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ASIEN/899: Indien - Schwenk nach rechts (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 21 vom 23. Mai 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Schwenk nach rechts Der Wahlsieg der "Hindu-Nationalisten" in Indien wird den Massen keine Verbesserung bringen

von Georg Polikeit



Die Kommunistische Partei Indiens (Marxisten) hat das Ergebnis der jüngsten Parlamentswahlen in einer ersten Stellungnahme am 16. Mai als "klar und eindeutig" bezeichnet. Es habe eine "Anti-Kongress-Welle" gegeben, die die bisher regierende Kongress-Partei mit ihren Verbündeten davongejagt hat. Die BJP ("Bharatiya Janata Party") habe von dieser Anti-Kongress-Welle profitiert und damit einen großen Sieg erreicht.

Weiter heißt es in der KPI(M)-Stellungnahme unumwunden: "Die Ergebnisse für die KPI (M) und die Linksparteien waren enttäuschend. Die Demokratische Linksfront verzeichnet einen Gewinn in Kerala und die Linksfront in Tripura errang höhere Stimmenanteile. Doch die weit verbreitete Fälschung, Gewalt und Einschüchterung gegen die Linksfront in Westbengalen habe zu einem verzerrten Ergebnis geführt, das die Unterstützung des Volkes für die KPI(M) und die Linksfront nicht widerspiegelt. Die Wahlkommission habe es versäumt korrigierend einzugreifen. Die KPI(M) werde die Schwächen, die sich gezeigt haben, untersuchen und Schritte zu ihrer Überwindung unternehmen. Die KP-Führung wird Anfang Juni zu einer gründlicheren Beratung dieser Ergebnisse zusammentreten. Die Stellungnahme endet mit der Feststellung, die KPI(M) werde "weiterhin dafür wirken, die Interessen des arbeitenden Volkes zu verteidigen und die säkulare demokratische Struktur des Landes zu erhalten".

Nach dem von der Wahlkommission bekannt gegebenen Endergebnis haben von den rund 833 Millionen Wahlberechtigten in den 543 Wahlkreisen mehr als 553 Millionen ihre Stimme abgegeben. Das war eine in der Geschichte Indiens seit der Unabhängigkeit bisher noch nie erreichte Rekord-Wahlbeteiligung von 66,5 Prozent.

In Indien gilt jedoch das reine Mehrheitswahlrecht nach englischem Muster. Das hat zur Folge, dass nur die Ergebnisse in den einzelnen Wahlkreisen zählen, eine Stimmenverrechnung nach dem prozentualen Anteil der Parteien am Gesamtergebnis findet nicht statt. In jedem Wahlkreis erhält nur ein Kandidat, der die meisten Stimmen hat, das Mandat, auch wenn der Unterschied zum nächstfolgenden Bewerber vielleicht nur wenige Stimmen ausmacht und sein Stimmenanteil, wenn mehr als zwei Kandidaten angetreten sind, vielleicht weit unter 50 Prozent liegt. Das prozentuale Stärkeverhältnis der Parteien wird deshalb mit der Anzahl der jeweils gewonnenen Mandate nur verzerrt wiedergegeben.

Die bisherige bürgerlich-nationalistische Oppositionspartei BJP konnte ihre Abgeordnetenzahl bei dieser Wahl von 116 (2009) auf 282 Mandate mehr als verdoppeln. Die Kongress-Partei dagegen fiel von 206 (2009) auf nur noch auf 44 Mandate, das schlechteste Ergebnis ihrer ganzen Geschichte.

