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AFRIKA/1360: Leben in Unsicherheit - Chinesische Migration nach Afrika hat viele Facetten (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5, September/Oktober 2015

Leben in Unsicherheit

von Sarah Hanisch


Chinesische Migration nach Afrika hat viele Facetten. Häufig stehen Fragen der Integration und des wirtschaftlichen Einflusses im Vordergrund. Das alltägliche Leben chinesischer Händler dreht sich aber um Probleme wie Unsicherheit und kriminelle Gewalt, wie das Beispiel Lesotho zeigt.


Für viele chinesische Migrantinnen und Migranten in Lesotho ist es jeden Tag das Gleiche: Morgens um 8 Uhr zu ihrem Laden fahren und abends um 18 Uhr zurück, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. An Wochenenden und Feiertagen sind die Umsätze am höchsten. Es bleibt kaum Zeit für Erholung. Die wenige Freizeit verbringt man lieber in der eigenen bescheidenen, aber bewachten Wohnstätte. Sie ist der einzige Ort, an dem sich viele Chinesen wirklich sicher fühlen. Obwohl die Verbrechensrate im Vergleich zum Nachbarland Südafrika niedriger ist, fühlen sich chinesische Migranten in Lesotho besonders von Kriminalität betroffen. Denn in regelmäßigen Abständen gibt es Überfälle auf und Einbrüche in chinesische Geschäfte. Auf private Sicherheitsdienste ist im Zweifelsfall wenig Verlass. Die Ermittlungen der Polizei verlaufen schleppend, viele Fälle bleiben ungeklärt. Da sich weder die chinesische Botschaft noch lokale Behörden aktiv um die Verbesserung der Sicherheitslage chinesischer Migranten bemühen, leben viele in Unsicherheit.


Fehlende Statistiken

Chinesische Migrantinnen und Migranten kommen seit Anfang der 1990er Jahre aus den Provinzen Fujian und Zhejiang nach Lesotho. Damals wie heute sind die meisten von ihnen primär im Einzel- und Großhandelssektor tätig. Zusammen mit Familienmitgliedern und entfernten Verwandten betreiben sie unterschiedlichste Geschäfte und Läden, die über das ganze Land verteilt sind. Die meisten wollen nicht dauerhaft in Lesotho bleiben. Aktuelle offizielle Angaben zu Einwanderern aus China gibt es nicht. Zudem sagen Einwandererzahlen wenig über die Lebensrealitäten der Menschen aus.

Mit offiziellen Statistiken lässt sich auch das Unsicherheitsgefühl chinesischer Migrantinnen und Migranten schwer belegen. Gemeldete Fälle werden zentral vom Amt für Statistik in Maseru erfasst, aber nur ungenügend aufgeschlüsselt. Informationen über Alter, Geschlecht oder andere Eigenschaften wie die Nationalität fehlen. Auf lokaler Ebene werden die Daten händisch in Register eingetragen, da es kein elektronisches Erfassungssystem gibt. So ist es nahezu unmöglich, verlässliche Zahlen über Kriminalfälle mit betroffenen chinesischen Migranten zu bekommen.

Meine Nachforschungen ergaben, dass Ladendiebstähle am häufigsten vorkommen. Kleine, harmlosere Ladendiebstähle und Überfälle, bei denen niemand zu Schaden kommt, sind für chinesische Migranten ein Ärgernis. Sie werden jedoch fast schon als Teil des Geschäftes in Lesotho angesehen. Die Devise lautet: "So lange uns nichts passiert, ist alles in Ordnung. Es ist ja nur Geld." Andere Töne werden bei Vorfällen mit schwerer Körperverletzung oder Todesfolge angeschlagen. Hier herrscht völliges Unverständnis seitens der chinesischen Migranten. Denn obwohl sie selten Widerstand leisten, gehen die Täter oft gewaltsam gegen sie vor. Diebe brechen die "Abmachung", die geforderten Waren oder Einnahmen ohne Anwendung körperlicher Gewalt herauszugeben. Es gibt viele Gründe für diesen Bruch: Manche Täter haben Angst, wiedererkannt zu werden, andere sind verärgert über die zu geringe Beute. Letztendlich sind die Dynamiken von Fall zu Fall verschieden und unvorhersehbar.


Private Sicherheitsdienste und Polizei

Kaum ein chinesischer Händler in Lesotho kommt ohne private Sicherheitsdienste aus. Deren Wachleute - meist junge Männer, die nur für ein paar Jahre im Beruf arbeiten - sind leicht an ihrer Uniform zu erkennen und strategisch vor den Eingängen der Geschäfte und Wohnstätten platziert. Sie verfügen typischerweise nur über Schreckschusswaffen und arbeiten in Schichten. In Anbetracht der langen Arbeitszeiten und der möglichen Gefahren sind Wachleute vergleichsweise schlecht bezahlt.

Die Beziehung zu den Wachleuten ist von Misstrauen und Unsicherheit geprägt. Teils kündigen die Wachleute nach einiger Zeit selbst, teils werden sie von ihren chinesischen Auftraggebern entlassen. Nach Ansicht der meisten Chinesen ist auf die Wachleute kein Verlass. Im Zweifelsfall suchen sie entweder das Weite oder arbeiten mit den Tätern zusammen. Aus Angst, sie könnten zu viel über das Geschäft und die Gewohnheiten ihrer Arbeitgeber erfahren, tauschen manche chinesische Migranten alle paar Wochen ihre Wachleute aus. Ein erfahrener Strafverteidiger am Gericht in Maseru bestätigte, dass diese Angst nicht ganz unbegründet ist. Bei der Mehrzahl der Überfälle und Einbrüche in chinesische Geschäfte handelt es sich um "insider-jobs".

