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AFRIKA/1342: Somalia - Amtsenthebungsverfahren gegen Staatschef könnte Wahlen 2016 gefährden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. September 2015

Somalia:
Amtsenthebungsverfahren gegen Staatschef könnte Wahlen 2016 gefährden

von Nora Happel



Bild: © Stuart Price/UN

Der somalische Präsident Hassan Sheikh Mohamud in seinem Büro
Bild: © Stuart Price/UN

NEW YORK (IPS) - Das Amtsenthebungsverfahren, das somalische Parlamentarier am 12. August gegen Staatschef Hassan Sheikh Mohamud eingeleitet haben, hat zu einer politischen Pattsituation geführt, die die Stabilität des Landes im Vorfeld der für 2016 geplanten Wahlen weiter zu unterminieren droht.

Ende August verbreiteten Gesandte der Vereinten Nationen, der Mission der Afrikanischen Union für Somalia (AMISOM), der Zwischenstaatlichen Entwicklungsbehörde IGAD, der Europäischen Union, der USA und Großbritanniens eine gemeinsame Erklärung, in der sie eine rasche Lösung der Krise forderten. Zugleich äußerten sie die Sorge, dass das Amtsenthebungsverfahren "den Fortschritt auf dem Weg zum Frieden und zum Staatsaufbau Somalias verhindern wird".

Das Recht des föderalen Parlaments, Institutionen zur Rechenschaft zu ziehen und seinen Verfassungsauftrag zu erfüllen werde zwar vollständig anerkannt, doch die Einleitung eines solchen Verfahrens erfordere ein hohes Maß an Transparenz und Integrität und sei extrem zeitaufwändig, hieß es. Dabei gebe es in dem Land nicht einmal die grundlegenden juristischen Behörden.

"Die allmählich entstehenden Institutionen sind noch fragil. Sie benötigen eine Periode der Stabilität und Kontinuität, um Somalia zu ermöglichen, von dem 'New Deal Somali Compact' zu profitieren und einen friedlichen und legitimen Regierungswechsel 2016 vorzubereiten", geht ferner aus dem Dokument hervor.

Tatsache ist, dass es größere Verfahrensfehler und rechtliche Hürden gibt, die darauf zurückzuführen sind, dass die Institutionen nicht ausreichend entwickelt sind. Diese Hindernisse verhindern einen reibungslosen Ablauf des Amtsenthebungsverfahrens und drohen weitere politische Tumulte auszulösen.


Unregelmäßigkeiten

Gemäß Artikel 92 der Übergangsverfassung der Föderalen Regierung von Somalia ist der Antrag auf das Amtsenthebungsverfahren mit Unterstützung von einem Drittel der Abgeordneten eingebracht worden. Wie der Nachrichtendienst 'Somali Current' berichtet, erklärten jedoch mindestens 25 der insgesamt 93 Abgeordneten, die den Antrag angeblich unterstützt hatten, dass ihre Namen ohne ihre Einwilligung benutzt worden seien.

Das provisorische somalische Grundgesetz sieht nun vor, dass das Verfassungsgericht binnen 60 Tagen über eine Zulassung des Amtsenthebungsverfahrens entscheiden muss. Danach muss das Verfahren von einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament gebilligt werden. Ein Verfassungsgericht existiert in Somalia jedoch nicht. Dies ist ein offensichtlicher Hinderungsgrund, auch wenn politische Beobachter nicht ausschließen, dass in diesem Fall auch der Oberste Gerichtshof unter Berufung auf die frühere somalische Verfassung von 1960 eine solche Entscheidung fällen könnte.

Kontrovers diskutiert wird zudem über die Vorwürfe gegen den Staatspräsidenten. Wie das Parlament mitteilte, werden gegen Mohamud insgesamt 16 Anklagepunkte vorgebracht, darunter Amtsmissbrauch, Korruption, Entwendung staatlicher Ressourcen, unzureichende Sicherheitsmaßnahmen, Menschenrechtsverstöße, Inhaftierung politisch Andersdenkender, Einmischung in den Zuständigkeitsbereich der Gerichtsbarkeit sowie Nichteinhaltung der Vorschriften für die Wahlen 2016.

Laut Artikel 92 der Verfassung kann ein Präsident in Somalia nur dann abgesetzt werden, wenn ihm "Verrat oder grobe Verstöße gegen die Verfassung" zur Last gelegt werden können. Weiterhin wird darüber diskutiert, ob die von den Volksvertretern vorgebrachten Anschuldigungen aus rechtlicher Sicht ausreichen, um das Verfahren in Gang zu setzen.


Präsident verwahrt sich gegen Anschuldigungen

Mohamud wies die gegen ihn gerichteten Vorwürfe kürzlich auf einer Pressekonferenz zurück. Es sei zudem nicht der geeignete Moment für ein Amtsenthebungsverfahren, sagte er. Außerdem warf er einigen Abgeordneten vor, das Verfahren zu unterstützen, um ihre Amtszeit zu verlängern.

In einem Interview mit dem Rundfunksender 'Voice of America' bekräftigte der UN-Sondergesandte in Somalia, Nicholas Kay, die internationale Kritik an dem Amtsenthebungsverfahren. Angesichts der bevorstehenden Wahlen und der fortgesetzten Angriffe der islamistischen Al-Shabaab-Miliz dürfe Somalia "keine Zeit mit politischem Zank verlieren, durch den in der Vergangenheit Regierungen zu Fall gebracht wurden".

Es gibt aber auch Befürworter des Amtsenthebungsverfahrens. Die Politik der somalischen Eliten bestehe in den vergangenen zwei Jahrzehnten aus einem "Giftcocktail" aus Tribalismus, Amtsvergehen und Inkompetenz, kritisiert der ehemalige Abgeordnete Ahmed Ismail Samatar, Professor für internationale Studien am 'Macalester College' in St. Paul im US-Bundesstaat Minnesota.

Anders als viele internationale Beobachter sieht Samatar die Wahlen im September nächsten Jahres nicht durch das Amtsenthebungsverfahren gefährdet, sofern dieses rasch und entschlossen vorangetrieben werde. Mohamud selbst hatte noch im August erklärt, dass er Wahlen im nächsten Jahr aufgrund von Sicherheitsbedenken für unwahrscheinlich halte. Vertreter von Oppositionsparteien warfen ihm daraufhin vor, Sicherheitsrisiken im Land als Vorwand zu benutzen, um seine Regierungszeit weiter auszudehnen. Mohamud war 2012 von einem Parlament aus 135 Stammesältesten gewählt worden.

Wie die BBC damals berichtete, sollte das Land auf diese Weise mit Unterstützung der Vereinten Nationen zur Normalität zurückgeführt werden. Die Instabilität, schwerwiegende wirtschaftliche Probleme, fortwährende Anschläge der Al-Shabaab-Miliz und die innenpolitische Krise haben jedoch gezeigt, dass Somalia von Normalität noch weit entfernt ist. (Ende/IPS/ck/02.09.2015)


Link:
http://www.ipsnews.net/2015/09/impeachment-motion-stirs-political-waters-in-somalia/

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IPS-Tagesdienst vom 2. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2015

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