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AFRIKA/905: Senegal - Immer mehr Kinder Opfer sexueller Gewalt, Arrangement statt Anzeige (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. November 2010

Senegal: Immer mehr Kinder Opfer sexueller Gewalt - Arrangement statt Anzeige

Von Aissatou Sali


Dakar, 22. November (IPS) - Schützend hat sich Fatou Kiné Barry aus Guediawye, einer Vorstadtsiedlung von Dakar, neben dem Bett ihrer verletzten und traumatisierten Tochter Aissata niedergelassen. Sie bewacht die Zwölfjährige, die seit Wochen an den schweren Folgen einer Vergewaltigung leidet. Ein Unbekannter hatte das Kind in ein Gebüsch geschleppt, zusammengeschlagen und geschändet.

In Senegal gibt es immer mehr Kinder, die wie die traumatisierte Aissata Opfer sexueller Gewalttaten werden. "In unserer Praxis sehen wir regelmäßig Patienten, die sich nach einer Vergewaltigung von uns beraten lassen", berichtete die Frauenärztin Khadyja Mabye, die im Gesundheitszentrum von Guediawaye arbeitet. "Ohne den Beweis durch eine ärztliche Untersuchung können sie das Verbrechen, das an ihnen begangen wurde, nicht anzeigen und auf eine strafrechtliche Verfolgung hoffen", erklärte sie.

Besonders Minderjährige sind vom in dem westafrikanischen Land registrierten Anstieg sexueller Gewaltkriminalität betroffen. Zeitungsberichte sorgen dafür, dass die Öffentlichkeit überhaupt etwas von derartigen Verbrechen erfährt. Da ist von 25 Mädchen die Rede, die von ihrem Koranlehrer missbraucht wurden, von einem Achtjährigen, der einem Pädophilen in die Hände fiel oder von dem Mädchen Ndeye, das ein Psychopath vergewaltigt und zu Tode gequält hatte.


Familientraditionen und Werte gehen verloren

Die Soziologin Adji Kane Diallo sieht in dem fortschreitenden Verlust traditioneller Werte und im Zerfall der Familienverbände, die sich als Schutzschild für Kinder und Heranwachsende bewährt hatten, eine wesentliche Ursache für die Zunahme sexueller Gewalt. "Die Leute haben nichts mehr, an dem sie sich orientieren können", klagte sie. "Früher sorgte die Gesellschaft für den Schutz der Kinder. Doch heute, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, löst sich der Familienverband auf. Die Kinder sind sich selbst überlassen und werden leichte Beute von Triebtätern", sagte sie.

"Auch wenn es in Senegal derzeit keine amtlichen Zahlen über vergewaltigte Kinder gibt, muss man zugeben, dass deren Zahl im Vergleich zu früher angestiegen ist", meinte Ndiamé Gaye, Kanzleichef des Ministeriums für Menschenrechte. "Nur dank der Medien nimmt die nationale und internationale Öffentlichkeit davon Notiz."

Nach Angaben von Kinderschutzorganisationen werden jährlich etwa 400 Vergewaltigungen von Kindern registriert, die meisten davon in den Vorstädten und Tourismuszentren. Nach Schätzungen der Aktivisten ist die Dunkelziffer weit höher. In den meisten Fällen gibt es keine Anzeige und damit auch kein Gerichtsverfahren.


Die Seelen der Opfer heilen

Mit der Nachbehandlung traumatisierter Opfer sei es nicht weit her, kritisierte die Ärztin Mbaye. "Nach der ersten Konsultation kommen nur noch wenige Patientinnen zurück, um sich ärztlich und psychiatrisch behandeln zu lassen. Dabei kann ein sexuell misshandeltes Kind ohne fachkundige Behandlung lebenslang traumatisiert bleiben. Es büßt sein Selbstwertgefühl ein und kann zum Schulversager werden", erklärte sie.

Senegals Regierung nutzte den internationalen Kindertag am 19. November und den Welttag gegen den Missbrauch von Kindern am 20. November, um eigene Präventivmaßnahmen anzukündigen. Gaye versprach: "In Zusammenarbeit mit Frauenorganisationen werden wir in ergänzenden Initiativen ein Nothilfesystem aufbauen und Strategien entwickeln, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Opfer dieser Verbrechen zu lenken und das Gesetz des Schweigens zu brechen." (Ende/IPS/mp/2010)


Link:
http://www.ipsinternational.org/fr/_note.asp?idnews=6233


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 22. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2010