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AFRIKA/923: Der Streik im öffentlichen Sektor und Cosatus Rolle in Südafrika (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, September/Oktober 2010

Feuer im Lager
Der Streik im öffentlichen Sektor und Cosatus Rolle in Südafrika

Von Armin Osmanovic


In Südafrika ist die WM-Euphorie verflogen. Die Gewerkschaften streiken gegen die Regierung. Ende August nahmen die Ausstände im öffentlichen Dienst für die Regierung, aber auch für die Öffentlichkeit besorgniserregende Ausmaße an. Die Kritik am Präsidenten wächst.


Der fast dreiwöchige Streit der 1,3 Millionen Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor Südafrikas, der am 6. September ausgesetzt wurde, hat den Streikenden und den Gewerkschaften in der Bevölkerung Sympathie gekostet. Durch die in manchen Fällen vollständige Blockade der Hospitäler war mancherorts selbst eine Notversorgung der Patienten nicht gewährleistet. Viele Aids-Kranke hatten etwa keinen Zugang zu ihren notwendigen Medikamenten.

Verärgert war die Bevölkerung auch über den Streik in den Schulen, denn wenige Wochen nach einem vierwöchigen Unterrichtsausfall in Folge der Fußballweltmeisterschaft standen wegen des Streiks der Lehrer schon wieder viele Schüler und Eltern vor verschlossenen Schultoren. Vom Ausfall des Unterrichts besonders betroffen waren jene Schüler, die im Oktober ihre Abiturprüfungen absolvieren, da durch WM und Streik die Vorbereitungszeit sehr knapp war.

Nachdem der Streik ausgesetzt wurde, gingen die Schüler selbst auf die Barrikaden und boykottierten ihrerseits den Unterricht, um gegen die wegen mangelnder Vorbereitungszeit unfairen Abiturvorprüfungen im September, die in die Endnote mit einfließen, zu protestieren. Sie verlangten, dass die Septembervorprüfungen allgemein als bestanden anerkannt würden. Die Schulverwaltung lehnte dies ab. Bei den Auseinandersetzungen zwischen den aufgebrachten Schülern und der Polizei starb eine siebzehnjährige Schülerin unter noch ungeklärten Umständen, als die Polizei das Feuer eröffnete.

Der wachsende Unmut in der Bevölkerung über den Streik hat die Streikbereitschaft der Gewerkschaften geschwächt. Die Gewerkschaftsspitze war von Beginn an nicht an einem langen Streik interessiert. Die Arbeitnehmer zeigten sich hingegen sehr streikbereit. Wie so oft in Südafrika mischten sich auch bei diesem Streik tarifliche mit politischen Forderungen. Die Streikenden demonstrierten mit Plakaten, auf denen sie die Regierung beschuldigten, das öffentliche Geld für privaten Luxus, wie Dienstkarossen und Reisen, zu verprassen.

Der Streik im öffentlichen Dienst verlief auch für die südafrikanischen Verhältnisse besonders gewalttätig. Vor den Krankenhäusern kam es zwischen Streikenden und der Polizei, die den Zugang zu den abgeriegelten Krankenhäusern für Ersatzpersonal, vor allem Militärärzte und Freiwillige aus der Bevölkerung durchzusetzen versuchte, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Nie zuvor wurden in Südafrika Patienten in Krankenhäusern so systematisch von Behandlungen abgeschnitten, selbst während der Apartheid sei, so viele Südafrikaner, der Zugang für die Kranken zu den Krankenhäusern trotz aller Proteste nicht derart abgeschnitten worden.


Die Forderung der Streikenden

Die Streikenden waren mit hohen Erwartungen in die Verhandlungen gegangen, da die Angestellten des staatlichen Energieversorgers Eskom Mitte des Jahres einen Abschluss in Höhe von 9 Prozent erzielten. Dieser hohe Abschluss war aber auch deshalb erzielt worden, weil die Eskom-Arbeiter drohten, während der Fußballweltmeisterschaft die Lichter gegebenenfalls ausgehen zu lassen.

