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AFRIKA/827: Der IWF als Totengräber von Ghanas Hühnerindustrie (PROVIEH)


PROVIEH Heft 2 - Juni 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Der IWF als Totengräber von Ghanas Hühnerindustrie

Von Johan von Mirbach


Heute ist ihr letzter Tag auf dem Hühner-Markt in Accra. Die 40-jährige Rachel Osabutey packt die Hühner zusammen, die sie nicht verkaufen konnte, und beginnt mit ihren Mitarbeitern, den kleinen Behelfsstall abzubauen. Zwei Wochen lang stand er mitten auf einer Straße in Ghanas Hauptstadt Accra. Der Erfolg der Verkaufsoffensive hält sich in Grenzen. Jetzt macht sie dicht.

Noch vor sechs Jahren hatte Rachel Osabutey zusammen mit ihrem Mann Edward drei große Farmen mit über 10.000 Hühnern und einigen hundert Truthähnen. Die Familie besaß eine eigene Schlachterei sowie eine Verpackungsanlage. Doch das importierte gefrorene Geflügel aus Europa, Nord- und Südamerika war und ist einfach unschlagbar billig. Wurden im Jahr 2001 noch 11.000 Tonnen Hühnchen importiert, waren es 2007 schon 75.000 Tonnen (FAO-Statistik). Viele Hühnerfarmer mussten in den letzten Jahren Konkurs anmelden. "Ich verstehe nicht, warum unsere Regierung das zulässt", fragt sich Rachel.

Es ist eine Institution im fernen Washington, die für den Niedergang der Hühnerindustrie von Familie Osabutey ein gerütteltes Maß an Mitverantwortung trägt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) war es, der ghanaische Schutzzölle zum Schutz der heimischen Hühnerbauer untersagte. Ansonsten hätte Ghana einen Millionenkredit nicht bekommen.

Bei Preisen von 5 Cedi pro Huhn - umgerechnet 2,50 Euro - können Rachel und Edward heute nicht mehr mithalten. "Die großen Hotels, Supermärkte und Restaurants haben mir früher die Hühner aus den Händen gerissen", erzählt Edward, "aber auf einmal bin ich auf meiner Ware sitzen geblieben. Unser Kühlhaus war bis an die Decke voll mit gefrorenen Hühnern, wir wussten nicht mehr weiter. Wir haben sogar die Hotels und Restaurants in Accra einzeln abgeklappert, um das Hühnerfleisch loszukriegen. Keine Chance." Am Ende mussten sie ihre gefrorenen Hühnchen unter Preis verkaufen. "Früher habe ich 10 Cedi für ein Huhn verlangen können, jetzt bekomme ich nur noch 8, weniger kann ich nicht nehmen, sonst zahle ich drauf", sagt Edward.

Ihre Gegner auf dem Hühnermarkt in Ghana sind unsichtbar. Es sind große Mastbetriebe aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Brasilien und Kanada. Mit den durchrationalisierten Prozessen in den riesigen Betrieben, in denen schon mal eine Million Hühner gleichzeitig großgezogen werden, können sie nicht mithalten.

Die Hühnerfarmer in Ghana produzieren zwar nicht ökologisch, aber in kleineren Einheiten mit viel Auslauf fürs Federvieh. Das ist zwar gut für den Geschmack und auch für die Tiere, nicht aber für den Geldbeutel. Rachel Osabutey benötigt acht Wochen, um ein Küken großzuziehen. In den großen Fabriken in Deutschland und anderswo sind es gerade einmal 35 Tage. Die deutschen und brasilianischen Billig-Hühner überschwemmen seit einigen Jahren den ghanaischen Markt.

Nicht nur Ghanas Hühnerfarmer müssen zuerst auf den internationalen Markt und die Preise in Europa und anderswo schauen, auch andere Produzenten, die eigentlich nichts mit Export zu tun haben, müssen in Ghana ganz genau abwägen, ob sich die Produktion wirklich lohnt. Die Kosten in Europa, Südamerika oder Asien sind - selbst wenn man den Preis für den Transport nach Ghana aufschlägt - niedriger als in dem westafrikanischen Land.

Ghana importiert nicht nur verarbeitete Produkte, die wegen fehlendem Know-how im Land nicht hergestellt werden können, z. B. Maschinen, Fahrzeuge, Stahlerzeugnisse oder petrochemische Produkte. Ghana importiert auch Hühner- Rind- und Schweinefleisch und Getreide.

