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AFRIKA/872: Liberia - Den Stimmlosen eine Stimme geben, Frauensender verschafft sich Gehör (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Oktober 2010

Liberia: Den Stimmlosen eine Stimme geben - Frauensender verschafft sich Gehör

Von Tamasin Ford


Monrovia, 12. Oktober (IPS) - In einem Außenbezirk der liberianischen Hauptstadt Monrovia hat kürzlich der landesweit erste und einzige Radiosender für Frauen Quartier bezogen. 'Liberia Women Democracy Radio' (LWDR), so der Name des kleinen Kanals, will den vielen Liberianerinnen, die bis heute unter den negativen Folgen des 14-jährigen Bürgerkrieges leiden, eine Plattform geben, ihre Sorgen und Nöte zu schildern.

"Als es den Sender noch nicht gab, hatten wir keine Stimme", so Deborah Reeves. "Unsere Probleme wurden überhaupt nicht ernst genommen. Jetzt aber kommen unsere Belange wieder und wieder zur Sprache." Die 30-Jährige ist auf Pagos zu Hause, einer von Sümpfen umschlossenen Insel, die zur Hauptstadt Monrovia gehört. Hier gibt es keinen Strom geschweige denn Schulen, Gesundheitszentren oder Polizei. Das Leben der 4.000 Einwohner gestaltet sich mehr als schwierig.

"Ich habe Dinge gesehen, die dürfte es in einer zivilisierten Welt gar nicht geben", meint dazu Reeves. Die vierfache Mutter gehörte zu den 40 Frauen, die sich in der Gemeindekirche von Pagos eingefunden hatten, um über die besonderen Probleme zu reden, die das Leben auf dem isolierten und rückständigen Eiland mit sich bringt. "Wir sind eine vergessene Gemeinde. Niemand sieht uns. Das ist so, als wären wir gar nicht vorhanden."


Wenn der Weg in die Entbindungsstation zu lang ist

Ein weitere Liberianerin, mehr Teenager als Frau, berichtete den Zuhörerinnen von der traumatischen Erfahrung, die sie als Schwangere auf dem weiten Weg zur nächsten Klinik machen musste. Sie sah sich gezwungen, ihr Kind auf der Straße zu gebären. "Ich wusste gar nicht, was ich tun sollte", erinnert sie sich. Ich lag da, mein sterbendes Baby im Arm."

Ihre Geschichte ist eine von tausenden, wie sie vor allem Liberianerinnen erleben, die in den abgelegenen und ländlichen Gebieten leben. "Dort werden Frauen nicht gehört", meint die LWDR-Radiosprecherin Lady Mai Hunter. Das soll der neue Sender ändern. Der Radiokanal, der mit Geldern des UN-Demokratisierungsfonds UNDEF bezuschusst wird und auch auf die Weltfrauenorganisation UNIFEM zählen kann, strahlt seine Programme bereits in acht der 15 liberianischen Verwaltungsbezirke aus. Langfristig soll er in allen Teilen des Landes zu hören sein.

Die 22-jährige Hunter weiß nur zu gut, dass Liberias Frauen noch ein beschwerlicher Weg in ein besseres Leben bevorsteht. "Auch wer glaubt, dass es uns Frauen gut geht, weil wir eine Staatspräsidentin haben, der irrt. Sexueller Missbrauch, Vergewaltigung und innerfamiliäre Gewalt sind große Probleme im Land."

Die Wahl von Ellen Johnson-Sirleaf, Afrikas erstem weiblichen Staatsoberhaupt, hatte den Frauen des Landes enormen Auftrieb verlieren. Doch bis heute kommen sie bei Friedens- und Sicherheitskonferenzen nur allzu selten zu Wort. Bei der Eröffnung des LWDR-Büros am 5. August sprach Sirleaf die Hoffnung aus, dass der Kanal den Frauen eine Stimme verleihen wird. "Wir sind das zweite Land auf dem Kontinent mit einem Frauensender, und das erfreut uns und lässt uns in dieser Beziehung hoffen."

Auch die Staatspräsidentin ist sich bewusst, dass die Frauen ihres Landes vor enormen Herausforderungen stehen. "Wir haben mit schlimmen Problemen wie Vergewaltigungen und Schulabbrüchen junger Mädchen im Lande zu kämpfen", sagte sie. "Ich hoffe, dass der Radiosender sich dieser Probleme annehmen wird."


Vergewaltigungen treffen Frauen und Kinder

Vergewaltigung ist das in Liberia am häufigsten berichtete Verbrechen, und Kinder sind oft die Opfer. Eine Operbefragung in Monrovia ergab, dass drei von acht Betroffenen keine zwölf Jahre und jedes zehnte Opfer keine fünf Jahre alt war. Trotz dieser dramatischen Situation werden Vergewaltigung, Teenagerschwangerschaften, weibliche Genitalverstümmelung und Prostitution von den männerdominierten Medien im Lande nur selten aufgegriffen.

Im Oktober 2011 finden die nächsten Wahlen statt, und LWDR fordert ihre Zuhörerinnen auf, eine größere Rolle in der Politik ihres Landes zu spielen. Für Frauen wie Deborah Reeves ist der Sender ein Hoffnungsschimmer. "LWDR öffnet uns die Augen. Um es ganz deutlich zu sagen: Frauen leben in diesem Land unter grauenhaften Bedingungen. Wenn uns aber heute ein Unglück widerfährt, können wir unsere Geschichten wenigsten über den Radiosender verbreiten und die Behörden auffordern, uns zu helfen." (Ende/IPS/kb/2010)


Links:
http://www.worldywca.org/YWCA-News/World-YWCA-and-Member-Associations-News/Liberian-Women-Democracy-Radio-launched
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53102

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. Oktober 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2010