkungen hatten, wie auch der Wahlkampf zeigte. Als Beispiel nannte sie den Korruptionsskandal im Zusammenhang mit der Veruntreuung von Geldern und der unzureichenden Auslieferung von Schulbüchern in den Provinzen Mpumalanga und Limpopo. Sexwale lobte diesbezüglich die couragierte Arbeit von Menschenrechtsorganisationen, die gegen solche Missstände juristisch vorgehen und das Recht auf Bildung auch vordem Verfassungsgericht einfordern. An einem weiteren Beispiel belegte sie ihren Standpunkt, dass die Menschen in Südafrika weder im Wahlkampf noch im Alltag uninformiert und manipulierbar seien und demokratisches Handeln sich keineswegs auf den Urnengang beschränke.

Anerkennend berichtete Sexwale von Witwen in früheren Homelands, die nach dem so genannten "Customary Law" verheiratet worden waren und unter Bezug auf die Verfassung von 1996 Verwandten ihres Mannes, die sie enterbten, Einhalt geboten. Obwohl sie Analphabetinnen waren, traten die Witwen als Staatsbürgerinnen auf. Als Gender-Expertin unterstrich Sexwale, wie wichtig die Verhinderung des Traditional Courts Bills durch die Alliance for Rural Democracy war (afrika süd berichtete), sonst wären diese Frauen faktisch wieder rechtsunmündig geworden. Darüber hinaus gab die Verfechterin für die südafrikanische Verfassung zu bedenken, dass die Justiz und das Verfassungsgericht schon jetzt geschwächt sind, was hinsichtlich zukünftiger juristischer Forderungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen fatal sei.

Mit Blick auf die Parteienlandschaft äußerte sich Sexwale kritisch. Sie prangerte die Patronage an, die insbesondere in der Regierungspartei African National Congress (ANC) verbreitet sei. Viele Bürgerinnen und Bürger würden das selbstgerechte Anspruchsdenken von ANC-Vertretern verachten; dennoch würden etliche hoffen, dass der ANC reformfähig sei. Die Helden von gestern seien die Ursache heutiger Probleme, resümierte Sexwale. Darüber hinaus bemängelte sie frauenfeindliche und autoritäre Einstellungen, die trotz der vorbildlichen Geschlechterpolitik nicht nur im ANC verbreitet seien. Mit Blick auf die Oppositionsparteien unterstrich Sexwale, die Democratic Alliance sei für viele Stimmberechtigte wegen der wiederholten rassistischen Äußerungen der DA-Vorsitzenden Helen Zille nicht wählbar. Selbst im Wahlkampf und nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse hätte Zille abtrünnige Mitstreiterinnen mit rassistischen Kommentaren beleidigt.


Grundsatzkritik am ANC

Prince Mashele, derzeit einer der renommiertesten politischen Kommentatoren in Südafrika, teilte Sexwales Kritik am Rassismus und den Führungsstrukturen in der DA. Er ergänzte, Rassismus sei noch immer Ursache für Trennlinien in der Politik. Mit Blick auf die Parteistrukturen postulierte er im Unterschied zu Sexwale, der ANC sei irreparabel geschädigt. Seiner Meinung nach ist das Fehlverhalten Präsident Zumas das Resultat gewachsener und tiefer Strukturprobleme. Zwar habe der ANC im Unterschied zu den anderen Parteien im ganze Land Ortsvereine und damit sei eine wichtige Grundlage für demokratische Mitbestimmung innerhalb der Partei gegeben, dennoch würden Mitglieder an der Basis von nationalen Debatten ausgeschlossen. Politisch wichtige Entscheidungen würde nur eine sehr gut informierte und wohl situierte urbane Elite treffen. Dieser Mechanismus wird sich laut Mashele ebenso in der kommenden Legislaturperiode fortsetzen wie die Tatsache, dass die Parlamentarier über Listenplätze ihre Mandate erhalten und der Wählerschaft kaum bekannt sind.