Dieser erdrutschartige Wahlsieg der BJP ist, so sehr sich ihre Wähler auch über die Klassennatur dieser Partei und die wahren Absichten ihres "großen Führers" Narendra Modi täuschten, dennoch in erster Linie eine Widerspiegelung der tiefen Unzufriedenheit mit der bisherigen Politik der bürgerlichliberalen und gelegentlich sozialdemokratische Töne anschlagenden Kongress-Partei. Ein Teil der BJP-Wähler ist sicherlich auch auf die an rassistischethnische und religiöse Vorurteile gegen "die Moslems" appellierenden Reden des BJP-Führers über die Tugenden des "Hindutums" und das in den Massenmedien hochgespielte Bild vom neuen Regierungschef als erfolgreichem "Macher", der sich aus kleinen Verhältnissen vom Teeverkäufer hochgearbeitet hat, hereingefallen. Hinzu kam, dass auch bedeutende Teile des indischen Kapitals und der elitären Oberschichten den Regierungswechsel weg vom Kongress und hin zur BJP wollten, nicht zuletzt, um eine noch schärfere Variante neoliberaler Politik einzuleiten und sich von den letzten sozialpolitischen "Rücksichten" zu befreien, zu denen sich die Kongress-Partei im Interesse der Integration der arbeitenden Volksklassen gelegentlich noch verpflichtet fühlte.

Die BJP verfügt mit diesem Wahlergebnis in dem 543 Sitze umfassenden indischen Unterhaus (Lok Sabha) eine satte Mehrheit. Sie hatte zwar von 1998-2004 schon einmal den Regierungschef gestellt, war damals aber auf eine Koalition mit anderen Parteien angewiesen. Diesmal braucht sie auf Koalitionspartner keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen.

Die KPI(M) konnte sich zwar zusammen mit der mit ihr verbündeten KPI und den anderen Partnern der Linksfront stimmenmäßig in ihren Hochburgen, den Bundesstaaten Tripura, Kerala und West-Bengalen, zumindest teilweise gut behaupten. In Tripura gewann sie beide diesem Bundesstaat zustehenden Sitze im indischen Nationalparlament mit höheren Stimmenzahlen als bisher. In Kerala konnte sie einen Wahlkreis neu dazugewinnen und die Zahl ihrer Mandate damit auf 5 erhöhen. In West-Bengalen dagegen kam sie nur noch auf 2 Mandate. Sie verlor 7 bisher von ihr gehaltene Wahlkreise, wobei hier auch ein teilweise erheblicher Stimmenrückgang zu verzeichnen war. Die Zahl der kommunistischen Abgeordneten im Nationalparlament ging damit insgesamt von 16 auf 10 zurück.

Es ist bereits heute klar, dass mit der neuen BJP-Regierung nur eine andere Fraktion des indischen Kapitals und der mit ihm liierten ausländischen Konzerne die politische Macht übernommen hat. Ein anderer Kurs, der den Volksinteressen entsprechen würde, ist von dieser Regierung nicht zu erwarten. Eher die Zuspitzung kapitalistischer "Grausamkeiten" und ein noch autoritärerer Regierungsstil als bisher. Aber auch die gefährliche und politisch instrumentalisierte Schürung religiöser und ethnischer Gegensätze als Mittel der Spaltung und Beherrschung der unteren Volksklassen geht weiter.

Insgesamt bestätigt das Wahlergebnis einmal mehr, dass Menschen, die mit ihren Lebensverhältnissen unzufrieden, durch fehlende persönliche Perspektiven verunsichert und verängstigt, von der Politik der Herrschenden enttäuscht sind, leicht zur Beute von Demagogen werden können, die an nationale, völkische und/oder religiöse Zusammengehörigkeitsgefühle appellieren und teilweise überkommene Gegensätze in der Bevölkerung für ihre Zwecke mobilisieren. Solche Entwicklungen sind nicht nur in Indien festzustellen. Es gibt sie in vergleichbaren Formen, natürlich mit anderen konkreten ideologischen Vorzeichen, auch in afrikanischen Staaten, im Nahen Osten und nicht zuletzt in Europa, wie das Beispiel Ukraine oder Ungarn und generell das Anwachsen rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Strömungen in den Ländern der EU zeigt. Linke Alternativen haben es unter diesen Bedingungen offensichtlich schwer, sich als glaubwürdige und realistische Alternativen darstellen zu können - zumal auch das internationale Umfeld wenig Beispiele für einen erfolgreichen linken Alternativkurs zu den Krisenproblemen des Kapitalismus bietet.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 21 vom 23. Mai 2014, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2014