Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1107: Eine Weltregion lebt beschäftigungsprekär (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 112, 2/10

Eine Weltregion lebt beschäftigungsprekär
Eine Kampagne gegen die Flexibilisierung der Arbeit in Zentralamerika

Von Yadira Minero


Anfang des Jahres haben sich in Honduras Aktivistinnen verschiedener Organisationen zusammengefunden, um Strategien zur Verteidigung von Arbeiterinnenrechten und gegen die weitere Flexibilisierung der Arbeit zu entwerfen. Im Folgenden beschreibt die Autorin die derzeitige Situation in Zentralamerika.


Die Prekarität in den Beschäftigungsverhältnissen führt dazu, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter zu Bedingungen unterhalb den vom Arbeitsrecht vorgegebenen Normen arbeiten. In Zentralamerika zeigt sich dies in verschiedensten Formen: fehlende Beschäftigungssicherheit, fehlender Zugang der Arbeiterinnen und Arbeiter zu den zuständigen juristischen Instanzen, fehlende Sicherheits- und Hygienestandards und Verletzung des Rechts auf Organisationsfreiheit, wobei Letzteres sogar soweit führen kann, dass GewerkschaftsführerInnen an Leib und Leben bedroht werden.

Die fehlende Beschäftigungssicherheit und die Prekarisierung der Arbeitswelt in Zentralamerika sind eine Folge des neoliberalen Modells, welches die heutigen Arbeitsbeziehungen regelt und ein Ungleichgewicht schafft zwischen Kapital, Arbeit und den Arbeitsrechten der Menschen, die für transnationale Unternehmen und ihre lokalen Partner arbeiten. Die Prekarisierung der Arbeit offenbart die globalen politischen Machtverhältnisse, die sich durch eine Dominanz des Kapitals über die Arbeitskräfte charakterisieren.

In einer Weltregion wie der unseren, in der ca. die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt, geht die Prekarisierung über die fehlende Vertragssicherheit hinaus. Von der formalen Arbeitslosigkeit ist mit rund 6% ein bedeutender Teil der Bevölkerung betroffen. Besorgniserregender allerdings ist die Tatsache, dass ein Großteil der in den letzten Jahrzehnten geschaffenen Arbeitsplätze im informellen Sektor angesiedelt ist. Dieser Sektor wuchs auch im Jahre 2009 und umfasst inzwischen 60% aller Beschäftigten in der Region. Diese Personen sind in der Regel selbstständig (41%), verfügen über keine Sozialversicherungen und müssen mit der ständigen Ungewissheit leben, ob sie am kommenden Tag ein existenzsicherndes Einkommen erwirtschaften. Diese Situation ist eine Folge der Abwesenheit von staatlichen Beschäftigungspolitiken und ein Resultat der wirtschaftlichen Öffnungspolitik, welche die transnationalen Konzerne und die bedeutenden nationalen Unternehmen mit Steuerbefreiungen und fehlenden Kontrollen begünstigen. Dies führt zu einem Anstieg der Armut und zu entsprechend negativen Rückwirkungen auf die Lebensbedingungen von Millionen von Menschen.


Die Arbeitsprekarität hat die Gestalt einer Frau

Die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt unterscheidet sich aufgrund des patriarchalen Systems historisch von derjenigen der Männer. Die Frauen verrichteten unbezahlte Arbeiten in den familiären Landwirtschaftsbetrieben, leisteten Freiwilligenarbeit und waren im Haushalt beschäftigt. Dabei handelte es sich um Arbeiten, welche sozial nicht anerkannt waren, mit der Konsequenz, dass der Beitrag der Frauen an die Wirtschaftsleistung nicht wahrgenommen wurde.

Im aktuellen Kontext Zentralamerikas bleibt die Situation der Frauen besorgniserregend und durch Diskriminierung im Arbeitsmarkt gekennzeichnet. Die Statistik zeigt, dass bestimmte Faktoren besonders die Frauen benachteiligen und die Arbeitssuche aufgrund kultureller Strickmuster zu einem Hindernislauf machen. Diese Situation wurde von der Regionalen Kampagne gegen die Flexibilisierung der Arbeit anlässlich der Anhörung vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte im November 2009 verurteilt. Im dort präsentierten Bericht erwähnten wir, dass "die Strategien der zentralamerikanischen Staaten, damit die Frauen ihr Recht auf Arbeit wahrnehmen können, keine wirksamen Resultate ergeben."