Dies schlage sich in der Jugend- und Bildungspolitik nieder. So bezeichnete Mashele Wahlkampfäußerungen von Politikern zum großen Stellenwert der Bildung als reine Lippenbekenntnisse. Seiner Meinung nach hat Bildung trotz des hohen Bildungsetats von nahezu 20 Prozent eigentlich keine Priorität. Politiker würden ihre Kinder zu teuren Privatschulen schicken, anstatt die staatlichen Bildungseinrichtungen zu sanieren. Mashele bemängelte, dass gezielte Investitionen in guten Unterricht und eine Kultur des Lernens fehlen würden. Zum Beleg nannte er einige Fakten: 2001 wurden 1,2 Millionen Kinder eingeschult, 500.000 bestanden inzwischen das Abschlussexamen an den Sekundarschulen. 700.000 brachen die Schulausbildung ab oder fielen durch die Abschlussprüfung. Arbeitslosigkeit und mangelnde berufliche Perspektiven sind die Folgen. Deshalb zog Mashele das Fazit, nur die Situation der schwarzen Mittel- und Oberschicht habe sich geändert. Jedoch hätte der Wandel, der Angehörigen dieser Gruppen ein besseres Leben ermöglicht, keine Wirkungen für die Bevölkerungsmehrheit.

In Unternehmen sollten einige schwarze Aufsichtsräte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wirtschaft nach wie vor in weißer Hand sei. Das Black Economic Empowerment-Programm hätte nur wenige Jobs geschaffen und diejenigen, die so einen Arbeitsplatz erhalten hatten, würden vielfach kooptiert.

Der Politikexperte Mashele, der eine Weile für die Mbeki-Regierung gearbeitet hatte, prangerte die unzureichenden Maßnahmen der Zuma-Regierung gegen Jugendarbeitslosigkeit an. Terminierte Beschäftigungsmaßnahmen würden junge Menschen nicht weiterqualifizieren und Unternehmen oder Institutionen nichts nützen. Seine Sorge galt den Jungwählern aus Squattercamps und Townships, die den Economic Freedom Fighters (EFF) ihre Stimme gaben. Mashele riet dringlich, sie bräuchten umgehend bessere Lebensbedingungen und wirtschaftliche Perspektiven, sonst würden sie zum Problem für das politische System. Gleichzeitig gab er zu bedenken, nicht alle marginalisierten Jungwähler wären EFF-Sympathisanten, schließlich seien junge Menschen in Südafrika eine sehr heterogene Gruppe.


Demokratisierungstendenzen

Raymond Suttner, früherer Untergrundkämpfer, der wegen seines Widerstands gegen das rassistische Regime zu langjähriger Haftstrafe verurteilt worden war und nach 1994 als Politikwissenschaftler an Universitäten lehrte, forderte, die Auseinandersetzung über politische Partizipation sollte nicht auf die Wahlen beschränkt werden. Der Maßstab für Demokratisierung sei keineswegs nur das Wählerverhalten. Allerdings wies er darauf hin, wie wichtig die ersten demokratischen Wahlen für die schwarze männliche Bevölkerungsmehrheit waren. Es ging um die Wiederherstellung von persönlicher Würde und Männlichkeit.

Suttners Bilanz der zwei letzten Jahrzehnte war gemischt: Einerseits würdigte er die Verbesserung der Infrastruktur und die Beteiligung von Frauen an politischen Gremien, andererseits listete er die Polizeigewalt, die massive Korruption und Patronage auf - zentrifugale Kräfte, die der Demokratie diametral entgegenstünden. Suttner monierte auch den Niedergang politischer Debatten, diese seien jedoch bedeutend für Demokratien. Demgegenüber zeichne sich aktuell die Tendenz ab, dass man sich mit Gleichgesinnten verbünde, um Einfluss zu nehmen. Kritiker solcher Praktiken hätten die "NoVote"-Kampagne initiiert. Allerdings gab der Politikwissenschaftler Suttner zu bedenken, der Ausschluss von Intellektuellen aus der ANC-Regierung habe bereits unter dem früheren Präsidenten Thabo Mbeki begonnen.

Zum Wahlverhalten von Aktivisten in sozialen Protestgruppen meinte Suttner, der ANC habe ihre Gesuche um dringliche Problemlösungen nicht gehört. Vielmehr seien sie schutzlos Opfer von Gewaltattacken geworden; deshalb hätten manche der DA ihre Stimme gegeben. Es sei eine reine Überlebensstrategie; noch sei nicht absehbar, welche Konsequenzen das habe. Den EFF bescheinigte Suttner, es gehe um populistische Slogans, nicht um ein politisches Programm. Viel wichtiger sei es, den EFF-Wählerinnen und Wählern überzeugende Antworten zu geben und an der Demokratisierung zu arbeiten.

