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ASIEN/857: Nepal - Demokratie in weiter Ferne, Menschenrechtsverbrechen aus Bürgerkrieg ungesühnt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. September 2013

Nepal: Demokratie in weiter Ferne - Menschenrechtsverbrechen aus Bürgerkrieg ungesühnt

von Sudeshna Sarkar


Bild: © Bimal Chandra Sharma/IPS

Nanda Prasad Adhikari und seine Frau Ganga Maya im Hungerstreik
Bild: © Bimal Chandra Sharma/IPS

Kalkutta, Indien, 20. September (IPS) - Als die Polizei in diesem Monat in Nepals Hauptstadt Katmandu den mutmaßlichen Mörder eines Teenagers verhaftete, ging es für Nanda Prasad Adhikari und seine Frau Ganga Maya um Leben und Tod. Das 18-jährige Opfer, 2004 vom maoistischen Rebellen entführt und brutal umgebracht, war ihr Sohn. Zorn und Frust über die Straffreiheit der Täter sieben Jahre nach Ende des Bürgerkriegs veranlassten die Eltern, in den Hungerstreik zu treten.

Adhikari und Maya waren am Ende so geschwächt, dass sie in ein Krankenhaus gebracht werden mussten. Ihre Protestaktion brachen sie nach 47 Tagen aber erst dann ab, als die Übergangsregierung nach der Festnahme zusicherte, dass der Mord aufgeklärt und die Familie entschädigt werde.

Subodh Pyakurel, der Leiter der größten nepalesischen Menschenrechtsorganisation 'Informal Sector Service Centre' (INSEC), reagierte jedoch mit Skepsis auf das Versprechen der Regierung. "Die Ära der Königsherrschaft ist nicht zu Ende", sagt Pyakurel. Damit bezog er sich auf die Zeit nach 2005, als sich der ehrgeizige Monarch Gyanendra nicht mehr mit der Rolle des Repräsentanten begnügen mochte und in einem von der Armee unterstützten Putsch die Macht an sich riss.


Kein Vertrauen in gewählte Regierungen

In den folgenden zwei Jahren wurden die bis dahin schlimmsten Menschenrechtsverletzungen sowohl vom Militär als auch von der Guerilla begangen. Morde, Entführungen und Verschleppungen nahmen zu. Trotz der späteren Abschaffung der Monarchie nehmen die Nepalesen die seitdem gewählten Regierungen als genauso diktatorisch wahr wie das königliche Regime.

"Die Maoisten, die nach Unterzeichnung eines Friedensabkommens an die Macht kamen und die Wahlen 2008 gewannen, haben das Gesetz ebenso missachtet wie der gestürzte König. Sie haben nicht nur dabei versagt, die während ihres 'Volkskriegs' für Gräueltaten verantwortlichen Kader in ihren Reihen zu bestrafen, sondern beförderten zudem das Armee- und Sicherheitspersonal, das ähnlicher Verbrechen schuldig war", erklärt Pyakurel.

Im INSEC-Jahrbuch der Menschenrechte 2013 sind 13.276 Morde während des Bürgerkriegs erfasst, der 1996 ausbrach. Damals verließen die Maoisten das Parlament in Katmandu und gingen in den Untergrund, um gegen den Staat Krieg zu führen. Sie forderten Gleichheit für alle und die Abschaffung der Monarchie.

Mehr als 1.000 Menschen verschwanden in dieser Zeit spurlos und nicht eine einzige außergerichtliche Hinrichtung, Entführung, Vergewaltigung oder Folterung ist geahndet worden. Dabei haben die Maoisten und andere größere politische Parteien 2006 ein Friedensabkommen unterzeichnet, in dem sie die Einrichtung einer Wahrheitskommission zur Ahndung von Kriegsverbrechen zusicherten. Außerdem sollte ein weiterer Ausschuss das Schicksal der Verschwundenen klären.