Die Forderung der Streikenden nach einer Gehaltserhöhung in Höhe von 8,6 Prozent und einem monatlichen Wohnzuschuss von 1000 Rand (ca. 115 Euro) sahen einige Beobachter als durchaus gerechtfertigt an. Der Politikwissenschaftler Adam Habib von der Universität Johannesburg unterstützte die Streikenden, bezeichnete die bestehenden Löhne im öffentlichen Sektor als niedrig und verlangte deshalb eine stufenweise Anhebung der Gehälter in den nächsten Jahren. In den vergangenen Jahren hatte die Inflation 7 bis 8 Prozent betragen. Im Juli diesen Jahres lag die Preissteigerungsrate aber nur noch bei 3,7 Prozent. Der Durchschnittsverdienst der Angestellten im öffentlichen Dienst liegt nach amtlichen Statistiken vom Juni 2010 bei 6400 Rand (680 Euro) und damit deutlich unter dem allgemeinen Monatsverdienst in Südafrika in Höhe von 11.590 Rand (1230 Euro).

Die südafrikanische Zentralbank rechnete während des Streiks vor, dass der Staat bereits jetzt sehr viel für Personalkosten aufwendet. Allein auf nationaler Ebene stiegen die Personalkosten in den Jahren zwischen 2002 und 2010 von 140 Milliarden Rand auf nunmehr 322 Milliarden Rand. Damit wuchs das Gehalt jedes Jahr um durchschnittlich 10,38 Prozent und damit um etwa 6,5 Prozent über der Inflationsrate. Neben diesen realen Lohnzuwächsen muss die Staatskasse auch einen Aufwuchs der Beschäftigten im öffentlichen Dienst verkraften. Ihre Zahl wuchs nach Auskunft der Reservebank während der Krisenjahre 2008 und 2009 um insgesamt 145.500.

Das erste Angebot der Regierung hatte eine Lohnerhöhung von 5,2 Prozent und 700 Rand Wohnzuschuss für die Angestellten im Öffentlichen Dienst Südafrikas vorgesehen. Weiter wollte die Regierung den Streikenden nicht entgegen kommen. Der zuständige Minister für öffentliche Dienste Richard Baloyi erklärte, dass eine stärkere Lohnerhöhung mit einer Verschlechterung der öffentlichen Leistungen einhergehen werde, da die Regierung durch die entstehenden höheren Personalausgaben gezwungen wäre, andernorts Einsparungen vorzunehmen. Zudem drohte er den Streikenden, dass sie mit einem erheblichen Lohnausfall zu rechnen hätten, da das Ministerium die Regel "no work, no pay" (Keine Arbeit, kein Lohn) strikt anwenden werde. Zur Suspendierung des Streiks kam es erst, als die Regierung ihr Angebot nach einer direkten Intervention des Staatspräsidenten Jacob Zuma auf 7,5 Prozent mehr Lohn und 800 Rand Wohnzuschuss erhöhte. Zuma suchte mit dieser Maßnahme, die Regierung davor zu schützen, Zielscheibe des wachsenden Unmuts zu werden.


Nach dem Streik - wie weiter?

Die Cosatu-Spitze ist mit dem vorliegenden Angebot der Regierung zufrieden und drängt die zuständigen Einzelgewerkschaften der Lehrer (Sadtu) und Krankenhausbediensteten (Nehawu), die Regierungsofferte anzunehmen, da sie tunlichst den Eindruck vermeiden will, dass die Gewerkschaften auf den Rücken der Menschen, den Kranken und Schülern, ihre Ziele verfolgt. Die Gewerkschaftsmitglieder im Öffentlichen Sektor lehnen auch das verbesserte Angebot der Regierung ab, dennoch wird der Streik wohl nicht wieder aufgenommen werden, stattdessen soll am Verhandlungstisch nun ein besseres Ergebnis erreicht werden. Damit hat sich die Gewerkschaftsführung gegen viele ihrer streikbereiten Mitglieder durchgesetzt und dabei sicher einige Mitglieder enttäuscht.

Ohne den Streik und den Bildern von abgesperrten Krankenhäusern und wartenden Patienten und allein gelassenen Schülern im Nacken kann Cosatu die Regierung und den ANC leichter für die Probleme im Land verantwortlich machen und muss sich nicht selbst fragen lassen, ob lange und gewalttätige Streiks und hohe Reallohnabschlüsse die Entwicklung des Landes gefährden.

Cosatu-Chef Zwelinzima Vavi gilt in Südafrika als größter Kritiker der ANC-Regierung. Persönlich integer ist der aus einfachen Verhältnissen stammende Gewerkschaftschef Vavi bis weit in Südafrikas Wirtschaftspresse als vehementer Ankläger von Selbstbereicherungsmentalität und Missmanagement in Partei, Regierung und Verwaltung anerkannt und geschätzt. Vavi schreckt in seinem Kampf gegen Missbrauch von Macht und Geld auch nicht davor zurück, ANC-Minister persönlich anzugreifen.

