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LATEINAMERIKA/1334: Kolumbien - Ex-Unterhändler Gontard dringt auf Umsetzung von Landreformgesetz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Februar 2012

Kolumbien: Ex-Unterhändler Gontard dringt auf Umsetzung von Landreformgesetz

von Constanza Vieira


Bogotá, 20. Februar - Mit Erleichterung hat der Schweizer Jean-Pierre Gontard, der ehemalige Unterhändler für die Freilassung von Geiseln in der Hand der kolumbianischen FARC-Rebellen, auf seine Rehabilitation durch die kolumbianische Justiz reagiert. "Das lange Warten hat sich gelohnt", erklärte er im IPS-Telefoninterview mit Blick auf das dreieinhalbjährige Verfahren.

Kolumbiens Staatsanwaltschaft hatte im Juli 2008 Ermittlungen gegen Gontard wegen des Verdachts der Finanzierung einer terroristischen Organisation und Komplizenschaft mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) eingeleitet. Doch Staatsanwältin Nancy Pardo von der Anti-Terrorismuseinheit der kolumbianischen Generalstaatsanwaltschaft konnte keine Beweise für ein strafbares Handeln finden und stellte das Verfahren gegen den Ex-Unterhändler ein.

"Die Staatsanwaltschaft ist nach einer Überprüfung meines Verhaltens und meiner fast zehnjährigen (Vermittlungs-) Arbeit zu dem Schluss gekommen, dass ich lediglich meiner humanitären Arbeit nachgekommen bin", betonte Gontard. Dass es ihm als Unterhändler zur Befreiung der FARC-Geiseln gelungen sei, das Vertrauen der linken Rebellen zu gewinnen, heiße nicht, dass er ihre Methoden gebilligt oder gar gemeinsame Sache mit ihnen gemacht habe.


Vorwurf vom Tisch

Das Urteil der Juristin bestätigt über 46 Seiten, dass sich keine Anzeichen dafür finden ließen, dass sich Gontard illegal verhalten, im Interesse der FARC gehandelt beziehungsweise die Anschauungen der Rebellen geteilt habe. Obwohl bereits am 16. Januar gefällt, wurde die Entscheidung der kolumbianischen Justiz erst jetzt bekannt.

"Ich habe nie die Grenzen meines Mandats überschritten", versicherte Gontard. Der 61-jährige ehemalige Vizedirektor des Hochschulinstituts für Entwicklungsstudien in Genf, war 1998 von der Schweizer und kolumbianischen Regierung zum Unterhändler bestellt worden, um mit der FARC und der zweitgrößten Rebellengruppe ELN über eine Freilassung von Geiseln zu verhandeln.

Im gleichen Jahr war Gontard erstmals von FARC- und ELN-Gesandten in Genf kontaktiert worden, die dort an einem internationalen Friedenstreffen mit der damaligen Außenministerin María Emma Mejía teilgenommen hatten. Im Februar 2002 sollten die unter Staatspräsident Andrés Pastrana (1998-2002) eingeleiteten Friedensverhandlungen mit den Rebellen schließlich scheitern.


Erfolgsbilanz

Während seiner fast zehnjährigen Mission ist es Gontard gelungen, zahlreiche ausländische Geiseln freizubekommen. Als sein größter Erfolg gilt die Freilassung von 357 Militärs und Polizisten im Austausch gegen 14 inhaftierte Rebellen 2001. "Um zu diesem Abkommen zu kommen, verhandelten wir mit der FARC und der Regierung eineinhalb Jahre", erinnerte er sich.

Auch wurden Gontard und ein französischer Kollege 2004 von den Regierungen der Schweiz, Frankreichs und Spaniens als Faszilitatoren von Gesprächen über eine Freilassung der ehemaligen kolumbianischen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt entsandt. Sie waren die ersten, die Beweise anbringen konnten, dass die verschleppte Politikerin noch am Leben war. Als Betancourt im Juli 2008 im Rahmen einer Militäraktion befreit wurde, bemühten sich beide im Einvernehmen mit der Regierung in Bogotá um ein Zusammentreffen mit dem damals ranghöchsten FARC-Rebellen Alfonso Cano. Im November letzten Jahres kam Cano bei Kämpfen ums Leben.


Landrückgabe als Türöffner für Friedensgespräche

Nach Ansicht von Gontard steht die Regierung von Juan Manuel Santos vor ihrer derzeit wichtigsten Aufgabe: der Umsetzung des von ihr vorangebrachten Landrückgabegesetzes. Nach offiziellen Angaben sind seit 1991 rund 360.000 Familien von ihrem Land, das eine Gesamtfläche von 6,6 Millionen Hektar einnimmt, vertrieben worden.

Für dieses Jahr hat sich die Santos-Regierung vorgenommen, 13.760 Landreklamationen zu bearbeiten. Bis 2014, wenn die Amtszeit von Santos abläuft, will man 160.000 Anträge bewältigt und gebilligt haben. Darüber hinaus ist als Teil einer Anti-Vertreibungsstrategie vorgesehen, nur diejenigen mit Eigentumstiteln auszustatten, die den Landbesitz nachweisen können.

Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Beratergruppe für Menschenrechte wurden seit 1985 mehr als fünf Millionen Kolumbianer vertrieben. Der Bürgerkrieg selbst ist seit 1964 mit Unterbrechungen in Gang. Das Landrückgabegesetzt ist seit Januar in Kraft und über einen Zeitraum von zehn Jahren wirksam. Bis dann sollen mindestens 300.000 Anträge auf Landrückgabe behandelt werden.

Würde sich nur die Hälfte dieses Vorsatzes erreichen lassen, wären die Voraussetzungen gut, um die Rebellen an den Verhandlungstisch zu bringen, meinte Gontard. Denn dann könnten sie argumentieren, dass sich der Jahrzehnte lange Kampf um Land für die Bauern gelohnt habe. "Ich hoffe, dass die Bedeutung, die der Lösung des Landproblems zukommt, nicht durch Torheiten und politische Querelen verdeckt wird", so der ehemalige Unterhändler. "Kolumbien ist das einzige Land Amerikas mit einer Konterreform. So was gab's noch nicht mal in Guatemala." (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2012