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ASIEN/999: Nguyen Phu Trong, KP-Generalsekretär Vietnams, zum Weg seines Landes zum Sozialismus (Gerhard Feldbauer)


Per aspera ad astra

Vietnams rauer Weg zu den Sternen des Sozialismus

Zu dem Beitrag des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Vietnams, Nguyen Phu Trong, "Einige theoretische und praktische Fragen zum Weg Vietnams zum Sozialismus"

von Gerhard Feldbauer, 16. August 2021



Foto: Vietnam Government, Public domain, via Wikimedia Commons

Die erste Regierung der von Ho Chi Minh (vorne in weiß) 1945 in ganz Vietnam ausgerufenen "Demokratischen Republik Vietnam"
Foto: Vietnam Government, Public domain, via Wikimedia Commons

Seit Mai findet in Vietnam eine Diskussion über den Weg des Landes zum Sozialismus statt. Eröffnet hat sie der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV), Nguyen Phu Trong, mit dem Artikel "Einige theoretische und praktische Fragen zum Weg Vietnams zum Sozialismus", der anlässlich des 131. Geburtstages Ho Chi Minhs am 19. Mai in der Parteizeitung Nhan Dan (Das Volk) erschien. Es geht vor allem um die Richtung, die das Land nach dem Untergang der UdSSR und der sozialistischen Staaten in Europa 1989/90 eingeschlagen hat.

Phu Trong geht von der nationalen Befreiungsrevolution aus, die vor einem Dreivierteljahrhundert, im August 1945, in Vietnam siegte, in den Annalen der Geschichte Augustrevolution genannt. Danach rief der legendäre Führer Ho Chi Minh am 2. September die Demokratische Republik Vietnam (DRV) aus. Der Beitrag befasst sich also mit Meilensteinen der Geschichte des nationalen Befreiungskampfes, der bis in die Gegenwart sowohl national als auch international wegweisende Lehren und Erfahrungen vermittelt - nicht zuletzt oder, vielleicht besser gesagt, gerade unter dem Gesichtspunkt der schöpferischen Anwendung des Marxismus-Leninismus auf die konkreten Entwicklungsbedingungen des Landes. Wir leben derzeit in einer Etappe der Ebbe des revolutionären Kampfes, in der uns Vietnams Beispiel zeigt, dass der Weg zu einer neuen, von Ausbeutung freien Gesellschaft auch über Niederlagen und Rückschläge zum Sieg führt.


Erste Befreiungsrevolution unter Führung der Arbeiterklasse

Mit dem Sieg der Augustrevolution 1945 wurde die ein Jahrhundert vorher über Vietnam errichtete französische Kolonialherrschaft beseitigt und mit der Gründung der DRV die staatliche Unabhängigkeit wiederhergestellt. Die Augustrevolution war die erste siegreiche nationale Befreiungsrevolution in einem kolonial unterjochten Land unter Führung der Arbeiterklasse mit ihrer kommunistischen Partei an der Spitze.

Diese Revolution geht seitdem Schritt für Schritt den Weg der sozialen Befreiung in der einzig möglichen Form, nämlich der des Übergangs zur sozialen Umwälzung, die bis heute ihrem Inhalt nach eine sozialistische Revolution ist.

Diese Revolution verstand es, sich zu verteidigen, was hieß, dass sie den Versuch des französischen Imperialismus, Vietnam erneut seinem Kolonialjoch zu unterwerfen, in einem neuen achtjährigen Befreiungskampf (1946-1954) erfolgreich abwehrte. Als die USA 1956 die Nachfolge Frankreichs antraten und über Vietnam ihre neokoloniale Herrschaft errichten wollten, brachte die DRV der größten westlichen Militärmacht, zuletzt 1975 in der Schlacht um Saigon, eine noch vernichtendere Niederlage bei.


