Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1376: Kolumbiens komplizierte Friedensgespräche in Oslo (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 43 vom 26. Oktober 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Kolumbiens komplizierte Friedensgespräche in Oslo
Beginn der konkreten Verhandlungen am 15. November in Havanna

von Günter Pohl



Einen weiteren Tag später als angekündigt sind am 18. Oktober in Hurdal, 50 Kilometer nördlich von Oslo, offiziell die Friedensgespräche für Kolumbien angelaufen. In einer live übertragenen Pressekonferenz wurden einerseits die bestehenden Differenzen, andererseits aber - zumindest verbal - auch der Wunsch nach Frieden deutlich. Beide Seiten erläuterten zunächst ihre Sicht der Dinge; danach gab es vor Dutzenden Journalist/inn/en aus aller Welt zwei getrennte Pressekonferenzen. Die Garantiestaaten Norwegen, das seit 1988 Kontakte zu den FARC unterhält, und Kuba eröffneten die Konferenz. Kuba war vertreten durch den Regierungsbeauftragten Abel García. Für Kolumbiens Regierung sprach der Chefunterhändler Humberto de la Calle. Er unterstrich die Andersartigkeit dieses Prozesses gegenüber vorherigen Friedensverhandlungen wie dem letzten, der vor zehn Jahren scheiterte. Wichtig sei die Vertraulichkeit: die Gespräche scheitern, wenn Themen nach außen dringen, warnte der ehemalige Vizepräsident (1994-96) unter Präsident Samper. Jedes einzelne Thema dürfe nur zu einem bestimmten Zeitpunkt erörtert werden; auch, um "Störungen durch Gegner des Prozesses" zu begegnen. In den ideologischen Fragen sei natürlich keine Annäherung zu erwarten, aber es gehe darum mit Würde miteinander zu sprechen. Die FARC könnten ihre politischen Ideen vortragen und nach einem Friedensschluss sollten sie das auch tun, ohne dass jemand verlange, dass sie ihre Meinungen ändern müssten - als politische Partei. Wenn sie dabei eine Mehrheit bei Wahlen fänden, so werde das akzeptiert. Kolumbien habe sich geändert, so de la Calle: Linke stellten heute in vielen Regionen Kolumbiens die Regionalregierungen bzw. Bürgermeister.

Heute habe der unterste Richter mehr Macht als die gesamte Regierung. Für die Regierung gelte die Ethik des Vereinbarten. Andererseits würde sie aber auch lieber ein klares Nein sagen als sich oder das Volk zu betrügen, wenn die Bedingungen nicht stimmten. De la Calle erwähnte seine Eigenschaft als Regierungsvertreter bei der Ausarbeitung der Verfassung, die 1991 verabschiedet wurde, nachdem sich mehrere Guerillas aufgelöst hatten. Diese habe auch Fehler - man wolle insbesondere dazu auch die Meinung der FARC aufmerksam anhören. Ein sofortiger Waffenstillstand wird von der Regierungsseite abgelehnt, den sie erst nach Abschluss eines Abkommens vorsieht. Für den Übergang zu einer unbewaffneten politischen Bewegung wolle man der Guerilla aber Garantien geben, so Humberto de la Calle. Auf den Paramilitarismus, die 1 200 Ermordeten aus Armenvierteln, die man als Guerilleros ausgegeben hat und die zahllosen anderen Verbrechen des Staates (selbst die UN sprechen von 79 Prozent staatlicher Verantwortlichkeit für die politischen Morde in Kolumbien, nicht gerechnet die Verbrechen der Paramilitärs) ging Humberto de la Calle nicht ein.

