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AFRIKA/941: David gegen Goliath - Namibia bietet der EU die Stirn (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, September/Oktober 2010

David gegen Goliath
Gerangel um Wirtschaftspartnerschaften: Namibia bietet der EU die Stirn

Von Henning Melber


Die Geschichte ist bekannt: Der schmächtige Hirtenjunge tritt an gegen den massigen, bis über die Zähne bewaffneten Krieger. Er tötet diesen mit einen Steinwurf und entscheidet die Schlacht zwischen Israel und den Philistern. Das Bild von Goliath und David gibt treffend das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifik, zu denen Namibia gehört, wieder. Ein Ausgang des Kräftemessens schien nach allem Ermessen jedoch anders zu sein und eine Überraschung wie in der Ebene des Terebinthentales unwahrscheinlich (das galt allerdings auch damals). Jüngste Entwicklungen in den Verhandlungen um Wirtschaftspartnerschaften signalisieren zumindest Teilerfolge des schwächeren Verhandlungspartners. Eine Analyse der Marathonverhandlungen.


Die Verhandlungen um ein Abkommen über Wirtschaftspartnerschaften (EPA, Economic Partners hip Agreements) haben fast das ganze Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts beansprucht. Sie begannen im September 2002. Die Verträge sollten zum 1. Januar 2008 in Kraft treten. Im Cotonou-Abkommen, das den Rahmen bildet, heißt es dazu in Artikel 36(5), die Verhandlungen sollten mit jenen AKP-Ländern aufgenommen werden, "die sich selbst in der Lage dazu sehen, und auf einer Ebene stattfinden, die von ihnen als angemessen gesehen wird und mit dem von ihnen beschlossenen Prozedere übereinstimmt; dabei soll die regionale Integration in der AKP im Blick behalten werden."

Das hört sich sensibel an, doch die Verhandlungen gestalteten sich zu dem wohl umstrittensten Projekt, wie es die europäischen Beziehungen zu Afrika seit dem Ende der Kolonialherrschaft nicht mehr belastet hat. Der Ton wurde immer schärfer, und Dissonanzen bestimmen die europäisch-afrikanischen Beziehungen. Die Verheerungen dieser Kontroverse für die Beziehungen zwischen den Kontinenten sind erheblich. Bei den meisten afrikanischen Staaten dürfte die europäische Reputation erheblichen Schaden erlitten haben.

Europa hat mittlerweile die direkte Kontrolle über Teile seines ehemaligen "Hinterhofs" verloren. Der Ruf einer soft power ist dahin. Der Anspruch, sich stärker an moralischen Kriterien zu orientieren als andere Mächte, die um Einfluss und Zugang zum Kontinent rangeln, wird Europa nicht mehr abgenommen. Das Vorgehen des Handelskommissariats der Europäischen Kommission hat erhebliche Frustrationen bei den Partnern ausgelöst, die sich alles andere als anerkannt und respektiert fühlen.


Eine kritische Bewertung der EPAs

In den 1990er Jahren wurde die Welthandelsorganisation WTO zum Makler für die Gestaltung des weltweiten Austauschs von Gütern nach verbindlichen Regeln für alle. Die Eigentumsrechte wurden dabei im Interesse der mächtigen Industriestaaten ausgedehnt. Die Interessen des Südens gerieten dabei einmal mehr unter die Räder. Mit ihrem oberflächlichen Konzept von Reziprozität dient die WTO als Wächter für die Aufrechterhaltung des Status Quo. Als Regulierungsinstanz kann sie abweichende Strategien unterbinden, die nach größerer Autonomie von globalen Bestimmungen und Handelsvorschriften streben. Die Geberländer, allen voran die USA und die EU, erklärten "Handel als Hilfe" zum handlungsleitenden Postulat und unterminierten dadurch die in parallelen Initiativen weiter gepriesene Förderung regionaler Kooperation.

Erklärtes Ziel der EPA-Verhandlungen war seitens der EU die Kompatibilität des Cotonou-Vertrages mit der WTO. Doch im Laufe der Verhandlungen wuchs der Widerstand in der AKP. Die Staaten fürchteten ihre Handelspräferenzen zu verlieren. Sie gewannen den Eindruck, dass Brüssel einen einseitigen Handelsvertrag zugunsten der EU anstrebt, der die verbrieften Rechte der Partner auf autonome Verhandlungen negiert und die Landkarte regionaler Zusammenschlüsse gemäß europäischer Vorstellungen revidiert. Statt "Handel als Hilfe" schien der Zugang zu wichtigen Märkten und die Sicherung von Austauschbeziehungen vor allem zum eigenen Vorteil das eigentliche Motiv zu sein. Anspruch und Wirklichkeit klafften weit auseinander.

