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ASIEN/622: Indien - Fesseln für die Medien, Journalisten in Kaschmir wehren sich (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Juli 2010

Indien: Fesseln für die Medien - Journalisten in Kaschmir wehren sich

Von Athar Parvaiz


Srinagar, Indien, 21. Juli (IPS*) - Abdul Rehman war überrascht, als er eines Morgens keine Zeitung mehr vor der Tür fand. Auch an den nächsten drei Tagen musste der Inder ohne seine übliche Lektüre auskommen. Die Journalisten in der Stadt Srinagar im indisch verwalteten Teil Kaschmirs befanden sich im Streik, weil sie aufgrund neuer Sicherheitsbestimmungen der Regierung nicht mehr ungehindert arbeiten konnten.

Die Pressevertreter legten kürzlich zum ersten Mal seit Ausbruch des Konflikts in Kaschmir vor mehr als 20 Jahren die Arbeit nieder. Die Sicherheitslage hat sich in den vergangenen zwei Jahren zwar verbessert. Es wird vorwiegend friedlich demonstriert, bewaffnete Auseinandersetzungen sind selten geworden.

Dennoch ist der Druck auf die Medien weiter gewachsen. Dabei wurde die Presse bereits vorher misstrauisch beäugt, sowohl von den Behörden als auch von den Regierungskritikern. Reporter und technische Mitarbeiter von Zeitungen müssen seit neuestem aber weitere erhebliche Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit hinnehmen. "Solche Maßregelungen der Presse hat es in Kaschmir bisher nicht gegeben", sagte Zaffar Mehraj, leitender Redakteur bei einer Zeitung.

Die Lage wurde schwieriger, als es jüngst zu neuen Gewaltausbrüchen in der überwiegend von Muslimen bewohnten Region kam. Die Menschen hegen einen tiefen Groll gegen die rund 500.000 indischen Soldaten, die in Kaschmir stationiert sind. Eine im Mai geführte Umfrage der Londoner Denkfabrik Chatham House hat ergeben, dass 75 bis 95 Prozent der Kaschmiri für die Unabhängigkeit von Indien sind.

Im Streit um Kaschmir hat Indien bisher drei Kriege gegen seinen Nachbarn Pakistan geführt, der ebenfalls Anspruch auf das Territorium erhebt. Am 11. Juni schossen indische Sicherheitskräfte einen 17-jährigen Schüler im Zentrum von Srinagar nieder. Daraufhin kam es zu Protesten im gesamten Bundesstaat, in deren Verlauf 14 weitere Menschen getötet und Dutzende verletzt wurden. Die meisten von ihnen waren Jugendliche.


Ausgangssperren in Kraft

In einem Großteil von Kaschmir gelten nach wie vor Ausgangssperren, da die Regierung weitere Ausschreitungen befürchtet. Von diesen Regelungen sind auch Journalisten betroffen, die sich vorher auch während Ausgangssperren frei bewegen durften. Wer sich den Behörden widersetzt, bekommt dies schmerzhaft zu spüren. "Reporter und Fotografen wurden gnadenlos zusammengeschlagen", empörte sich der Redakteur Bashir Ahmad Bashir. Gegen mehrere Kollegen seien Gerichtsverfahren eingeleitet worden, um sie an der Berichterstattung zu hindern. Aus diesem Grund hätten sich mehrere Medienverbände entschlossen, für vier Tage einen Streik auszurufen, sagte er.

Riyaz Masroor, ein Kollege von der englischsprachigen Zeitung 'Rising Kashmir', berichtete, von Polizisten tätlich angegriffen worden zu sein, nachdem er sich als Journalist zu erkennen gegeben habe. Nur vom Staat kontrollierte Informationen kämen noch an die Öffentlichkeit.

Die Regierung bestreitet jedoch Repressalien gegen die Presse. "Wir mussten die Sondergenehmigungen außer Kraft setzen, um Missbrauch zu verhindern", begründete Regierungssprecher Khurshid Ahmad die allgemeine Ausgangssperre. Bei Journalisten seien jedoch Ausnahmen gemacht worden. Die Betroffenen sehen dies allerdings anders. Journalistenverbände beschweren sich darüber, dass nur einige wenige Genehmigungen ausgestellt worden seien.

Politische Beobachter vermuten, dass ganz andere Gründe ausschlaggebend sind. Ende Juni hatten die Behörden bereits lokale Kabelfernsehsender dazu gezwungen, ihre einstündigen abendlichen Nachrichtensendungen auf eine Viertelstunde zu kürzen und nur einmal auszustrahlen. Viele Medienbetreiber mussten sich zähneknirschend fügen, um nicht ihre Lizenzen zu verlieren.


Kaum unabhängige Informationen

Private Satellitenfernsehkanäle und -radiosender gibt es in Kaschmir nicht. "Den Leuten bleibt kaum eine Wahl", erklärte der politische Kommentator Sheikh Showkat. "Entweder sie lesen die Lokalzeitungen oder sie schalten örtliche Kabelkanäle ein, um objektive Informationen zu erhalten." Der staatliche Rundfunk sei keine verlässliche Nachrichtenquelle, da nur über das berichtet werde, was der Regierung passe.

Auch in der Vergangenheit mussten die Menschen in Kaschmir größere Beeinträchtigungen der Pressefreiheit hinnehmen. Seit Beginn des Konflikts 1989 seien mindestens zehn Journalisten getötet worden, sagte der Reporter Jahangir Bukhari. Etwa ein Dutzend Kollegen hätten Angriffe überlebt, zahlreiche weitere seien verprügelt und bedroht worden.

Auch wenn es keine Gesetze gebe, die die Pressefreiheit beschränkten, hätten die Medienvertreter in Kaschmir meistens unter schwierigen Bedingungen gearbeitet, meinte Bukhari. "Aus Angst haben sich manche von ihnen sogar eine Selbstzensur auferlegt." (Ende/IPS/ck/2010)


* Dieser Bericht stammt vom 'Asia Media Forum', das vom IPS-Regionalbüro für Asien und den Pazifikraum koordiniert wird.

Links:
http://www.risingkashmir.com/
http://www.chathamhouse.org.uk/
http://www.theasiamediaforum.org
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=52197

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 21. Juli 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2010