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ASIEN/931: Sri Lanka - Papstbesuch und Machtwechsel machen Menschen im ehemaligen Kriegsgebiet Mut (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Januar 2015

Sri Lanka: Papstbesuch und Machtwechsel machen Menschen im ehemaligen Kriegsgebiet Mut

von Amantha Perera


Bild: © Amantha Perera/IPS

500.000 Sri Lanker kamen beim Papst-Besuch zum Madhu-Schrein
Bild: © Amantha Perera/IPS

Madhu, Sri Lanka, 16. Januar (IPS) - Jessi Jogeswaran, eine 20-jährige Frau aus dem Distrikt Jaffna im Norden Sri Lankas, harrte gemeinsam mit 18 Freunden mehr als sechs Stunden in der Gluthitze aus, nur um am 14. Januar einen Blick auf Papst Franziskus zu erhaschen. Mehr als eine Million Menschen kamen auf den Straßen zusammen, als das katholische Kirchenoberhaupt dem südasiatischen Inselstaat einen Besuch abstattete.

Franziskus sprach zu den Gläubigen in der Hauptstadt Colombo und begab sich dann zu dem von Katholiken verehrten Madhu-Schrein im nordwestlich gelegenen Distrikt Mannar. Menschen jeden Alters fuhren viele Kilometer weit, um diesem historischen Ereignis beizuwohnen.

Hinter dem entwaffnenden Lächeln von Jogeswaran verbirgt sich eine Leidensgeschichte. Als Kind erlebte sie in ihrem Heimatdorf Addankulam in Mannar den Bürgerkrieg zwischen der Regierungsarmee und der Separatistenbewegung Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE), die damals ein großes Gebiet im Norden der Insel unter ihrer Kontrolle hatten.


Jahrelange Flucht vor dem Krieg

Ihre sechsköpfige Familie war fast zwei Jahre auf der Flucht, bevor sie sich im April 2009, kurz vor Kriegsende, vor den letzten Gefechten in Sicherheit bringen konnte. "Der Albtraum ist nicht vorbei, er ist nur weniger intensiv", meinte Jogeswaran, als sie mit anderen Gläubigen an der heiligen Stätte in Madhu auf den Papst wartete. Die Kirche, die eine Marienstatue beherbergt, liegt mitten im Dschungel.

Auch nach dem Ende des bewaffenten Konfliktes ist der Kampf ums Überleben für Tausende Menschen im Norden Sri Lankas noch nicht vorbei. Sie leiden unter tiefer Armut und traumatischen Erinnerungen, wie die junge Frau erzählte. Auch gibt es noch viele Familien, die während des 26-jährigen Konflikts auseinandergerissen wurden und bis heute nicht wiedervereint sind.

"Wir brauchen Frieden in uns selbst und um uns herum", sagte Jogeswaran. In seiner kurzen Ansprache an dem Schrein zeigte Papst Franziskus, wie sehr er die Nöte der Menschen verstand: "Kein Srilanker kann die tragischen Ereignisse vergessen, die mit diesem Ort in Verbindung gebracht werden." Die Kirche war während des Krieges Ziel von Angriffen und diente den Bewohnern der Region zugleich als Zufluchtsort.

Mehr als 225.000 Srilanker, die vor der Gewalt geflohen waren, sind inzwischen in ihre Heimatregion zurückgekehrt, in der die Armutsrate an einigen Orten den landesweiten Durchschnitt von sechs Prozent mehr als vier Mal übersteigt. Etwa 138.000 neue Häuser sind dringend notwendig, doch dafür fehlen etwa 300 Millionen US-Dollar.


Zehntausende Menschen vermisst

Fast sechs Jahre nach Kriegsende werden noch schätzungsweise 40.000 Menschen vermisst. Dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz liegen lediglich Informationen zu etwa 16.000 Menschen vor, die während der vergangenen zwei Jahrzehnte verschwunden sind.

Die Fertigstellung mehrerer großer Infrastrukturprojekte hatte auf eine rasche Erschließung des ehemaligen Kriegsgebietes hoffen lassen. Unter anderem wurden rund 800 Millionen Dollar in die Instandsetzung einer 252 Kilometer langen Eisenbahnstrecke investiert, die den Norden mit dem Süden der Insel verbindet. Nicht alle können sich jedoch solche Reisen leisten.