Foto: Front pour l'indépendance du Vit-Nam, Public domain, via Wikimedia Commons

17. August 1945 - Menschenmenge versammelt sich vor dem Grand Opera in Hanoi
Foto: Front pour l'indépendance du Vit-Nam, Public domain, via Wikimedia Commons

Die große Hilfe des damals existierenden sozialistischen Lagers, darunter modernste konventionelle Waffen aus der UdSSR, die weltweite Solidarität der Völker und Friedenskräfte waren entscheidende Grundlagen dieses Sieges. Aber die letztlich ausschlaggebende Bedingung, dass diese Faktoren zur Geltung kommen konnten, war der nicht zu brechende Widerstandswille des vietnamesischen Volkes, der in den Traditionen nationalen und antikolonialen Widerstandes wurzelte, die die von Ho Chi Minh gegründete kommunistische Partei zu mobilisieren verstand.

In seinem Artikel verweist Phu Trong folgerichtig darauf, dass die Kommunistische Partei bei ihrer Gründung 1930 in ihrem "politischen Programm" das Ziel ausgegeben hatte, die "national-demokratische Revolution unter Führung der Arbeiterklasse" auf den Weg zu bringen, um "danach in Richtung Sozialismus unter Umgehung des Kapitalismus und unter den besonderen Bedingungen in Vietnam voranzuschreiten". Daran habe sich zu keinem Zeitpunkt etwas geändert: "Während des ganzen revolutionären Kampfes hat die Kommunistische Partei Vietnams immer daran festgehalten, dass das Voranschreiten zum Sozialismus eine objektive Forderung und der unvermeidliche Weg der Vietnamesischen Revolution" ist.


Auf dem Weg Ho Chi Minhs

Dies sei, so Phu Trong, "das Ziel und der Weg, die Präsident Ho Chi Minh, unsere Partei und unser Volk gewählt haben, und woran wir festhalten werden". Auf der Grundlage "seines reichen Erfahrungsschatzes, kombiniert mit den revolutionären und wissenschaftlichen Theorien des Marxismus-Leninismus, kam Ho Chi Minh zu der tiefgreifenden Schlussfolgerung, dass nur der Sozialismus und Kommunismus die Frage der nationalen Unabhängigkeit vollständig beantworten und allen Freiheit, Wohlergehen und Glück bringen kann".

Ich möchte hier erwähnen, dass ich und meine Frau Irene, die Fotoreporterin war, während der Arbeit für die Nachrichtenagentur ADN der DDR in der DRV von 1967 bis 1970 das große Glück hatten, Ho Chi Minh mehrmals persönlich zu begegnen. Wenn er mit uns sprach, uns die Hand drückte, uns freundschaftlich umarmte, sich nach unserem Befinden erkundigte, erlebten wir in einer unvergesslichen Weise die kaum wiederzugebende Ausstrahlung dieser faszinierenden Persönlichkeit, die die Seele des Widerstandes war. Aber auch bei den vielen Begegnungen, die wir mit den Menschen Vietnams hatten, war er einfach dabei. Sein Testament, das er vier Monate vor seinem Tod, im Mai 1969, verfasst hatte, ist durchdrungen von der Liebe zu seinem Volk und der unerschütterlichen Gewissheit, dass es bis zum Sieg kämpfen wird. Man möchte fast sagen, dass seine herausragende Führerpersönlichkeit erst nach seinem Tod sichtbar wurde. Denn als er während des erbitterten Befreiungskrieges gegen die US-Aggressoren und das südvietnamesische Marionettenregime im September 1969 starb, hinterließ er nicht, worauf seine Feinde spekuliert hatten, ein Vakuum, sondern eine kampfgestählte Partei mit einem starken Führungskollektiv und ein von seinem Unabhängigkeitswillen beseeltes Volk, die sein Werk fortsetzten. Und so ist es bis heute, und es ist völlig richtig, wie Phu Trong ausführt, "auf dem Weg, den Ho Chi Minh und unsere Partei und unser Volk gewählt haben, zu beharren".


Foto - Porträt: Ron Przysucha / U.S. Department of State, Public domain, via Wikimedia Commons

Bekenntnis zum Erbe Ho Chi Minhs - Nguyen Phu Trong, Generalsekretär der heutigen KP Vietnams
Foto: Ron Przysucha / U.S. Department of State, Public domain, via Wikimedia Commons


Der Kurs des Doi Moi

Phu Trong geht auf den Kurs des Doi Moi ein. Der bereits 1986 auf dem VI. Parteitag der KPV beschlossene Kurs "der Erneuerung" legte die stärkere Einbeziehung privatkapitalistischer Betriebe in Industrie, Landwirtschaft und im Finanzsektor fest. Das geschah vor dem Hintergrund, dass sich zehn Jahre zuvor - ein Jahr nach dem Sieg über die USA im April 1975 - der sozialistische Norden mit dem kapitalistischen Süden zur Sozialistischen Republik Vietnam vereinigt hatte. Nach dem Untergang der UdSSR und der sozialistischen Staaten in Europa 1989/90 verlor Vietnam mit einem Schlag seine bis dahin wichtigsten Partner im internationalen Handel.