Kündigungen wegen Mutterschaft finden auch weiterhin statt, was letztlich auch einen Kampf gegen die Vorurteile bezüglich Mutterschaft bedeutet. Diese Vorurteile haben eine Ungleichheit sowohl im Zugang zur Arbeit als auch im Fortbestand des Beschäftigungverhältnisses zur Folge. Der Prozentsatz an Frauen bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen als auch bei Teilzeitbeschäftigungen ist höher als bei Männern, insbesondere in Zeiten von Krisen. Gemäß der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) waren im Jahre 2009 36,4% der Frauen teilzeitbeschäftigt, gegenüber 22% bei den Männern. Frauen verdienen für die gleiche Arbeit weniger als Männer. Die entsprechende Einkommenskluft beträgt in Zentralamerika 25%. Und noch immer arbeitet die Mehrheit der Frauen daneben unentgeltlich im Haushalt. Dies führt dazu, dass Frauen neben ihrer Tätigkeit im Haushalt eine entlohnte Zweitarbeit suchen, was direkte Folgen auf ihre Gesundheit, Lebensqualität und Arbeitseffizienz hat.


Mehrfachbeschäftigung als Regel

Dabei muss man sich vor Augen halten, dass in Zentralamerika 32% der gesamten Arbeitsbevölkerung mehr als einer Arbeit nachgeht. Die wenigen Stellenangebote für Frauen ergeben sich dabei vorwiegend in prekarisierten Sektoren, wie den Maquilas. Gerade die Maquilas haben zu einem beträchtlichen Anstieg der Frauenbeschäftigung im formellen Sektor beigetragen. Nichtsdestotrotz werden gerade in diesem Beschäftigungsbereich weiterhin die elementarsten Arbeitsrechte der Frauen verletzt. Bleibt zu erwähnen, dass die Prekarität bei den Vertragsbedingungen eine Tatsache ist und die Probleme, welche die Arbeiterinnen in den "Zonas Francas" antreffen, komplex sind.

Andererseits existiert die Bedrohung einer Prekarisierung aufgrund von arbeitsrechtlichen Reformen. Nichtsdestotrotz gibt es Handlungsspielraum zur Verteidigung der Arbeitsrechte aufgrund der menschenrechtlichen Bestimmungen, welche international anerkannt sind und vor Prekarisierung schützen. Die Verteidigung der Arbeitsrechte geht dabei vom Prinzip aus, dass diese Teil der ökonomischen, kulturellen und sozialen Rechte (UNO-Pakt I) und von daher unverzichtbar sind und Vorrang gegenüber jeglichem Freihandelsvertrag haben.


Aufzeigen, sensibilisieren, mobilisieren

Es ist wichtig, für eine wirkliche Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen und Männern zu kämpfen. Deshalb haben führende Frauen der Organisationen, welche die Regionale Kampagne gegen die Flexibilisierung der Arbeit bilden, im Januar dieses Jahres in Honduras ein Treffen unter dem Titel "Unsere Interventionsstrategie zur Verteidigung der Rechte der Arbeiterinnen" durchgeführt. Im Rahmen dieses Treffens haben wir eine Strategie definiert, welche darauf hinzielt, zu dokumentieren, zu systematisieren, zu mobilisieren, die unsicheren und prekären Beschäftigungsbedingungen der Frauen in der Region zu denunzieren sowie die Bevölkerung bezüglich der Beschäftigungsunsicherheit und Prekarisierung der Arbeitsbedingungen der Frauen zu sensibilisieren. Unter anderem sollen Sensibilisierungsaktionen und Weiterbildungen sowie Protestaktionen und Mobilisierungen durchgeführt werden mit dem Ziel, die verschiedenen Kampagnen zur Respektierung der Arbeitsrechte der Frauen in der Region zusammenzuführen.


Zur Autorin:
Yadira Minero ist Menschenrechtsaktivistin am Frauenrechtszentrum CDM in San Pedro Sula in Honduras und Aktivistin der zentralamerikanischen "Regionalen Kampagne gegen die Flexibilisierung der Arbeit".


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 112, 2/2010, S. 28-29
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2010