Die Arbeitslosigkeit in der Nordprovinz liegt bei durchschnittlich 5,2 Prozent. Vor allem Kriegswitwen und die auf 40.000 bis 55.000 geschätzten, von Frauen geführten Haushalte haben es schwer, ein Auskommen zu finden. Hinzu kommen noch fast 12.000 LTTE-Kämpfer, die wieder in die Gesellschaft integriert werden müssen. Elf Prozent von ihnen sind arbeitslos.

Unbehandelte Traumata und die Abschaffung eines langjährigen LTTE-Verbots, Spirituosen herzustellen und zu verkaufen, haben die Alkoholabhängigkeit auf neue Höchststände getrieben. Allein in dem im Norden gelegenen Distrikt Mullaitivu bekannten sich bei einer kürzlich durchgeführten Untersuchung etwa 34,4 Prozent der Bevölkerung dazu, regelmäßig Alkohol zu konsumieren.


Tamilen wollen mehr Autonomie

Die Hauptursache des Krieges - die politische Machtlosigkeit der Bevölkerungsmehrheit der Tamilen im Norden des Landes - ist nach wie vor nicht beseitigt. Seit es jedoch eine Woche vor dem Papstbesuch zu einem Regierungswechsel gekommen ist, hoffen die Menschen nun auf einen politischen Wandel. Der langjährige Präsident Mahinda Rajapaksa wurde bei den Wahlen von Maithripala Sirisena geschlagen, der von einem breiten Parteienspektrum unterstützt wurde. Darunter waren auch Vertreter singhalesischer Extremisten sowie von Repräsentanten der tamilischen Minderheit und der Muslime im Land.

Jogeswaran, die am 8. Januar zum ersten Mal bei Präsidentschaftswahlen ihre Stimme abgab, erklärte, sie blicke zugleich nervös und optimistisch in die Zukunft. "Wir haben einen neuen Staatschef, der Veränderungen zugesagt hat. Nun liegt es an ihm, ob er seine Wähler enttäuscht oder nicht."

Laut Ramsiyah Pachchanlam, der sich in der 'Vanni Rehabilitation Organisation for the Differently Abled' (VAROD) für Menschen mit Behinderungen einsetzt, hoffen die Bewohner des Nordens Sri Lankas verzweifelt darauf, dass sich ihre Lebenssituation verbessert. "Es gibt neue Straßen, neue Kraftwerke und eine neue Bahnstrecke, aber es gibt keine neuen Jobs", kritisierte er. Die mehr als drei Milliarden Dollar, die die frühere Regierung in Infrastrukturprojekte gesteckt habe, seien der Bevölkerung nicht zugute gekommen.


Erste Zugeständnisse der neuen Regierung

Die Sirisena-Regierung hat indes signalisiert, dass sie die Bedürfnisse der Tamilen-Minderheit stärker beachten wird als die Vorgängerregierung. In der ersten Woche nach seinem Amtsantritt ersetzte Sirisena den langjährigen Gouverneur der Nordprovinz, den ehemaligen Militäroffizier G.A. Chandrasiri, durch den Karrierediplomaten G. S. Pallihakara.

Die Ernennung eines Zivilisten für dieses Amt gehörte zu den wichtigsten Forderungen der Rates der Nordprovinz, in dem die Tamilische Nationale Allianz (TNA) die Mehrheit hat. Die Allianz warf dem früheren Gouverneur vor, die Unabhängigkeit des Rats geschwächt zu haben, indem er Anordnungen aus Colombo direkt umgesetzt habe.

Viele Menschen im Norden hoffen nun, dass eine größere politische Autonomie die Lösung der dringlichsten Probleme voranbringen könnte. Dazu gehört auch, das Schicksal der Verschwundenen aufzuklären. "Auch muss eine Entscheidung fallen, was mit den vielen Häftlingen geschieht, die auch nach Kriegsende noch immer hinter Gittern sitzen", meint der Sozialarbeiter Pachchanlam. "Erst wenn sich hier etwas bewegt, können wir auf wirkliche Veränderungen hoffen." (Ende/IPS/ck/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/01/papal-visit-rekindles-hopes-in-former-war-zone/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2015


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