Mit seinen zwei Millionen Mitgliedern hat Cosatu großes Gewicht im Land. Zuma verdankt seine Wahl zum ANC-Präsidenten 2007 in Polokwane gegen Thabo Mbeki und den Aufstieg zum Präsidenten Südafrikas 2009 wesentlich Vavi, der seit 11 Jahren die Gewerkschaften anführt. Vavi wollte mit Zuma die Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik, höhere Steuern für Reiche und die Mittelschicht sowie eine stärkere Rolle des Staates in der Wirtschaft und die Nationalisierung von strategischen Bereichen wie dem Bergbau erreichen.

Die Strategie Vavis, den ANC von innen zu verändern, sehen jene in den Gewerkschaften und außerhalb in der Linken Südafrikas als misslungen an, die eine radikalere Abkehr von der Wirtschaftspolitik der Regierungen Mandela und Mbeki wünschen.

Zuma folgt in wesentlichen Punkten der Politik seiner Vorgänger Mandela und Mbeki. Er setzt auf strikte Staatsausgabenkontrolle und die Förderung von Handel und privaten Investitionen. Wie Mbeki am Ende seiner Amtszeit erhöht auch Zuma sukzessive die Ausgaben für Soziales (Pensionen und Kindergeld), Wohnungsbau und Bildung. Sein wirtschaftspolitischer Kurs hebt sich nur insoweit von Mbeki ab, als er während der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 die Staatsausgaben zur Abfederung der sozialen Folge der Krise und mit dem Ziel, die Konjunktur zu stabilisieren, erhöhte und damit ein höheres Haushaltsdefizit in Kauf nahm. Für dieses Jahr rechnet der Finanzminister mit einem erhöhten Defizit von 6,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Vavi wünscht sich von der Regierung Zuma mehr Initiative für ein umfassenderes staatliches Beschäftigungsprogramm, höhere Steuern für Reiche und die Nationalisierung von Teilen der Wirtschaft, doch er weiß auch um die Grenzen seines Einflusses in der "großen Kirche ANC", die auch die Interessen der schwarzen Mittel- und Oberschicht vertritt, die höheren Steuern ablehnend gegenübersteht.

Ein Verlassen der Dreierallianz, wie es manche in den Gewerkschaften fordern, schließt Vavi bislang aus. Er hält an seiner Strategie fest, den ANC von innen beeinflussen zu wollen, auch deshalb, weil er den ANC nicht in die Hände von Politikern wie dem Chef der ANC-Jugendliga Julius Malema legen will, den Vavi, wie andere auch, beschuldigt, den Staat zur persönlichen Beute machen zu wollen.

Malemas Unterstützer finden sich in der Masse der Ausgegrenzten, vor allem der Jungen, die keinen Weg in den Arbeitsmarkt finden. Ende 2009 waren 53,4 Prozent aller schwarzen Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren arbeitslos. Die vom Arbeitsmarkt Ausgegrenzten werden von Malemas klaren Feindbildern, seinen Wutausbrüchen gegen weiße Farmer und ausländische Journalisten, seinem Lob für Robert Mugabes Landreform, aber auch seinem mondänen Lebensstil mit großen Autos und rauschenden Partys angesprochen. Die Gewerkschaften mit ihren Papieren, Manifesten und Workshops für eine andere Wirtschaftspolitik, den roten Einheitssweatshirts und den jährlich stattfindenden Streiks für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen tun sich schwer, die Gruppe der Ausgegrenzten noch zu erreichen.

Cosatus Anti-Korruptionskampagne soll diesem Einflussverlust entgegenwirken. Cosatu plant die Einrichtung einer unabhängigen Nichtregierungsorganisation Corruption Watch, die dem Missbrauch staatlichen Geldes nachgehen soll. Den Benachteiligten in der Gesellschaft, den Arbeitslosen und Armen, will Cosatu vor Augen führen, dass sie unter der Korruption, der Selbstbereicherung zu leiden haben, da dadurch Mittel für die Armutsbekämpfung und soziale Projekte fehlen.


Der Autor ist Vertreter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Südafrika.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 4, September/Oktober 2010, S. 8 - 9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2010