Die Beziehung zwischen chinesischen Migranten und der lokalen Polizei sind ebenfalls von Unsicherheit geprägt. Zwar sind Polizisten selten direkt in einen Tathergang verwickelt. Jedoch ist es eine weit verbreitete Praxis, dass sie "Beweismittel" konfiszieren. Dabei handelt es sich um Wertgegenstände wie Bargeld, Zigaretten, Getränke oder die beliebten Basutodecken. Sie gehen nach ihrer "Konfiszierung" meistens in den Privatbesitz der ermittelnden Polizisten über. In einem Fall wurden 10.000 Maloti als Beweismittel "beschlagnahmt". Diese entsprechen ungefähr 660 Euro oder acht Monatsgehältern eines Fabrikarbeiters in Lesotho. Nach einem Jahr waren die Akte und das Beweismittel unauffindbar. Angesichts solcher Vorfälle und schleppender Ermittlungen besteht für chinesische Migranten der Nutzen der Polizei häufig lediglich in der Erstellung des Polizeiberichts. Der ist Voraussetzung dafür, dass Versicherungen den entstandenen Sachschaden kompensieren.


Öffentliche Wahrnehmung

Die öffentliche Wahrnehmung ist, Basuto, Inder und andere Migranten seien gleichermaßen von der Kriminalität betroffen. Bestenfalls seien chinesische Migranten eine einfache Beute, weil sie immer viel Bargeld bei sich hätten. Für die tägliche Abwicklung ihrer Geschäfte benötigen die Migranten in der Tat stets Bargeld. Die Kunden zahlen meistens bar, auch Mitarbeiter und Lieferanten werden bar bezahlt. Manche Geschäftsleiter lassen ihre Einnahmen regelmäßig von gepanzerten Geldtransportern abholen. Dies ist jedoch ein kostspieliger Service, den sich nur einige besonders erfolgreiche Geschäftsleute und große südafrikanische Ketten wie Shoprite leisten können.

Wenige Menschen in Lesotho wissen, dass jedes Jahr chinesische Migranten bei Überfällen und Einbrüchen sterben. Dieses mangelnde Bewusstsein hängt mit der Berichterstattung der lokalen Medien zusammen. Kaum ein Vorfall wird in den Tagesszeitungen erwähnt. Die meisten Basuto bevorzugen lokale Radiosender als Informationsquelle. In "call-in"-Sendungen können Hörererinnen und Hörer ihre Meinung kundtun und von ihren Erlebnissen berichten. Ein beliebtes Thema sind chinesische Migranten. Oft handeln die Beiträge von wortreichen oder handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Chinesen, welche letztendlich auf mangelnde gegenseitige Wertschätzung zurückgehen. Diese Meinungen spiegeln das gespannte Verhältnis zwischen Basuto und Chinesen wider. Andererseits vermitteln sie den Zuhörern den Eindruck, chinesische Migranten seien vor allem Täter und selten Opfer.


Politische Krise in Lesotho

Seit knapp einem Jahr befindet sich die politische Führung in Lesotho in einer Krise. Obwohl es sich eher um einen Elitenkonflikt handelt, ist die Bevölkerung in Lesotho verunsichert. Die Krise begann am 20. Juni 2014, als der damalige Premierminister Tom Thabane das Parlament auf unbegrenzte Zeit schloss. Die Lage spitzte sich am 31. August 2014 zu, weil das Militär den Wohnsitz des Premiers und das Polizeihauptquartier in Maseru umstellte. Die darauf folgenden gewalttätigen Auseinandersetzungen endeten damit, dass das Militär Polizisten in deren Gefängnisse einsperrte. Für zwei Wochen war keine Polizei im Einsatz und die Kriminalität stieg an. Internationale Organisationen evakuierten mehrmals ihre Mitarbeiter. Die chinesische Botschaft entwickelte in Zusammenarbeit mit lokalen und südafrikanischen Behörden einen Evakuierungsplan für chinesische Migranten.

Vorgezogene Neuwahlen in Lesotho im Februar 2015 brachten keinen entscheidenden Wendepunkt. Die Beziehung zwischen dem ehemaligen Premier Thabane und dem von ihm im August 2014 entlassen Oberbefehlshaber des Militärs, Tlali Kamoli, sorgen weiterhin für Spannungen. Im Mai 2015 wurde der Geschäftsmann Thabiso Tsosane, ein enger Verbündeter Thabanes, von Unbekannten erschossen; am 25. Juni der neue Oberbefehlshaber der Armee Maaparankoe Mahao (s. afrika süd 1 und 2, 2015, d.R.). Der neue Premierminister Bethuel Pakalitha Mosisili ließ verlauten, er bedaure die Vorfälle, aber insgesamt sei die Lage unter Kontrolle.

Für chinesische Migranten hat sich die Unsicherheit um eine neue Dimension erweitert. Zwar wissen sie jetzt, dass ihre Botschaft sie im Falle politischer Unruhen nach Südafrika evakuieren würde. Aber bei allen anderen Sicherheitsproblemen, wie Überfällen und Einbrüchen, sind sie weiterhin auf sich gestellt.


Die Autorin forschte als DAAD-Stipendiatin 2014 für acht Monate in Lesotho. Seit Januar 2015 ist sie Universitätsassistentin am Institut für Ostasienwissenschaften/Sinologie der Universität Wien. Sie promoviert über chinesische Migranten in Lesotho.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
44. Jahrgang, Nr. 5, September/Oktober 2015, S. 24-25
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2016

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