Die Ziele der EPAs gehen weit über die WTO-Regeln hinaus. Sie verfolgen eine viel rigidere "reziproke Liberalisierung", mit der die bestehenden engen Handelsverbindungen abgelöst werden sollen. "Präferentielle Abkommen" banden viele afrikanische Staaten über cash-crop-Exporte an die ehemaligen Kolonialherren. Mit der neuen Strategie, so warnte Patrick Bond schon 2004, würden die dürftigen Industrien und Dienstleistungen Afrikas nach zwei Jahrzehnten der Strukturanpassung wohl an die europäischen Wirtschaften und an fortgeschrittene Technologie verloren gehen.

Der EU wird vorgeworfen, die EPA-Verhandlungen als Vorwand zu nutzen, um den Rahmen auf eine Reihe sensitiver Themen (wie Investitionen, Ausschreibungspflicht und Wettbewerbspolitik) auszuweiten, die von den Entwicklungsländern bei den WTO-Verhandlungen 2003 zurückgewiesen wurden.

Die EU-Handelskommission hat noch im Juni 2010 diese Zielsetzung bestätigt: Die Verträge umfassen laut ihrer eigenen Auffassung den Handel mit Gütern und Dienstleistungen, Investitionen und weitere handelsrelevante Regelungen wie Wettbewerbspolitik, Handelserleichterungen, sanitäre und phytosanitäre Standards, Schutz des geistigen Eigentums sowie Standards in Handel, Umwelt und Arbeit.

Die EU - so Ian Taylor in seinem 2010 erschienenen Buch The International Relations of Sub-Saharan Africa - habe erfolgreich neue Konzessionen bei einer "neuen Generation" der Liberalisierungen, den so genannten Singapur-Themen durchzusetzen vermocht. Der Einschluss von "Singapur-Themen" ist nicht notwendig, um die EPAs mit den WTO-Regeln kompatibel zu machen. Für die EU sei deren Einbeziehung jedoch zentraler Bestandteil des Prinzips der Reziprozität. Damit würde "die Dominierung der AKP-Wirtschaften durch europäische Unternehmen zementiert, wenn nicht ausgeweitet".

Die Bedenken wachsen, dass solche Abkommen den politischen Raum afrikanischer Regierungen einschränken und als Druckmittel bei politischem Nicht-Wohlverhalten dienen. Die EPAs umfassen Klauseln, die restriktiver sind als in vergleichbaren Abkommen der EU oder der USA.

Die EU verhandelt separate Verträge mit verschiedenen Regionen, und die Länder müssen sich entscheiden, in welcher der neugeschaffenen Gruppen sie mitverhandeln wollen. Damit werden die AKP-Staaten geschwächt, weil ihnen verwehrt ist, ihr Gewicht als kollektive Verhandlungsmacht einzubringen. Ferner werden bestehende regionale Zusammenschlüsse geteilt. Man könnte es eine neue Aufteilung Afrikas nennen. Hier bahnt sich ein Konflikt an zwischen bestehenden Regionalzusammenschlüssen und Verhandlungen in neuen multilateralen Zusammenhängen. Die einzelnen Staaten stehen vor der Entscheidung, auf langfristige regionale Zusammenarbeit oder die unmittelbaren Vorteile präferentieller Handelsverträge zu setzen.


Die Situation für SADC und SACU

Die Southern African Development Community (SADC) hat 15 Mitgliedsstaaten. Die EPA-Verhandlungen werden in vier Gruppen geführt. Die DR Kongo wird zu Zentralafrika gerechnet. Tansania verhandelt mit den Staaten der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC). Zur Gruppe des östlichen und südlichen Afrika (ESA) zählen Madagaskar, Malawi, Mauritius, Sambia, Seschellen und Simbabwe. Unter dem irreführenden Namen SADC-Gruppe firmieren Angola, Botswana, Lesotho, Mosambik, Namibia, Südafrika und Swasiland. Die SADC will bis 2012 eine Freihandelszone schaffen; die Mitgliedschaft in verschiedenen Verhandlungsgruppen läuft diesem ehrgeizigen Ziel entgegen.

