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ASIEN/917: Pakistan - Karachi gehört zu den gefährlichsten Städten der Welt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. August 2014

PAKISTAN: Inflation von Killern und Bodyguards - Karachi gehört zu den gefährlichsten Städten der Welt

von Zofeen Ebrahim


Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Private Sicherheitskräfte haben in der pakistanischen Hafenstadt Karachi Hochkonjunktur
Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Karachi, 22. August (IPS) - Die pakistanische Hafenstadt Karachi versinkt zunehmend in einem Zustand der Rechtlosigkeit. Morde an Andersgläubigen, Lösegelderpressungen, Entführungen und Drogenkriminalität sind an der Tagesordnung. Während die Elite der 20-Millionen-Einwohner-Metropole auf Bodyguards und kugelsichere gepanzerte Fahrzeuge zurückgreifen kann, bleibt den Durchschnittsbürgern lediglich das Gottvertrauen.

Experten zufolge haben schießwütige Gangster in Verbindung mit einem Klima der Straflosigkeit Karachi in eine riesengroße No-Go-Area verwandelt, in der die Sicherheitskräfte längst auf verlorenem Posten stehen. Die Polizei der Provinz Sindh gibt die Zahl der in Karachi eingesetzten Kollegen mit 26.847 an, wobei 8.541 für den Personenschutz und die Bewachung sensibler Einrichtungen wie der Hafenanlage, dem Flughafen und den Ölterminals abgestellt sind.

Gegen 3.102 Polizisten wird ermittelt. Somit sind gerade einmal 14.433 Polizisten, die jeweils in Zwölf-Stunden-Schichten arbeiten, für die Einhaltung von Recht und Ordnung und den Schutz der normalen Stadtbevölkerung und deren Eigentum zuständig: auf 1.524 Bürger kommt ein einziger Ordnungshüter - und das in einer Stadt, die im letzten Jahr 40.848 Verbrechen - davon 2.700 Tötungsdelikte - verbucht hat und somit zu den gefährlichsten Plätzen der Welt gehört.

"In Karachi kommt es zu einer Zweckentfremdung der Polizei. Schuld hat die fortgesetzte VIP-Kultur, die die Beamten von der Arbeit in den Polizeistationen abhält", meint Jameel Yusuf, ehemaliger Chef des Bürger-Polizei-Verbindungskomitees (CPLP). Die Organisation arbeitet eng mit der Polizei von Karachi und der Provinzregierung zusammen.


Florierender privater Sicherheitsmarkt

Der Mangel an Sicherheit in Verbindung mit der zunehmenden Nachfrage nach Personen- und Projektschutz hat in den letzten beiden Jahrzehnten einen großen Markt für private Sicherheitsfirmen geschaffen.

Laut Hauptmann Nisar Sarwar, dem ehemaligen Vorsitzenden der Gesamtpakistanischen Vereinigung der Sicherheitsagenturen (APSAA), sind in dem südasiatischen Land derzeit rund 300.000 private Sicherheitskräfte registriert, davon 70.000 bis 75.000 allein in Sindh. 50.000 dieser Männer sind in der Provinzhauptstadt stationiert. Von den 1.500 Sicherheitsunternehmen im Land sind 300 Mitglieder des APSAA.

Wohlhabende Verbraucher sind nur allzu gern bereit, größere Summen für ihre Sicherheit auszugeben. Nach Angaben der pakistanischen Medien kostet ein gepanzertes und kugelsicheres Fahrzeug mit Allradantrieb mindestens 30.000 US-Dollar. 'Pakistan Today' zufolge wird ein kugelsicherer gepanzerter Neuwagen auf dem internationalen Markt für 150.000 bis 170.000 Dollar angeboten. Das ist sehr viel Geld in einem Land, in dem mehr als 60 Prozent der Bevölkerung mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen müssen.

Die letzte Razzia und eine im September angelaufene Operation zur Säuberung der Stadt von Kriminellen, die die Polizei zusammen mit der paramilitärischen Einheit 'Sindh Rangers' durchführt, haben das Vertrauen der Bürger Karachis in die Sicherheitskräfte nicht wieder hergestellt.

CPLC-Chef Ahmed Chinoy berichtet, dass im Verlauf des zurückliegenden Jahres die Zahl der Verbrechen in der Stadt halbiert werden konnten. Doch Sarwar zufolge, der inzwischen die 1988 gegründete Sicherheitsfirma 'Delta Security Management' leitet, reißt der Strom der Anfragen wohlhabender Familien und Einzelpersonen nach Schutz nicht ab.

Der ehemalige Polizeigeneralinspektor der Provinz Sindh, Mushtaq Shah bestätigt den immensen Schutzbedarf. "Es gibt rund 20.000 Banken in der Stadt, Konsulate, Geschäftsleute, Fabriken und so weiter", meint er gegenüber IPS. "Wie könnten alle diese Einrichtungen ohne die privaten Unternehmen geschützt werden?"


