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AFRIKA/1324: Äthiopien - Emigration als Armutszeugnis einer repressiven Politik (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Mai 2015

Äthiopien: Emigration als Armutszeugnis einer repressiven Politik

von Chalachew Tadesse


ADDIS ABEBA (IPS) - In Äthiopien hat die Ermordung von 28 äthiopischen Migranten in Libyen im letzten Monat nicht nur ein Schlaglicht auf die hinlänglich bekannte Grausamkeit der Terrororganisation Islamischer Staat geworfen. Auch die Frage nach den Gründen, warum so viele junge Leute ihrem Land den Rücken kehren, wird seither heiß diskutiert. Experten zufolge ist der Exodus Ausdruck eines tiefen Misstrauens in die autoritäre Politik des Landes.

Yared Hailemariam, ein ehemaliger Mitarbeiter des Äthiopischen Menschenrechtsrats, ist der Meinung, dass die Unterdrückung von Rechten und die Verweigerung grundlegender Freiheiten gerade unter jungen Leuten ein Gefühl der Frustration, Entfremdung und Desillusion hervorgerufen hat.

Außerdem begünstige der staatliche Landbesitz Armut und Ungleichheit. "Da die Menschen keine vollwertigen Besitzrechte über ihren Grund und Boden haben, sind sie nicht motiviert, zu investieren", betont er. Die Regierung sei nicht bereit, die Besitzverhältnisse zu ändern. In Äthiopien ist der Kauf und Verkauf von Land verboten.

Yared wirft der regierenden Äthiopischen Revolutionären Demokratischen Volksfront (EPRDF) ferner vor, mit etlichen seiner riesigen Geschäftsunternehmungen einen unfairen wirtschaftlichen Wettbewerb verursacht zu haben. "Durch die großen Konglomerate der Partei wurden öffentliche und private Unternehmen geschwächt", betont er. "Nutznießer dieser Praxis zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit sind die Parteieliten und deren Spezis."

Auch Tom Rhodes, Ostafrika-Vertreter des Komitees zum Schutz von Journalisten, führt Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit der jungen Äthiopier auf die vorherrschende politische Repression zurück. Wie er berichtet, sprechen mehrere Anzeichen dafür, dass Äthiopier nicht allein aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen wollen.

Dazu zählen auch die Proteste im letzten Monat nach der Ermordung der 28 christlichen Kopten in Libyen durch den Islamischen Staat. Eine Gruppe von 16 Äthiopiern wurde an einem Strand geköpft, zwölf weitere in einem Wüstengebiet mit Kopfschüssen hingerichtet. Sie alle wollten über das Mittelmeer nach Europa, um dort Arbeit zu finden und von dort aus ihre daheim gebliebenen Familien zu unterstützen.


Ermordung von Migranten in Libyen löst Proteste aus

In Reaktion auf die Verbrechen vom 19. April appellierte der Regierungssprecher Redwan Hussien an die potenziellen Auswanderer seines Landes, ihr Leben nicht unnötig aufs Spiel zu setzen, indem sie gefährliche Reiserouten einschlagen. Der Aufruf löste unter hunderten junger Leute und Angehörigen der Mordopfer Proteste aus, die gewaltsam aufgelöst wurden. Wie der 'Addis Standard' berichtete, wollten die Demonstranten auf diese Weise ihren Unmut über die lauwarme Reaktion der Regierung auf das Massaker an den Christen zum Ausdruck bringen. Fast zwei Drittel der Äthiopier sind Christen - überwiegend orthodoxe Kopten und Protestanten.

Wenig später, nach einer von der Regierung organisierten öffentlichen Kundgebung, kam es erneut zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Dabei wurden mehrere Menschen verletzt und hunderte festgenommen.

"Bürger haben ein Recht darauf, friedlich zu protestieren", so Felix Horne, Ostafrika-Experte bei 'Human Rights Watch' (HRW). "Es ist nicht verwunderlich, dass junge Leute die seltene Gelegenheit einer offiziell sanktionierten Kundgebung nutzen, um ihren Frust abzulassen. Das ist unvermeidlich, wenn es keine anderen Möglichkeiten der freien Meinungsäußerung gibt."

"Die Staatseinnahmen und Arbeitsplätze gehen an die Mitglieder der Regierungspartei", kritisiert Horne. Und CPJ-Vertreter Rhodes fügt hinzu: "Die äthiopischen Behörden neigen dazu, ihre politischen Unterstützer und ethnischen Beziehungen mit lukrativen politischen und wirtschaftlichen Positionen zu belohnen."