Der Zwang zur Kooperation mit dem Kapital

Um seine Existenz zu sichern, ging Vietnam zur Kooperation mit der kapitalistischen Weltwirtschaft über. Es ging darum, Auslandsinvestitionen zu erschließen, Importe zu sichern und Zugang zu neuen Absatzmärkten zu gewinnen. Diese Kooperation musste zwangsläufig auch die USA, den früheren Kriegsgegner, als größte Wirtschaftsmacht der westlichen Welt einschließen. Mit "Doi Moi" begann eine Dezentralisierung des Bankensystems, die Zulassung privater Geldhäuser, eine marktorientierte Finanzpolitik. Nach 1989/90 folgte der Abschluss einer Vielzahl von bilateralen Verträgen mit ausländischen kapitalistischen Unternehmen, der Beitritt zum Internationalen Währungsfond, zur Weltbank und zuletzt 2019 nach über dreijährigen Verhandlungen das EU-Vietnam Free Trade Agreement (EVFTA) mit der Europäischen Union.

Ohne diese Zusammenarbeit einzugehen, wäre Vietnam dem Schicksal eines dem Neokolonialismus unterworfenen Entwicklungslandes, wären seine Menschen der Not und dem Elend ausgeliefert worden wie in den meisten Ländern der "Dritten Welt".


Foto: ntt, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Start- und Landebahnen in Tan Son Nhat in der Nähe von Ho-Chi-Minh-Stadt (Aufnahme von 2006)
Foto: ntt, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons


Die Dimensionen

Welche Dimensionen die Einbeziehung privatkapitalistischer Betriebe in die sozialistische Entwicklung inzwischen angenommen hat, verdeutlicht beispielsweise die private Fluggesellschaft Vietjet Air. Mit ihrem Start 2007 endete das Monopol der staatlichen Vietnam Airlines. 2011 besaß das Unternehmen lediglich drei geleaste Jets vom Typ Airbus A320-200. Fünf Jahre später war der Flugzeugpark auf 40 Maschinen A320 und A321 angewachsen. Als 2017 der damalige US-Präsident Barack Obama zum Staatsbesuch in Hanoi weilte, schloss Vietjet Air mit dem Luftfahrt- und Rüstungskonzern Boeing einen Vertrag über den Kauf von 100 zivilen Boeing 737 für umgerechnet 11,3 Milliarden US-Dollar ab. Soweit bekannt, fliegt Vietjet Air derzeit von ihrer Basis Tan Son Nhat nahe der Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt (dem früheren Saigon) aus 50 Ziele an, davon 17 internationale, mit täglich bis zu 300 Flügen, was einem Marktanteil von mehr als 30 Prozent entspricht. Die Zahl der Fluggäste beträgt 30 Millionen jährlich. Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes führte die Gründerin und Chief Executiv Officer (CEO) der Vietjet Air, Nguyen Thi Phuong Thao, in seiner "Liste der stärksten Frauen der Welt". Der damalige Minister für Transport und Verkehr, Truong Quang Nghia, nannte das "eine gesunde Konkurrenz".

Besonders unter diesen Gesichtspunkten kritisieren Linke, mit diesem Kurs weiche die KPV von den Grundsätzen des wissenschaftlichen Sozialismus ab. Experten betonten dagegen, dass die staatliche Fluggesellschaft Vietnam Airlines als Mitglied der Luftfahrtallianz "Sky Team" ihren ersten Rang behauptet und führend auf dem internationalen Markt bleibt. Sie ist mit bis zu 70 Prozent an Jetstar Pacific beteiligt und gleichberechtigter Teilhaber an der staatlichen Cambodia Angkor. 2016 besiegelte sie mit der japanischen ANA-Holding ein Kooperationsabkommen, das eine Beteiligung des Tokioter Unternehmens an Vietnam Airlines von 8,8 Prozent einschließt.