Die Situation Mitte 2010 spiegelt deutliche Meinungsverschiedenheiten wider, die in mehrfacher Hinsicht die Verhandlungen blockieren. Als der Zeitplan nicht mehr einzuhalten war, offerierte die EU ein Interims-EPA (IEPA), angeblich, um damit der WTO-Kompatibilität genüge zu tun. Anfang Juni 2010 deutete die EAC-Gruppe an, sie sei für die Unterzeichnung eines IEPA nicht bereit. Auch die Verhandlungen mit der zentralafrikanischen Gruppe brachten keine konkreten Ergebnisse.

In der ESA-Gruppe unterzeichneten am 29. August 2009 Madagaskar, die Seschellen (sie haben als einzige bisher auch ratifiziert) und Simbabwe ein IEPA, nicht jedoch Malawi und Sambia. Von der SADC-Gruppe unterzeichneten Botswana, Lesotho und Swasiland am 4. Juni 2009 einen Übergangsvertrag, es folgte Mosambik am 15. Juni 2009. Angola, Namibia und Südafrika verweigerten jedoch eine Unterschrift. Alles in allem haben sieben der 15 SADC-Staaten ein IEPA unterzeichnet.

Zur Southern African Customs Union (SACU) gehören fünf Mitglieder der SADC-Verhandlungsgruppe: Botswana, Lesotho, Namibia, Südafrika und Swasiland. Drei von ihnen haben im vergangenen Jahr ein IEPA unterzeichnet. Doch in einem Schreiben vom 11. Februar 2010 teilten die Handelsminister der SACU dem neuen Handelskommissar der EU, Karel de Gucht, mit, dass keine Absicht bestünde, das IEPA auch nur provisorisch anzuwenden. Sie forderten stattdessen weitere Verhandlungen und eine Einigung über ein umfassendes Vertragswerk mit der geschlossenen Gruppe, "ohne ein Land zu benachteiligen oder ein Abkommen zu erzwingen, das nicht im seinem wohlverstandenen Interesse liegt". Gleichzeit gaben sie ihrer Hoffnung Ausdruck, zu einem erfolgreichen Abschluss zu gelangen.

De Gucht antwortet am 31. März 2010. Seinem Verständnis nach seien die Unterschriften der vier unter das IEPA "gewissenhaft von den Ministern geleistet in klarer Kenntnis von den rechtlichen und praktischen Konsequenzen und Verpflichtungen". Er wies nachdrücklich darauf hin, dass Abkommen einzuhalten seien. Er erinnerte die Minister daran, dass "eine Verweigerung zu unterschreiben, zu notifizieren und anzuwenden eine große Rechtsunsicherheit bei der Regelung des Marktzugangs sowohl nach europäischem Recht wie nach den Regeln der WTO schafft". Er überging die Sorgen der SACU-Minister hinsichtlich der regionalen Integration und ihre Bitte um ein Treffen und forderte sie vielmehr auf, "zügig Unterschrift, Ratifizierung und Umsetzung des IEPA zu leisten".

Geist und Ton dieser Antwort machen es schwer, hier nicht ein überhebliches, wenn nicht schurigelndes Verhalten zu sehen, mit dem die EU jede abweichende Meinung abbügelt. Das ist kennzeichnend für die Verhandlungsführung seit den Tagen des Kommissars Peter Mandelson. Das ernüchternde Ergebnis einer solchen Unfähigkeit, sich auf gleich berechtigte Partner einzulassen, dokumentiert der Beschluss des EU-Handelskommissariats Mitte Juni 2010, die IEPAs mit der SADC-Gruppe "können nicht implementiert werden, solange nicht alle Partner unterschrieben haben". Das bedeutet, sie sind nicht in Kraft. Den hartnäckigsten Widerstand gegen ein IEPA aber leistet Namibia.