Politisierung der Kriminalität

Die von der Polizei beigebrachten Profile der mutmaßlichen Gangster lassen auf eine starke Politisierung der Gewalt in Karachi schließen. Der ehemalige Polizeichef Shahid Hayat Khan berichtet, dass Kriminalität und Politik Hand in Hand gingen. "Sie ergänzen einander. Unterschiedliche politische Parteien greifen für ihre Aktivitäten auf Kriminelle zurück. Diese stammen größtenteils aus kriminellen Banden, die sich mit Erpressungen und Drogenhandel finanzieren." Khan zufolge werden zudem Mitglieder militanter religiöser Gruppen rekrutiert und ehemalige Bankräuber.

Andere Stimmen machen für die Eskalation der Gewalt die politische Einmischung in die Polizeiarbeit verantwortlich. "Würde man einem Polizeichef drei Jahre lang freie Hand lassen, um seine Mannschaft anzuleiten, natürlich unter Einhaltung rechtstaatlicher Regeln, würde man den Unterschied sehen", so Shah, den die politische Einflussnahme veranlasst hatte, den Dienst 2012 nach nur einem Jahr zu quittieren. Wie er betont, agieren alle Regierungen gleich, indem sie einen Mann ihrer Wahl zum höchsten Polizeichef bestimmen, der ihre Rechtsverstöße deckt.

In Anbetracht der dünnen Personaldecke bei der Polizei hält der ehemalige CPLC-Chef Yusuf eine Delegierung bestimmter Polizeiaufgaben an private Agenturen für durchaus sinnvoll. "Die Sicherheitskräfte hätten mehr Spielraum, wenn Patrouillen, Objekt- und Personenschutz von privaten Firmen übernommen würden", ist er überzeugt. Auch käme dies billiger, als neue Kräfte in den Polizeidienst aufzunehmen.

Yusuf zufolge würde eine solche Lösung auch Sinn machen, um junge Arbeitslose von der Straße zu holen und auszubilden. Auf diese Weise ließe sich der Beruf des privaten Wachmanns zudem aufwerten. APSAA zufolge verdienen Wachleute zwischen 11.000 Rupien (etwa 110 US-Dollar, was dem von der Regierung festgesetzten Mindestlohn für Facharbeiter entspricht) und 45.000 Rupien (rund 450 Dollar), wenn sie bewaffnet sind. Zwei Drittel der Löhne streicht die Agentur an Provision ein.

"Die Wachleute werden selten ausgebildet", kritisiert Shah. "Und wenn sie berechtigt sind, eine Waffe zu tragen, ist diese meist alt. Einige von ihnen arbeiten als Boten, um Akten von einem Büro ins nächste zu tragen oder den festangestellten Bürokräften die Mahlzeiten zu bringen."


Rudimentäre Ausbildung

APSAA betreibt zwei Ausbildungsinstitute: eines in Karachi und ein weiteres in der östlichen Stadt Lahore in der Provinz Punjab. Dort werden die neuen Rekruten von ehemaligen Armeeoffizieren in einem dreitägigen Schnellkurs in Selbstverteidigung unterwiesen. Auch lernen sie, wie man Waffen auseinandernimmt, pflegt und zusammensetzt.

Doch Experten wie Sarwar sind der Meinung, dass die Schulungen nichts bewirken, solange die Wachleute nicht mit modernen Waffen ausgestattet werden, um dem Militarismus auf den Straßen von Karachi Paroli bieten zu können. Den Agenturen sei nicht erlaubt, ihre Wachleute mit automatischen Waffen auszustatten. Auch dürfe das bewaffnete Personal erst schießen, wenn es selbst unter Beschuss gekommen sei.

"Ich persönlich bin kein Freund von Waffen. Doch wenn ein Kunde einen bewaffneten Wachmann haben will, sollte es den Unternehmen möglich sein, ihre Beschäftigten mit besseren Waffen als Ein-Schuss-Pistolen oder Schrotgewehren auszustatten", meint er. "Heute verwenden schon einfache Räuber Kalaschnikows. Gegen die kommen die privaten Sicherheitskräfte nicht an."

Nach Angaben von 'GunPolicy.org', das das von der 'Sydney School of Public Health' betrieben wird, sind Pakistaner im Besitz von insgesamt 18 Millionen Gewehren, wobei nur ein Teil von ihnen über einen Waffenschein verfügt. Seit zwei Jahren fordert APSAA vom Innenministerium die Genehmigung, zumindest beim Schutz gewisser Einrichtungen wie Banken Waffen tragen zu dürfen.

Während die Diskussion für und gegen die Bewaffnung privater Sicherheitskräfte weitergeht, müssen die normalen Bürger von Karachi in einer bis an die Zähne bewaffneten Stadt leben und sich auf eine Polizeitruppe verlassen, die mit ihrer Aufgabe restlos überfordert ist. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/08/karachi-residents-trapped-between-armed-assassins-and-private-bodyguards/

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IPS-Tagesdienst vom 22. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2014