Vietnams Aufstieg zu einer modernen Industrienation

Bei Doi Moi ist auch zu sehen, dass es dazu beigetragen hat, dass Vietnam von einem durch das koloniale Erbe und die Folgen der bis 1975 andauernden US-Herrschaft in Südvietnam von einem wirtschaftlich zurückgebliebenen Land zu einer der dynamischsten Volkswirtschaften der Welt aufgestiegen ist. In den wenigen Jahrzehnten nach seiner Wiedervereinigung 1976 gelangen ihm die ersten Schritte zum Aufbau einer Industriegesellschaft. Der Beitrag Phu Trongs belegt, dass Vietnam auf seinem sozialistischen Weg als einstiges Agrarland zu einer modernen Industrienation aufgestiegen ist. Mit jährlichen Wachstumsraten von sechs bis acht Prozent ist seine Wirtschaft die stärkste im gesamten südostasiatischen Raum.

Laut dem Forschungsinstitut Statista betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2002 rund 550 US-Dollar, 2019 waren es bereits mehr als 3.400 US-Dollar. Das wird u. a. auf gestiegene Durchschnitts- und Mindestlöhne sowie eine niedrige Inflationsrate zurückgeführt. Während in den meisten Ländern der sogenannten Dritten Welt Hunger und Elend herrschen, haben sich die Vietnamesen ein bescheidenes, aber besseres Leben geschaffen, in dem die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln gewährleistet ist. Der Jugend stehen alle Möglichkeiten der Bildung offen. Allein Ho Chi Minh-Stadt, die von zwei auf fast acht Millionen Einwohner anwuchs, verfügt über 50 Universitäten und Hochschulen.


Foto: Diego Delso, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Blick vom Saigon-Fluss auf Downtown Ho-Chi-Minh-Stadt (2013)
Foto: Diego Delso, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons



Beitrag zur Kooperation der Staaten Asiens

Nicht vergessen werden sollte, dass die Sozialistische Republik Vietnam zur Entwicklung der Kooperation zwischen den Staaten Asiens auf friedlicher und gutnachbarschaftlicher Basis beiträgt. Davon zeugte, dass sie 2017 in Da Nang das Gipfeltreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) ausrichtete, 2019 Gastgeber des zweiten (gescheiterten) Gipfeltreffens der Präsidenten der USA und der Demokratischen Volksrepublik Korea (KVDR - Nordkorea), Donald Trump und Kim Jong-un, war. Im Juni 2020 richtete sie in Hanoi per Video-Konferenz den 36. Gipfel der Regierungschefs des Verbandes Südostasiatischer Staaten (ASEAN) aus.


Partei behauptet Kommandogewalt in der Wirtschaft

Zweifellos trifft zu, dass westliche Unternehmer, unterstützt von ihren Regierungen, in dieser wirtschaftlichen und auch wissenschaftlich-technischen Kooperation versuchen, dem privatkapitalistischen Sektor in Vietnam ein Übergewicht gegenüber dem vorherrschenden gesellschaftlichen zu verschaffen und die führende Rolle der KPV zu untergraben, um den sozialistischen Weg zu unterminieren. Einige private Wirtschaftsmanager leisteten ihnen dabei Schützenhilfe. Vietnam hat bisher jedoch alle Versuche, seine wirtschaftliche Souveränität und die Kommandogewalt über seine Wirtschaft anzutasten, zurückgewiesen. Die KPV hat nach 1989/90, im Gegensatz zu den Kommunistischen Parteien der sozialistischen Staaten Osteuropas, gerade nicht den Pfad der Sozialdemokratie eingeschlagen. Auf dem 13. Parteitag im Januar dieses Jahres zählte sie 5,1 Millionen Mitglieder, darunter 60 Prozent Jugendliche, die die im Westen verbreitete Meinung, die Jugend interessiere sich nicht für Befreiungskrieg und Sozialismus, Lügen strafen. Wobei sicher nicht auszuschließen ist, dass bei einigen auch eine Rolle spielen wird, dass sie in der Partei ihre berufliche Karriere am besten gesichert sehen.


