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AFRIKA/910: Guinea - Erschossen, verletzt, vergewaltigt, Gewaltszenario nach Präsidentschaftswahl (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. November 2010

Guinea: Erschossen, verletzt, vergewaltigt - Gewaltszenario nach der Präsidentschaftswahl

Von Grit Porsch


Berlin, 30. November (IPS) - Guinea kommt nach der Wahl des Staatspräsidenten nicht zur Ruhe. Bei den jüngsten Ausschreitungen, an denen auch Polizei und Militärs beteiligt waren, kamen mindestens sieben Menschen ums Leben. In den Krankenhäusern mussten hunderte Verletzte, zum Teil mit Schusswunden, behandelt werden. Zahlreiche Opfer waren als Unbeteiligte ins Visier der Sicherheitskräfte geraten, beschossen oder festgenommen und im Polizeigewahrsam misshandelt worden.

"Die Berichte über abscheuliche Verstöße der Sicherheitskräfte und die zwischen den Gemeinschaften wachsende Gewalt zeigen, welche schwierigen Aufgaben den neuen Staatspräsidenten erwarten", kommentierte Corinne Dufka von der internationalen Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW). "Um Guineas langer Geschichte der Gewalt ein Ende zu setzen, muss die neue Regierung eingreifen, für die politische Neutralität der Sicherheitskräfte sorgen und sich dringend um die Ursachen der ethnischen Spannungen im Land kümmern", betonte sie.

In der Hauptstadt Conakry sowie in den Hochburgen der rivalisierenden Kandidaten war es nach Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisses am 15. November zu schweren, ethnisch-politisch motivierten Gewalttaten zwischen Anhängern und Gegnern sowie von Sicherheitskräften gekommen, denen Aktivisten Parteilichkeit zugunsten des Wahlsiegers Alpha Condé vorwerfen. Die noch amtierende Militärregierung verhängte den Ausnahmezustand. Internationale Beobachter hatten die Wahl als freieste seit der Unabhängigkeit des Landes (1958) gelobt.

Weil der unterlegene Präsidentschaftskandidat Cellou Dalein Diallo von der UFDG (Union des forces démocratiques de Guinée) das Wahlergebnis angefochten hat, muss das Oberste Gericht über seine Rechtmäßigkeit entscheiden. In einer Stichwahl am 7. November hatten 52,5 Prozent der rund drei Millionen Wähler dem Kandidaten von der RPG (Rassemblement du peuple de Guinée) ihre Stimme gegeben. Für Diallo votierten 47,5 Prozent. Die beiden Präsidentschaftskandidaten sind nicht nur politische Rivalen, sondern auch Vertreter der beiden größten Volksgruppen Guineas, der Malinké (Condé) und der Peul (Diallo).


Bilanz des Grauens

HRW hat inzwischen mehr als 80 Opfer und Zeugen der Gewalt vom 15. und 19. November interviewt und anhand deren Aussagen einen Bericht über Ausmaß und Hintergründe der Ausschreitungen vorgelegt.

Die meisten Übergriffe hatten unmittelbar nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses begonnen. "An diesem Abend überfielen Jugendliche aus der Nachbarschaft viermal mein Haus", berichtete ein Mann aus Hamdalaye, einem Vorort von Conakry. Der Angehörige der Malinké war ratlos. "Warum haben sie uns angegriffen? Wir sehen uns doch gemeinsam Fußball an, trinken Tee miteinander und beten zusammen."

Viele von HRW befragte Gewaltopfer und Zeugen aus Hamdalaye, Cosa, Dar es Dalam und anderen Vorstädten Conakrys berichteten von unbegreiflichen Straßenschlachten, die sich jugendliche Peul als Anhänger Diallos und Condés junge Gefolgsleute, überwiegend Malinkés, geliefert hatten. Die Gangs waren mit Messern, Macheten, Eisenstangen und Steinen, mache auch mit Hämmern und kleinen Schwertern bewaffnet.

Auf dem Heimweg vom Markt wurde ein Ehepaar, Angehörige der Peul, von etwa 50 Männern überfallen, die Malinké sprachen. Der Mann berichtete: Sie riefen: Seht mal, das sind Peul! Wir versuchten zu fliehen, doch sie schlugen uns mit Eisenstangen und Stöcken. Ich sah, wie sie meiner Frau mit einem Hammer auf den Mund schlugen und schrie, sie sollten abhauen, doch sie fielen auch über mich her. Sie hörten erst auf, als ein alter Malinké sie anschrie und ein Polizeikommando mit Tränengas anrückte."

Mitglieder der zur Sicherung der Wahlen aufgestellten 16.000 Mann starken Sondereinheit FOSSEPEL waren nach Zeugenberichten besonders häufig an schweren Übergriffen der Sicherheitskräfte beteiligt. So berichtete en junger behinderter Mechaniker, der mit seinem Vater unterwegs war: "Wir wollten weglaufen, doch sie schossen gleich scharf. Als ich stürzte, kamen zwei von ihnen auf mich zu. Ich dachte, sie erschießen mich, doch sie traten mir in den Bauch und beschimpften mein Volk, die Peul."

Drei Zeugen hatten beobachtet, wie ein FOSSEPEL-Soldat am 17. November Mamadou Abdoulaye Bah, einen 20-jährigen Studenten erschoss. "Einer feuerte aus 40 Metern Entfernung auf den Jungen, der mit Freunden an einem Bahndamm saß. Ein Schuss traf seinen Hals", erinnerten sie sich.

Sechs junge Frauen berichteten HRW, in Labé, 400 Kilometer von Conakry entfernt, von Soldaten entführt, mehrere Tage in einem Rohbau festgehalten und vergewaltigt worden zu sein. Ärzte, die die Opfer später behandelten, bestätigten die Schändung.

Die Menschenrechtsaktivisten stellten bei ihren Untersuchungen in Guinea fest, dass Mitglieder der Sicherheitskräfte nicht alle Guineer vor Übergriffen geschützt hatten. Sie beleidigten Angehörige der Peul wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit und bedienten sich dabei auch marodierender rivalisierender ethnischer Gruppen, die Condé unterstützten.


Straflos in Uniform

In dem HRW-Bericht heißt es: "Seit Jahrzehnten hatten sich Guineas Sicherheitskräfte eher als Räuber denn als Beschützer aufgeführt. Erpressung und Raub, Diebstahl, Entführung, organisierte Kriminalität und massiver Waffeneinsatz gehen auf ihr Konto. Strafen brauchten sie nicht zu fürchten, denn die jeweiligen Regierungen bedienten sich ihrer, um die politische Konkurrenz in Schach zu halten, Wahlen zu beeinflussen und die Gerichte einzuschüchtern."

Damit dieser Missstand staatlich geförderter Gewalt beendet wird, fordert HRW, die für Schwerverbrechen Verantwortlichen, auch Politiker, vor Gericht zu bringen. Die Wurzeln ethnischer Gewalt müssen aufgedeckt und untersucht werden.

"Auch das für Guineas Geschichte charakteristische System der Straflosigkeit muss analysiert werden und die Einhaltung geltenden Rechts für die kommende Regierung wie für Guineas internationale Partner Vorrang haben", betonte Dufka. "Wenn es keine garantierte Verantwortlichkeit gibt, wird man diejenigen ermutigen, die auch in Zukunft auf Gewalt und Einschüchterung setzen wollen." (Ende/IPS/mp/2010)


Link:
http://www.hrw.org


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2010