Nach sieben Jahren sind die beiden Kommissionen immer noch nicht eingesetzt worden. "Als Opfer und Aktivist bin ich enttäuscht, dass kein einziger Täter vor Gericht gekommen ist", sagt der Rechtsanwalt Jitman Basnet, der sich als Journalist den Zorn der Armee und der Maoisten zugezogen hatte. 2002 wurde er von den Rebellen verschleppt und mit dem Tode bedroht, weil er ihre Exzesse und die Zerstörung öffentlichen Eigentums angeprangert hatte. Im Jahr darauf verfolgte ihn das Militär, weil er über ein vorsätzlich begangenes Massaker berichtet hatte, das die Maoisten zum Abbruch der Friedensgespräche bringen sollte.

Basnet war mehr als acht Monaten lang in einem berüchtigten Geheimgefängnis der Armee inhaftiert. Seine Augen waren ständig verbunden, und er musste fortwährend Handschellen tragen. Wie andere illegal Inhaftierte wurde er regelmäßig misshandelt und mit Elektroschocks gefoltert. Viele Häftlinge in dem Lager verschwanden spurlos.


Straffreiheit, obwohl Täter bekannt

Nach seiner Freilassung verarbeitete Basnet seine Erlebnisse in dem Buch '258 Dark Days' (258 dunkle Tage) und beschrieb illegale Festnahmen, Verschleppungen und Folter. "Ich gab die Namen von Armeeoffizieren preis, die an Menschenrechtsverbrechen beteiligt waren, weil ich hoffte, damit zu den Ermittlungen der von der Armee begangenen Gräuel beitragen zu können", sagt er. Das Buch erregte zwar großes Aufsehen, doch keiner der genannten Offiziere wurde bestraft.

Basnet strengte daraufhin drei Klagen vor dem Obersten Gerichtshof gegen Armeeoffiziere und sogar gegen König Gyanendra an. Da der Monarch der Oberbefehlshaber über die Streitkräfte gewesen sei, habe er letztlich die Schuld an illegalen Festnahmen, Misshandlungen, Verschleppungen und Morden getragen, argumentiert er. Basnet brachte die Fälle auch vor die Vereinten Nationen und andere internationale Foren. Und immer noch passierte nichts. "Es wurde keine Kommission gebildet, um die Verbrechen der Vergangenheit zu untersuchen", kritisiert er. "Die politischen Parteien und die Regierung sind willens, die Täter zu amnestieren."

Die Armee hat sich stets hartnäckig geweigert, die beschuldigten Offiziere zu bestrafen. Stattdessen wurden die Männer sogar befördert. Einer von ihnen, Oberst Kumar Lama, diente gar in einer UN-Friedensmission. Erst in diesem Jahr wurde Lama wegen Kriegsverbrechen verhaftet, als er seine Familie im britischen Sussex besuchte. Die Regierung Nepals warf Großbritannien daraufhin vor, die Souveränität des südasiatischen Staates verletzt zu haben.

Auch die Maoisten haben den Volkszorn ignoriert und mindestens zwei ihrer Führer, denen Folter und Mord vorgeworfen wird, zu Ministern ernannt. "Wir brauchen eine schonungslose Kampagne für Gerechtigkeit", meint dazu Janak Raut, der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation 'Conflict Victim's Society for Justice'. Die rund 100 Mitglieder der Gruppe sind allesamt Gewaltopfer der Armee, der Rebellen und der Bürgerwehren, die im Süden Nepals durch die Kultur der Straffreiheit erstarkt sind.

Nachdem die Vereinigung öffentlich protestiert und Gerichtsverfahren initiiert hat, führt sie ihre Kampagne nun über soziale Internet-Netzwerke wie 'Facebook' weiter. An die für November angekündigten Neuwahlen, die im Zuge der Verfassungsreform angekündigt wurden, knüpfen die Opfer keine großen Hoffnungen. Dazu meint Raut: "Die Wahlen werden von politischen Entscheidungsträgern gewonnen werden, die die Schuldigen deshalb decken, weil sie selbst in die Verbrechen involviert waren." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.insec.org.np/
http://www.humanrights.asia/resources/books/AHRC-PUB-018-2008
http://afadsecretariat.wordpress.com/conflict-victims-society-for-justice-cvsj-nepal/
http://www.ipsnews.net/2013/09/killers-roam-free-in-nepal/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2013