Das Land ist außerdem weltweit der achtgrößte Importeur von Tomatenpaste. Das alles sind Produkte, die ohne weiteres in dem fruchtbaren Land selbst hergestellt werden könnten - wenn man einmal vom Weizen absieht, der in dieser Klimazone nicht wächst. Der Anbau von Reis, Mais und Hirse ist problemlos möglich. Der landwirtschaftliche Sektor ist jedoch größtenteils ein Subsistenzsektor. Obwohl 55 Prozent der arbeitenden Bevölkerung dort ihr Geld verdienen, trägt der Sektor nur 35 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.

Ghanas Nahrungsmittelproduzenten sind nicht groß genug, um international mithalten zu können, sie können sich kein billiges Kapital beschaffen, da die Zinsen für Kredite in der Heimatwährung zwischen 15 und 35 Prozent liegen, und sie müssen mit den Problemen eines korrupten Landes kämpfen: ungeklärte Besitzverhältnisse, lange Gerichtsverfahren und überbordende Bürokratie. Anbau in großem Stil lohnt sich nur für den Export, denn nur hier ist es möglich, Kredite in Dollar oder Euro zu günstigen Zinssätzen zu bekommen.

Der einfachste Ausweg aus dieser widrigen und ungerechten Lage wäre, Zölle für Produkte einzuführen, die auch im Land produziert werden können, und lokale Produzenten mit billigen Krediten zu versorgen.

Kenneth Kwarty war zur Jahrtausendwende Vorsitzender des ghanaischen Verbandes der Geflügelfarmer. Er brauchte elf Jahre, um die Regierung zu überreden, die Zölle auf den Import von Hühnern und Hühnerteilen von 20 auf 40 Prozent zu erhöhen. "Wir waren schon gewarnt", erzählt der aufgeweckte Unternehmer. "Vor den Geflügelimporten stiegen die Rindfleischimporte, so dass hier fast keine Kühe mehr auf der Weide standen. Unseren Hühnern soll nicht dasselbe passieren."

Anfang der 90er konnten die ghanaischen Geflügelbauern noch das ganze Land mit ihren Produkten versorgen. Nachdem 1994 Einfuhrzölle gesenkt wurden, sank die Produktion von Jahr zu Jahr, so dass 2003 nur noch die Hälfte des konsumierten Hühnerfleisches im Land produziert wurde. Deshalb, auf Druck von Kenneth Kwarty, seinem Geflügelbauernverband und den Reisbauern, beschloss die eigentlich liberale Regierung unter John Agyekum Kufuor, Zölle für importierte Gefrierhühner, Hühnerteile und Reis wieder zu erhöhen.

Dann geschah jedoch das Überraschende. Das Gesetz war im Februar schon vom Parlament ratifiziert und musste nur noch umgesetzt werden, doch der große IWF schaltete sich ein. Er bat die ghanaische Regierung, das Gesetz noch einmal zu überdenken: Die Zölle für Hühner und Reis würden nicht mit dem Ziel der Armutsbekämpfung übereinstimmen. Dadurch, dass die Leute billige Hühnchen kaufen könnten, würde mehr Einkommen für andere Dinge bleiben. Sollten die Zölle doch eingesetzt werden, würde es keine neuen Kredite für Ghana geben. Schützenhilfe bekam der IWF von der EU. Pascal Lamy, damals EU-Handelskommissar und heute Chef des IWF, reiste im April 2003 nach Accra, um mit Ghana die Verhandlungen über ein neues Handelsabkommen aufzunehmen. Bei dieser Gelegenheit erklärte er seinen Unmut über die Einfuhrzölle.

Ghanas Regierung knickte ein, um den Millionenkredit des IWF zu erhalten. Kenneth Kwarty war damals völlig überrascht: "Mit allem hätten wir gerechnet, als wir der Regierung den Zoll vorschlugen, mit Widerstand aus den Ministerien und Banken, mit Protesten der Importeure, der Geberländer oder auch der WTO. Aber dass sich der IWF einmischt, damit hatten wir niemals gerechnet." Dass der IWF mit seiner Einmischung Arbeitsplätze in der Hühnerindustrie, ja einer kompletten Industrie den Todesstoß versetzt hatte, war den Verantwortlichen in Washington damals nicht bewusst gewesen.

Jetzt haben sie es gemerkt. In einer internen Evaluation des IWF vom 21. Mai 2009 heißt es: "Der Hühnerzollvorfall war eine unglückliche Ausnahme. Anders als bei Kakao hatte das IWF-Team keine Hintergrundinformationen über Ghanas Hühnersektor. In internen Diskussionen war man der Meinung, der Hühnersektor wäre stark genug, um mit Importen zu konkurrieren. Es gab keinen glaubhaften Beleg dafür, der einen besonderen Schutz gerechtfertigt hätte. Es scheint, dass unsere Mitarbeiter unzureichende Informationen hatten, um die Maßnahme (die Zollerhöhung) richtig zu beurteilen. Im Nachhinein stellt sich der Hühnersektor viel verletzbarer durch Importe dar, als unsere Mitarbeiter glaubten."