Iván Márquez eröffnete mit einem Zitat des 2008 verstorbenen FARCGründers Manuel Marulanda, in dem der Wunsch nach Frieden für Kolumbien ausgedrückt wird. Der FARCKommandant, der auch Mitglied ihres Sekretariats ist, sagte, dass man aus den Tropen, dem drittungleichsten Land der Erde, zum 60. Breitengrad nach Oslo gekommen sei, "mit einem Olivenzweig in der Hand". Protagonist der Gespräche müsse jedoch das Volk sein, das Ausdrucksformen seiner Wünsche finden solle. Für die Gespräche müsste genügend Zeit zur Verfügung stehen, denn sie könnten "nicht gegen die Uhr" geführt werden. Ein Waffenstillstand sei erforderlich, wozu es zu einer "Demilitarisierung seitens des Staates" kommen müsse. Die FARC seien bereit für den Frieden bis zur letzten Konsequenz zu gehen. Márquez forderte von den Staaten der EU die FARC nicht weiter als Terrororganisation einzustufen. Der Kommandant ging auf das verfehlte Wirtschaftsmodell Kolumbiens ein, das Ressourcen an Öl, Kohle, Ferronickel und Gold zugunsten transnationaler Konzerne exportiere und das Millionen Menschen verarmt, vertreibt und Ursache der Ungleichheit ist, und forderte eine radikale sozioökonomische Umgestaltung.

Die Fragen der Journalisten in den anschließenden Pressekonferenzen eröffneten Humberto de la Calle, der als einziger für die Regierungsvertreter sprach, die Gelegenheit Iván Márquez vorzuwerfen ein neues, nicht vorgesehenes Themenfeld zu eröffnen: er wies die Einbeziehung des Wirtschaftsmodells in die Verhandlungen zurück und ermahnte die Guerilla sich "ihren Opfern zu stellen". Die FARC-Delegierten, die alle (Andrés París, Rodrigo Granda, Jesús Santrich, Ricardo Téllez und Chefunterhändler Iván Márquez) zu den internationalen Medien sprachen, konterten diesen Versuch der Reduzierung der Guerilla auf entpolitisiertes und entideologisiertes Morden sowie der Gespräche auf eine reine Verhandlung über Entwaffnung und Wiedereingliederung ausführlich. "Die FARC sind eine revolutionäre Organisation, die keine Verbrechen gegen das Volk begeht"; 18 000 Verschwundene allein in der Uribe-Regierungszeit oder millionenfache Vertreibungen stünden hingegen auf der anderen Seite. Für die FARC ginge es bei den Verhandlungen außerdem nicht um Abgeordnetensitze neben "in den Drogenhandel verwickelte Abgeordnete", sondern um die Erwartungen der Kolumbianerinnen und Kolumbianer für Gerechtigkeit. "Wir machen vom universellen Recht auf Widerstand gegen eine Schandregierung Gebrauch; unsere Aktivität ist Antwort auf eine terroristische Gewalt des Staates", erwiderten die Guerilleros auf die Frage einer Journalistin, ob sie bereit seien, nach einem Friedensschluss ins Gefängnis zu gehen. Überhaupt antworteten die Guerilleros mit revolutionärer Klarheit und widerlegten mit ihrem zutiefst analytischen Diskurs die Medien, die schon im Vorfeld von Oslo die Version der "von ihren Idealen entfernten, militaristischen und einzig auf Drogenhandel gerichteten Guerilla" gegenseitig übernommen hatten.

Die Guerilla verlangt die Einbeziehung des in den USA inhaftierten und zu 60 Jahren Haft verurteilten Kommandanten Simón Trinidad in die Delegation für Kuba. Man hoffe, die USA würden sich zu dem Schritt seiner Freigabe entschließen. In Havanna solle auch die vor Jahren durch ihre Eingliederung in die bewaffneten FARC-Verbände berühmt gewordene Niederländerin Tanja Nijmeijer an den Verhandlungen teilnehmen.

Wie zu erwarten, haben die Einlassungen der FARC-Vertreter zu heftigen Reaktionen in der veröffentlichten Meinung in Kolumbien geführt. Carlos Lozano, Chefredakteur der KP-Zeitung "Voz" und 2. Sekretär der Partei, erklärte gegenüber der UZ, dass die Oligarchie den Frieden gratis will. Am 5. November wird der Prozess in Havanna mit einem vorbereitenden Treffen weitergehen, bevor es zehn Tage später mit dem ersten Thema der Agrarfrage in die konkreten Verhandlungen geht. Außerdem werden in der Folge die Bereiche einer Teilnahme der Opposition am politischen Geschehen, eines möglichen Ende des Konflikts, Drogenhandel und Opferentschädigung bearbeitet.

*

Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 43 vom 26. Oktober 2012, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de
 
Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 126,- Euro, Ausland: 130,-
Ermäßigtes Abo: 72,- Euro
Förder-Abonnement: ab 150 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2012