Der Fall Namibia

Angola und Südafrika fahren im SADC-Block eine ähnliche Linie. Doch anders als der südliche und der nördliche Nachbar hat Namibia die kleinste und anfälligste Volkswirtschaft der drei Länder und geht mit seiner Weigerung ein hohes Risiko ein. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen reiht Namibia in die Länder mit unterem Mitteleinkommen ein. Insofern erhält es nicht den Status eines gering entwickelten Landes (LDC). Diese formale Zuordnung kontrastiert mit dem höchsten Gini-Koeffizient der Welt. Das heißt, Namibia führt die Länder mit der größten Einkommensungleichheit an, was sich in der massiven Armut der Mehrheit der Bevölkerung niederschlägt.

Angola auf der anderen Seite verfügt über enorme Einkommen aus der Ölförderung, die allerdings auch nur einer kleinen Oligarchie zugute kommen, wird aber als LDC eingestuft. Das ermöglicht dem Land einen präferentiellen Zugang zum europäischen Markt nach den Regeln der Initiative Everything-But-Arms (EBA). Zudem verfügt Angola über wertvolle Ressourcen, für die Europa durchaus bereit ist, bei einem Fehlverhalten ein Auge zuzudrücken. Allem voran sind die Ölreserven ein international begehrtes Gut, das dem Land ein politisches Gewicht und Verhandlungsmacht verleiht.

Südafrika wiederum hat mit der EU einen Freihandelsvertrag, das Trade, Development and Cooperation Agreement (TDCA), abgeschlossen. Dieses steht in voller Übereinstimmung mit der WTO. Es wurde in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in eklatanter Verletzung der SACU-Satzung ausgehandelt, die vorab einen Konsens mit den anderen Unionsmitgliedern verlangt. Das TDCA erlaubt der EU, subventionierte Güter zollfrei auch auf die Märkte der anderen SACU-Länder zu bringen. Damit wird jeder Schutz für lokale Produzenten gegen einen solchen unlauteren Wettbewerb unterlaufen. Die EU profitiert also über den Freihandelsvertrag mit Südafrika schon längst von einem offenen Markt der SACU und ist auf ein EPA gar nicht mehr angewiesen, solange die Zollunion intakt ist.

Aufgrund des TDCA und der Tatsache, dass Südafrika kein AKP-Staat ist, wurde Südafrika zunächst nicht in die EPA-Verhandlungen einbezogen. Allein dieser unlogische Ausschluss, die zentrale Rolle des Landes in der Region und seine integrierte Wirtschaft aufgrund der Zugehörigkeit zu SADC und SACU führten zu einer späten Korrektur. Südafrika wiederum hat ausreichend Gründe, manche Folgen aus dem Freihandelsvertrag für zweifelhaft und schädlich genug zu finden, um eine skeptische Position gegenüber den EPAs zu haben. Dank des TDCA kann sich Südafrika eine zögerliche Haltung leisten.

Namibia dagegen hatte ursprünglich einem IEPA-Entwurf Ende 2007 zugestimmt. Auf einem Treffen in Swakopmund Mitte März 2009 wurden jedoch spezifische Bedenken und substanzielle Vorbehalte Namibias protokolliert. Sie wurden allerdings danach nicht in den IEPA-Text aufgenommen, sondern von der EU-Kommission als eine Angelegenheit behandelt, mit der man "in good faith" umzugehen gedenke.

Namibias Minister für Handel und Industrie, Hage Geingob, gestattete sich eine etwas andere Sichtweise: Er warf der EU vor, die vereinbarten Zusicherungen nicht schriftlich bestätigt zu haben. Er verweigerte seine Unterschrift und beschwor damit kaum verhüllte Drohungen herauf, Namibia den präferentiellen Zugang zum europäischen Markt zu versperren. Das hätte Exporteinbrüche bei Rindfleisch, Fisch und Weintrauben im Wert von drei Mrd. Namibia-Dollar (umgerechnet 300 Mio. Euro) bedeutet, als ein ganz substanzieller, wenn nicht unverzichtbarer Anteil an den Einnahmen der heimischen Fleisch-, Fisch- und Traubenproduzenten.