Auch Kenneth Kwarty musste seine Hühnerfarmen aufgeben. Jetzt hat er nur noch Legehennen und verkauft die Eier. "Das ist ein sicherer Bereich", erzählt er. "Hühnereier kann man nicht so einfach um die halbe Welt transportieren."

Die Handelsministerin der neuen Regierung, Hannah Tetteh, ist sich des Problems bewusst. Anders als die Vorgängerregierung unter Präsident John Kufour, die sehr handelsliberal war, versucht sie, in den Verhandlungen mit der EU, Spielräume für Schutzzölle herauszuschlagen. Deshalb verweigerte sie im Oktober vergangenen Jahres, ein Handelsabkommens zwischen der EU und Ghana zu unterzeichnen. Dieses Abkommen, das Interim Economic Partnership Agreement (EPA), hätte es Ghana untersagt, die einmal gesenkten Zölle wieder anzuheben. Außerdem will Hannah Tetteh kein ausschließlich europäisch-ghanaisches Abkommen. Vielmehr fordert sie gemeinsame Verhandlungen mit anderen westafrikanischen Ländern, die ebenfalls in der Handelsvereinigung ECOWAS organisiert sind. Denn das bilaterale Abkommen könnte zu Einbußen im regionalen Handel führen.

Ihr Staatssekretär für Handel, Emmanuel Derek Awuri hat aus den Vorkommnissen mit dem IWF gelernt. "Wir haben damals einfach zu plump reagiert. Falls wir noch einmal Importe verhindern wollen, dann führen wir einfach höhere Qualitätsanforderungen ein. So macht die EU das ja auch, wenn sie bestimmte Produkte nicht importieren möchte."

Doch Kriterien wie Geschmack oder artgerechte Haltung lassen sich vor internationalen Organisationen schwer durchsetzen. Vor allem dann nicht, wenn im Land eine Zertifizierungsagentur fehlt, die die heimischen Farmer für Qualität auszeichnet. Die Ghanaer kaufen inzwischen fast nur noch tiefgefrorene Hühner aus den Legebatterien in Europa und Südamerika. Die ghanaischen Hühner, die traditionell lebend verkauft werden, sind die einzigen Nutznießer der fehlenden Zölle - sie dürfen sich auf ein längeres Leben freuen.

Doch importiertes gefrorenes Geflügel kann auch gesundheitliche Risiken bergen, denn oftmals wird die Kühlkette in Ghana nicht eingehalten. Auf vielen Märkten gammelt das Fleisch bei 30 Grad einen Tag vor sich hin, bevor es einen Käufer findet. Es gibt zunehmend Fälle von Lebensmittelvergiftungen. Doch das hält bislang niemanden ab, das billige Importhuhn zu kaufen. Denn importiertes Fleisch kann portionsweise gekauft werden, und das lästige Schlachten zu Hause entfällt.

Die Zeit arbeitet gegen Hühnerfarmer wie Rachel und Edward Osabutey. Durch den Zusammenbruch der Hühnerproduktion wird die Zucht für die verbliebenen Farmer teurer. Die Küken schlüpfen längst nicht mehr im Land, sondern müssen importiert werden. Große Verpackungs- und Tiefkühlanlagen werden unrentabel. Daher wird die Hühner-Produktion wie früher wieder lebend auf der Straße verkauft. So baut Rachel Osabutey ihren Stand direkt vor dem Landwirtschaftsministerium wieder ab. "Reingehen und sich beschweren?" Nein, auf diesen Gedanken sei sie noch nie gekommen, erklärt sie verwundert. "Was können die denn für mich tun?" Das Ehepaar Osabutey geht pragmatisch mit dem Niedergang um. Rachels Mann Edward hat inzwischen eine neue Firma aufgebaut: Er importiert Reis.


Heinz-Kühn-Stiftung
Der Autor dieses Artikels, Johan von Mirbach, war Anfang 2010 als Stipendiat der Heinz-Kühn-Stiftung für mehrere Wochen in Ghana zu Recherchen vor Ort. Die nordrheinwestfälische Stiftung wurde im Jahr 1982 gegründet. Sie hat sich die Förderung junger Journalistinnen und Journalisten zum Ziel gesetzt.
Heinz Kühn (1912 - 1992) war von 1966 bis 1978 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Der weltoffene Journalist und Politiker setze sich frühzeitig für die Belange der sogenannten "Dritten Welt" ein.


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Quelle:
PROVIEH Heft 2, Juni, 2010, Seite 16-21
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2010