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ASIEN/782: Pakistan - Anschläge auf Sufi-Schreine (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Dezember 2011

Pakistan:
Anschläge auf Sufi-Schreine - Taliban verspielen letzte Sympathien

von Ashfaq Yusufzai


Peshawar, 22. Dezember (IPS) - In den pakistanischen Grenzgebieten zu Afghanistan haben die Taliban Menschen hingerichtet, Schulen in Schutt und Asche gelegt und Musikgeschäfte gesprengt. Doch ihre Anschläge auf die antiken Schreine der Sufi-Mystiker sind in den Augen der meisten Muslime der Region ein unverzeihliches Sakrileg.

Beschädigter Sufi-Schrein wird renoviert - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Beschädigter Sufi-Schrein wird renoviert
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

"Vor drei Jahren war ich noch für die Taliban, weil ich dachte, sie seien wahre Muslime. Doch dass sie vor den Schreinen der Heiligen nicht Halt machten, stößt mich und viele andere Menschen ab", kommentierte Afaq Ali, ein Ladenbesitzer in der Agentur (Verwaltungsbezirk) Khyber, die Zerstörung der Schreine von Sheikh Bahadar Baba und Sheikh Nisa Baba in diesem Monat.

"Diese Übergriffe sind inakzeptabel, und die Menschen, die die Taliban einst finanziell unterstützten, hassen sie nun", versicherte Ali im IPS-Gespräch. "Die Menschen bringen ihnen keinen Respekt mehr entgegen."



Übergriffe seit 2005

Seit 2005 führen die Taliban Anschläge auf die Gräber der Mystiker und Dichter durch, weil die Wahhabiten unter den selbsternannten Gotteskriegern die Heiligenverehrung als 'unislamisch' ablehnen. In ganz Pakistan haben sie bisher etwa 25 Heiligenschreine zerstört. Die Wahhabiten sind islamische Fundamentalisten, die vor allem in Saudi-Arabien verbreitet sind.

"Die Taliban bestehen aus unterschiedlichen Gruppierungen", erläutert der Mufti Ghulam Nabi, ein Geistlicher aus Peshawar. "Die Wahhabiten wollen mit ihren Attacken die Menschen vom Besuch der Schreine abhalten. Bei allen anderen Muslimen stehen die Sufis und ihre Mystiker hingegen in hohem Ansehen."

Dem Kleriker Maulana Ghulam Rasool zufolge sind die Taliban-Kämpfer der 'Tehreek Taliban Pakistan' gegen die Zerstörung der Heiligtümer. In den Augen der Mitglieder der 'Ahl-i Hadith'-Schule (Wahhabiten). Auch Rasool ist der Meinung, dass die Übergriffe auf die Schreine dem Ansehen der Taliban geschadet haben.

Bis zur Zerstörung des Schreins von Bari Imam in Islamabad am 28. Mai 2005 durch einen Selbstmordattentäter waren Übergriffe auf Sufi-Schreine unvorstellbar gewesen. Bei dem Angriff starben 20 Menschen. 2006 überfielen pakistanische Taliban den Schrein von Haji Sahib Turangzai in der Mohmand-Agentur und machten ihn zu ihrem Hauptquartier.

In den darauf folgenden Jahren kam es zu weiteren Übergriffen, die zur Vernichtung wichtiger Schreine wie des von Abdul Shakoor Baba in Chamkani in Peshawar führten. Als die Taliban schließlich am 5. März 2009 das aus dem 17. Jahrhundert stammende Mausoleum des Sufi-Dichters Abdul Rahman Baba in Peshawar in die Luft sprengten, hatten die Menschen genug und protestierten offen gegen die Zerstörungswut der 'Gotteskrieger'.

"Taliban haben mit den Übergriffen auf die Sufi-Schreine gezeigt, dass sie keine Muslime sind. Sie handeln, um den Feinden des Islam zu gefallen", meint die 26-jährige Hausfrau Saeed Bibi. "Ich will mit den Taliban nichts mehr zu tun haben."

Die pakistanische Regierung hat versucht, die wichtigsten Sufi-Schreine vor den Anschlägen zu schützen. 2009 konnten die Sicherheitskräfte rechtzeitig intervenieren, um einen Brandanschlag auf das Grab des hochverehrten Heiligen Pir Baba im Bezirk Buner in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa zu verhindern. Doch drei Selbstmordattentätern gelang es, den berühmten Data Darbar-Schrein in Lahore im Juli 2010 zu beschädigen. Der Anschlag kostete mindestens 40 Menschen das Leben.

"Wir haben 800.000 US-Dollar für den Wiederaufbau der beschädigten Schreine bereitgestellt und Sicherheitskräfte abgestellt, die die Heiligtümer schützen sollen", berichtet der Informationsminister von Khyber Pakhtunkhwa, Mian Iftikhar Hussain.


Drohbriefe

"In Drohbriefen wurden wir aufgefordert, Frauen vom Besuch der Schreine abzuhalten, um ein weiteres Blutvergießen zu verhindern", so Umar Shah, der das Grab von Amir Hamza Khan Shinwari betreut, eines Dichters und Mystikers des 20. Jahrhunderts. Im Juli war ein Anschlag auf das Grab verübt worden. "Die militanten Kämpfer sind der Meinung, dass sich Frauen, die den Schrein besuchen, sittenwidrig verhalten. Dabei kommen sie nur her, um sich segnen zu lassen", meint Shah.

"Dass die Taliban Schreine der Dichter ins Visier nehmen, zeigt, dass sie gegen Kultur und Dichtung sind. Doch die meisten Menschen lieben ihre Kultur und betrachten jeden, der die Gräber der Dichter schändet, als Feind des Islams", meint der Dichter Muhammad Abdullah.

Die Khyber-Literaturgesellschaft gehört zu den Kultureinrichtungen, die sich für den Schutz der Gräber der Sufi-Dichter einsetzen. "Wir haben Freiwilligenkomitees gegründet, die die Schreine nachts bewachen", berichtet Ali Kamran, ein Mitglied der Gesellschaft. "Die Regierung unterstützt uns dabei." Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2011