Obwohl sich die drei politischen Kommentatoren unterschiedlich zum ANC positionierten, einte sie das Interesse an der Verankerung der Demokratie in Südafrika und der Bewältigung von Problemen in Regierung, Parteien und staatlichen Institutionen.

*

Weitere Artikel in afrika süd Nr. 3, Mai/Juni 2014

DIE WÜRFEL LIEGEN BEIM ANC
Gastkommentar von Steven Friedman zu den Wahlen in Südafrika.

AKTUELL


SÜDAFRIKA: WAHLEN

KEIN GRUND ZUM FEIERN
Bei den Wahlen in Südafrika ist der ANC bestätigt worden. Die heimlichen Wahlsieger aber sind die Nichtwähler, meint Henning Melber.

NACH DER WAHL - BEGINN EINER NEUEN POLITISCHEN ÄRA?
Über die Zukunft Südafrikas nach den Wahlen wurde auf einer Podiumsdiskussion der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin debattiert. Rita Schäfer war da.


SÜDAFRIKA: JUGEND

JUGENDLICHE UND JUNGE MENSCHEN - DIE ZUKUNFT SÜDAFRIKAS
Zum Schwerpunkt "Jugend in Südafrika"

JUGEND IN ZEITEN DES ÜBERGANGS
Von Jan Schenk und Jeremy Seekings.

SÜDAFRIKAS JUGEND - AKTEURE DES WANDELS
Von Angelique Thomas.

GENERATION Z UND DIE REVOLUTION DER SÜDAFRIKANISCHEN LESEKULTUR
Von Sandra Stadler.

XOLELWAS ZORNIGES HERZ
Von Lutz van Dijk.

ICH MÖCHTE EINFACH NUR LEBEN
Von Hanspeter Reihling.

TRADITIONELLE JUNGENBESCHNEIDUNGEN
Von Louise Vincent.

ZWISCHEN SCHULBÜCHERN UND BABYS
Von Robert Morrell, Deevia Bhana und Tamara Shefer.

WAKE UP - MODERNER TANZ AUS SÜDAFRIKA
Von Rita Schäfer.

AUSGEGRENZT IN ZWEI WELTEN
Von Ruth Weiss.


DR KONGO: LITERATUR

IM FLUSS DER ERINNERUNG
Die Plünderung der Ressourcen im Kongo hat seine Autoren inspiriert. Manfred Loimeier über Literatur in der DR Kongo.

SINUSBOGEN ÜBERM KONGO
Textausschnitt aus "Sinusbogen überm Kongo" von In Koli Jean Bofane.


ANGOLA

ISLAM ALS SÜNDENBOCK
Angolas Regierung hat 194 Religionsgemeinschaften verboten, neben christlichen Sekten auch den Islam. Rafael Marques de Morais zur Rolle von Islam und Staat.


LESOTHO

NEBENSACHEN AUS MASERU
Von Brigitte Reinhardt.


SWASILAND

TRAUERN ODER ÜBERLEBEN
Witwen in Swasiland sind für die Trauerzeit ans Haus gebunden. Dagegen begehren sie nun auf, wie ein IRIN-Bericht zeigt.


NAMIBIA

VATER, DER DU RAGST IN DEN HIMMEL
In Windhoek wurden neue Staatsdenkmäler enthüllt. Über den Personenkult berichtet Joachim Zeller.


SÜDLICHES AFRIKA

CUBANGO KAVANGO OKAVANGO
Drei Namen, drei Länder, ein Fluss. Über das Wassermanagement an diesem Angola, Namibia und Botswana verbindenden Fluss schreiben Thomas Weinzierl und Janpeter Schilling.

GUTES GESCHÄFT MIT KLEINBAUERN
Das Südliche Afrika wird zu einem Eldorado für ausländische Gentech-Lobbyisten, warnt Ute Sprenger.


SERVICE

REZENSIONEN

*

Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
43. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2014, S. 9-10
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org
 
"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2014