Mitte Mai 2010 begründete Geingob in einer Parlamentsrede seine Weigerung, dem Druck nachzugeben und ein IEPA zu unterzeichnen Als schwerwiegende wirtschaftliche und politische Konsequenzen führte er auf, Namibia hätte andernfalls "seine politische Option verwirkt, Exportsteuern auf Rohstoffe zu erheben"; mit einer solchen Steuer könnten Anreize für eine Weiterverarbeitung im Lande geboten werden. Ferner hätte Namibia das derzeitige System zum Schutz junger Industrien aufgeben müssen und "all unsere Investitionen in das Green Scheme, Vermarktung von Gartenprodukten, Getreidespeicher, Ausweitung der Agrarproduktion und Veredlung von Agrarprodukten" verloren. Das hätte wiederum zu "einer ernsthaften Störung der ländlichen Wirtschaft geführt und den Lebensunterhalt Tausender Kleinbauern gefährdet". Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die Meistbegünstigungsklausel. Sie schreibt vor, dass alle Handelsabkommen mit Dritten, die mehr als 1,5 Prozent des Welthandels ausmachen, automatisch auch die EU in den Genuss dieser Begünstigung bringen. Angesichts der laufenden Verhandlungen um ein Handelsabkommen zwischen der SADC und Indien sieht Geingob darin eine Obstruktion der Süd-Süd-Beziehungen durch die EU.


Weg aus dem Patt?

Seit Mitte 2010 lockerten sich die Fronten. Nach einer hochrangigen technischen Sitzung in Brüssel Anfang Mai protokollierten die Handelsminister des Südlichen Afrika am 17. Juni in Gaborone ihre Absicht, den Abschluss eines EPA bis Jahresende unter Dach und Fach zu bringen. Das klang überoptimistisch. Doch es war ein neuer Impuls; auch deswegen, weil das EU-Handelskommissariat signalisierte, die Vereinbarungen von Swakopmund im EPA-Text zu verankern. Umstrittene Punkte gibt es allerdings noch genügend, etwa die Absteckung des Marktzugangs, die Tarife und Ursprungsregeln. Ihre Klärung ist für die SADC und SACU von essenziellem Interesse.

Während sich Kommissar de Gucht noch im Frühjahr einer Diskussion verweigerte, deutete er im Juli an, "dass Fragen zur Nahrungssicherung, Schutz junger Industrien, freier Fluss von Gütern und Exportsteuern in ein abschließendes EPA integriert werden". Er teilte die Ansicht, dass bis Ende 2010 ein modifiziertes, umfassendes EPA mit der SADC-Gruppe in Kraft treten könne. David hätte dann Goliath zumindest ein wenig in die Schranken gewiesen.

Schließlich steht auch für die EU einiges auf dem Spiel - nicht zuletzt ihre Reputation und die Akzeptanz ihrer Afrikapolitik. Aber auch Südafrika bewegt sich auf dünnem Eis. Als regionale Wirtschaftsmacht steht das Land vor der Entscheidung, als freundliche Führungsmacht oder als regionale Imperialmacht zu agieren, die ausschließlich eigenen Interessen folgt. Das Land überdenkt derzeit die Verteilungsformel der SACU-Einnahmen, die nach Südafrikas Ansicht die Partner über Gebühr begünstigt, und strebt eine drastische Anpassung an (siehe voranstehenden Beitrag zu Swasiland). Das hätte verheerende Auswirkungen auf die Staatseinnahmen von Botswana, Lesotho, Namibia und Swasiland und könnte letztendlich das Ende der SACU besiegeln und die SADC weiter aufspalten.

Yash Tandon qualifizierte dieses Problem am 9. März in einem Vortrag vor dem Harold Wolpe Memorial Trust in Kapstadt jenseits aller wirtschaftlichen Arithmetik als im Kern politische Frage: "Kann Südafrika es sich leisten, die SACU in den Schoß der Europäischen Union zu treiben? Kann sich Südafrika leisten, Europa eine erneute Aufteilung Afrikas zu erlauben? Not tut eine Führung mit Verstand auf allen Seiten und kundige Verhandlungen, die sich nicht einfach nach dem Motto ,wie du mir so ich Dir' oder Abgeltung richten, sondern langfristige Ziele zum Nutzen aller Menschen der Region verfolgen."


Der Autor ist geschäftsführender Direktor der Dag Hammarskjöld Stiftung in Uppsala/Schweden und Research Associate der Universität Pretoria. Er ist seit 1974 Mitglied der Swapo. Der Beitrag basiert auf einem längeren Manuskript zur Veröffentlichung in afriche e orienti und wurde von Hein Möllers in eine autorisierte deutsche Kurzfassung übertragen.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 4, September/Oktober 2010, S. 28 - 30
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2011