Das Regime brüstet sich gern damit, Äthiopien seit einigen Jahren erfolgreich zu einem Wirtschaftswunderland, einem 'afrikanischen Tiger', umzubauen. Doch wie Rhodes betont, steht die Verweigerung fundamentaler Freiheiten in dem autoritär geführten Land am Horn von Afrika in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Armut und wirtschaftlicher Ungleichheit. Die Arbeitslosigkeit lag zwischen 1999 bis 2014 bei durchschnittlich 20,26 Prozent.

Auch die größten Oppositionsparteien im Lande machen den Staat für den Exodus einer wachsenden Zahl von Äthiopiern verantwortlich. Der Regierung sei es nicht gelungen, Arbeitsplätze zu schaffen. Sie bevorzuge die Mitglieder der Regierungspartei und trage damit zur wirtschaftlichen Ungleichheit bei.

Die staatlich organisierte Kundgebung erfolgte einen Monat vor den Parlamentswahlen in Äthiopien, den ersten seit dem Tod des 2012 verstorbenen Langzeit-Ministerpräsidenten Meles Zenawi. Allgemein wird davon ausgegangen, dass sein Nachfolger Hailemariam Desalegn bei dem Urnengang mit wenig, wenn nicht gar keinem, politischen Widerstand zu rechnen hat.

"Wir werden unsere Anstrengungen, den Terrorismus zu bekämpfen, verdoppeln", erklärte der Sprecher des äthiopischen Außenministeriums, Tewolde Mulugeta. Man werde sich um die Schaffung neuer Arbeitsplätze bemühen, um die Menschen davon abzubringen, zum Arbeiten ins Ausland zu gehen.


Weitreichende Armut

Doch hat die Weltbank in einem diesjährigen Bericht ein düsteres Bild über die sozioökonomische Lage Äthiopiens gezeichnet. Danach sind rund 37 Millionen der 94 Millionen Einwohner - ein Drittel der Bevölkerung - entweder arm oder armutsgefährdet. Außerdem seien die Ärmsten des Landes noch ärmer geworden.

Die UN-Agrarorganisation FAO schätzt, dass etwa 29 Prozent der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze leben. Das erklärt, warum Äthiopien auf dem Index der menschlichen Entwicklung des UN-Entwicklungsprogramms auf dem 174. Platz von 187 gelisteten Ländern steht.

Das 'Oakland Institute', eine in den USA ansässige Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich intensiv mit dem Problem des 'Land Grabbing' (Verdrängung der Bevölkerung von ihrem Traditionsland zugunsten ausländischer Investoren) beschäftigt, war unlängst für seinen Bericht 'We Say the Land is Not Yours' ('Wir sagen, dass Land gehört euch nicht') von der äthiopischen Regierung kritisiert worden. Die darin enthaltenen Informationen seien weder verifiziert noch verifizierbar, hieß es aus Addis Abeba.

In einer Antwort an die äthiopische Botschaft in Großbritannien widersprach das Oakland Institute der Aussage der Regierung, wonach die kontinuierliche Entwicklung des ostafrikanischen Landes den Lebensstandard der Bevölkerung verbessert. So erklärte die NGO, dass die staatlichen Entwicklungsvorhaben Leben, Kultur, Traditionen und Lebensgrundlagen vieler indigener Gemeinschaften und Hirtenvölker zerstörten. Zudem sei die Strategie nicht nachhaltig und schaffe den Nährboden für Konflikte.

Mehr als die Hälfte der äthiopischen Bauern beackern Felder, die kaum groß genug sind, um ihre Familien zu ernähren. Die kaum einen Hektar großen Parzellen leiden nach Erkenntnissen der FAO unter den Folgen von Dürren, leistungsschwachen und unwirksamen Agrarvermarktungssystemen sowie unter unterentwickelten Produktionstechnologien. Zahlreiche Studien belegen, dass diese Defizite eine massive Landflucht ausgelöst haben.

Neben den brutalen Morden an den 28 Äthiopiern in Libyen hatte der April für Migranten aus dem Land noch weitere schlechte Nachrichten parat. So wurden sie in Südafrika Zielscheiben fremdenfeindlicher Übergriffe. Eine unbekannte Zahl äthiopischer Wirtschaftsflüchtlinge im Jemen leidet ebenfalls unter dem dort stattfindenden Konflikt. (Ende/IPS/kb/04.05.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/04/swelling-ethiopian-migration-casts-doubt-on-its-economic-miracle/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2015

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