Phu Trong leitet persönlich den Kampf gegen Korruption

Nicht zu übersehen ist, dass als Resultat dieser Zusammenarbeit in Vietnam bis dahin nicht gekannte Praktiken aus der Welt des Kapitals wie die Korruption Fuß fassten. Dass die KPV dem einen schonungslosen Kampf angesagt hat, bezeugt, dass Phu Trong das zur "Chefsache" erklärt und persönlich unter seine Kontrolle gestellt hat. Ich erinnere mich an einen Korruptionsprozess 2018 gegen 22 hochrangige frühere Manager staatlicher Unternehmen, die in Hanoi angeklagt wurden, schwerste Wirtschaftsverbrechen begangen, Bestechungsgelder in Millionenhöhe kassiert sowie umgerechnet Hunderte Millionen Euro veruntreut zu haben. Vertreter der deutschen Bundesregierung mischten sich damals massiv ein und verweigerten die Auslieferung des nach Deutschland geflohenen Hauptangeklagten Trinh Xuan Thanh an Vietnam. Wie Medien zu entnehmen war, kehrte dieser dann auf Anraten seiner Familie nach Vietnam zurück, worauf Berlin Vietnam bezichtigte, ihn entführt zu haben. Angesichts der Tatsache, dass deutsche Unternehmen 2016 mit einem Handelsvolumen von acht Milliarden Euro wichtigster EU-Partner Vietnams waren, unterblieben dann angedrohte "wirtschaftliche Konsequenzen" und Berlin lenkte stillschweigend ein.


"Sozialistisch orientierte Marktwirtschaft" unter "Führung der Kommunistischen Partei"

Der Generalsekretär der KPV bekräftigte das Festhalten am Kurs des Doi Moi, den er als "sozialistisch orientierte Marktwirtschaft" definiert, die in einem sozialistischen Staat "unter Führung der Kommunistischen Partei praktiziert wird". Mit Doi Moi würden die Gesetze der Marktwirtschaft berücksichtigt, er gründe aber zugleich "auf die Prinzipien und das Wesen des Sozialismus".


Kapitalismus kann "keine sozialen Probleme lösen"

Das ist die eine Seite seiner Ausführungen. Die andere, die als die entscheidende zu sehen ist, beeinhaltet, dass er zur internationalen Zusammenarbeit mit dem Kapital vermerkt, sie vermittle die Erkenntnis, dass der "freie Markt des Kapitalismus keine sozialen Probleme lösen kann". Diese könnten, schlussfolgert er, "nur auf dem Weg zu einer von Ausbeutung freien Gesellschaft" überwunden werden. "Wir brauchen eine Gesellschaft, in der Entwicklung wirklich für den Menschen da ist und nicht um des Profits willen im Dienste der Ausbeutung und der Entmenschlichung steht. Wir brauchen eine wirtschaftliche Entwicklung, die von sozialem Fortschritt und Gleichberechtigung begleitet wird und die nicht für eine Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich sorgt. Wir brauchen eine Gesellschaft des Mitgefühls, der Solidarität und der gegenseitigen Unterstützung für fortschrittliche und humanistische Werte."

Der erste Mann der KPV weist die westlichen Forderungen, Vietnam ein Mehrparteiensystem aufzuzwingen, zurück. Die Realität in den westlichen Ländern zeige, dass dieses System tatsächlich "die Diktatur der kapitalistischen Konzerne" ist. "Das politische Leben wird von der Macht des Geldes dominiert, die Macht des Volkes beseitigt."


Foto: U.S. Department of State from United States, Public domain, via Wikimedia Commons

Der damalige US-Präsident Trump und Vietnams Präsident Trong vor einer Statue Ho Chi Minhs in Hanoi am 27. Februar 2019
Foto: U.S. Department of State from United States, Public domain, via Wikimedia Commons


Ein steiniger Weg

Vietnam beschreitet einen steinigen Weg zum Sozialismus, was mich an das lateinische Sprichwort "per aspera ad astra" erinnerte. Wörtlich übersetzt "durch das Raue zu den Sternen" besagt es, "über raue Pfade gelangt man zu den Sternen" oder "durch Mühsal gelangt man zu den Sternen". Die Mühsal besteht unter anderem darin, dass Vietnam auf diesem schwierigen und steinigen Weg Kompromisse eingehen musste: Zum Beispiel den Schutz ausländischer Investitionen zu gewähren, dem Umgang mit neoliberalen Essentials wie dem des geistigem Eigentums zuzustimmen, Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu berücksichtigen und, wie etwa im Abkommen mit der EU festgehalten, den Abbau von 99 Prozent der Zölle zu akzeptieren, sich aber auch zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens zu verpflichten.


Vietnam zweitgrößter ASEAN-Handelspartner der EU

Für Vietnam war entscheidend, dass es mit dem Abkommen seine Position als zweitgrößter Handelspartner der EU aus dem Verband der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) ausbauen kann. Vietnam exportierte schon 2018 Waren und Dienstleistungen im Wert von mehr als 35 Milliarden Euro in EU-Länder, darunter neben Kleidung vor allem Mobiltelefone und Ersatzteile, und importierte von dort Waren im Volumen von mehr als zehn Milliarden Euro. Die vietnamesischen Exporte lagen damit nur zehn Milliarden Euro unter dem, was die Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay im gleichen Jahr zusammen in die EU ausführten. Das ist auch ein Beispiel dafür, dass Vietnam keineswegs ein Rohstofflieferant, sondern ein wichtiger Produktionsstandort ist.


Führung der KPV sichert Vorwärtsschreiten

Der Beitrag des Generalsekretärs der KPV vermittelt, dass Vietnam in seiner Kommunistischen Partei über eine kampfgestählte Vorhut verfügt. Mit ihr haben seine Menschen in der Vergangenheit immer auch schwerste Prüfungen der Geschichte bestanden. Das vermittelt die Gewissheit, dass es den beschrittenen Weg, auch wenn die Schwierigkeiten noch anwachsen sollten, was zweifellos der Fall sein dürfte, fortsetzen wird.


Fleiß, Schaffenskraft, Erfindergeist und Idealismus

Dazu wird das im Volk tief verwurzelte revolutionäre Erbe Ho Chi Minhs beitragen, seine im Widerstandskampf zur Verteidigung der Unabhängigkeit vermittelten Lehren wie auch der Fleiß, die Schaffenskraft und der Erfindergeist seiner Menschen, ihr Idealismus, verbunden mit der Fähigkeit der Partei, die Kräfte, auch die eigenen, richtig einzuschätzen, ein akzeptables Maß an Pragmatismus, verbunden mit der Geduld, den richtigen Moment für das Handeln zu wählen und nicht zuletzt, Fehler zu erkennen und zu korrigieren.

Ich selbst möchte sagen, dass ich davon überzeugt bin, dass Vietnam und seine Menschen ihrer Partei folgen und den Weg zum Sozialismus fortsetzen werden. Darin bestärkt mich, dass ich mit meiner Frau über drei Jahre ihren aufopferungsvollen heldenhaften Kampf erleben konnte.


Leseempfehlung:

Von Gerhard Feldbauer liegen über Vietnam u. a. folgende Publikationen vor:

• Zusammen mit Irene Feldbauer: Sieg in Saigon. Erinnerungen an Vietnam. Pahl Rugenstein Nachf., Bonn 2005, 2. Aufl. 2006.

• Die Nationale Befreiungsrevolution Vietnams. Zum Entstehen ihrer wesentlichen Bedingungen von 1925 bis 1945. Pahl Rugenstein Nachf., Bonn 2007.

• Vietnamkrieg, Papyrossa, Köln 2013.

• Vor 75 Jahren siegte in Vietnam die Augustrevolution. Ho Chi Minh rief am 2. September 1945 die Demokratische Republik Vietnam aus. Schriftenreihe "Konsequent" der DKP Berlin, Heft 2/2020.


Zum Beitrag Phu Trongs gab Gerhard Feldbauer der Nachrichtenagentur Vietnam News Agency (VNA) ein Interview, das mehrere vietnamesische Medien veröffentlichten bzw. wiedergaben. Siehe u. a.
https://www.vietnamplus.vn/nha-su-hoc-duc-bai-viet-cua-tbt-nguyen-phu-trong-co-y-nghia-to-lon/730888.vnp
(VNA sendet ins Ausland in Französisch, Englisch und Spanisch).

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 14. September 2021

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