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OSTEUROPA/318: Ukraine - Amtsenthebung von Innenminister Luzenko (Falkenhagen/Queck)


Amtsenthebung von Innenminister Luzenko

Eine Sondersitzung des ukrainischen Parlaments sorgt für neue Überraschungen vor der Präsidentschaftsstichwahl am 7. Februar

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 31. Januar 2010


Die Sondersitzung des Parlaments (der Werchowna Rada) am 28. Januar war von den Fraktionen der Partei der Regionen von Janukowitsch und des Blocks Julija Timoschenko (BJUT) beantragt worden. Folgende Fragen standen auf der Tagesordnung: 1. Einhaltung der Verfassung durch die Leitung des Innenministeriums während der Präsidentschaftswahlen; 2. das Projekt eines Gesetzes für Änderungen des "Gesetzes über die Wahl des Präsidenten der Ukraine" betreffs der Arbeit der Wahlkommissionen; 3. das Projekt des Gesetzes für Änderungen "des Gesetzes über die Wahl des Präsidenten der Ukraine" betreffs der Verhinderung von Verfälschungen des Wählerwillens und 4. das Projekt eines Gesetzes über die Einsetzung einer Zeitweiligen parlamentarischen Untersuchungskommission zur Prüfung der Gesetzlichkeit der Pacht der Regierungsresidenz Meshigir'ja durch Viktor Janukowitsch.

Die Sitzung begann mit einem Antrag der Partei der Regionen, den Innenminister Luzenko seiner Funktion durch Abwahl zu entbinden. Luzenko ist ein Anhänger von Frau Timoschenko und wird verdächtigt, der Dame mit dem Haarkranz Wahlhilfe zu leisten und das, wie es heißt, "als Kommandierender von über 500 000 Polizisten und Milizionären, die für Ruhe und Ordnung im Staat sowie den Grenzschutz zu sorgen sowie jetzt auch den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen zu überwachen haben"!. In der Tat, Luzenko hatte die Praxis in den Hochburgen der Partei der Regionen beanstandet, viele Wähler zu Hause wählen zu lassen, obwohl sie nicht immer so krank seien., dass sie keine Wahllokale aufsuchen könnten. Er verlangte ärztliche Bescheinigungen z. B. für Bettlägerigkeit, und das mindestens zwei Tage vor den Wahltermin. Ebenso verlangte er Bescheinigungen für die Notwendigkeit der Abwesenheit vom Wahlort, an dem ein Wahlberechtigter registriert ist, falls er mit einem Talons anderswo wählen will. Er habe etwa eine halbe Millionen sog. " tote Seelen" aufgedeckt und die entsprechende Korrektur der Wählerregister durchgesetzt, erklärte Luzenko im Parlament. In diesem Zusammenhang stehende Aktivitäten wurden von der Partei der Regionen, was auch immer daran richtig oder falsch sein mag, als ungesetzliche Wahlhilfe für Frau Timoschenko, der Gegenkandidatin von Janukowitsch in der Endrunde der Präsidentschaftswahl deklariert. Doch war das der wirkliche Hintergrund für die dann tatsächlich erfolgte Amtsenthebung von Luzenko, oder wollte Janukowitsch mit dem Antrag, für den es zunächst keine Parlamentsmehrheit gab, nur einen Warnschuss abgeben, um den von ihm befürchteten Wahlmanipulationen vorzubeugen?

Der Antrag auf Amtsenthebung von Luzenko von seiner Funktion als Innenminister bedurfte einer einfachen parlamentarischen Mehrheit von mindestens 226 Stimmen von insgesamt 450. Bei der Abstimmung waren 398 Abgeordnete im Parlamentssaal anwesend. Die Partei der Regionen war mit 172 Abgeordnetenmandaten im Parlament vertreten, einer, nämlich ihr Vorsitzender Janukowitsch, fehlte. Die Partei der Regionen bekam bei ihrem Antrag auf Amtsenthebung des Innenministers Luzenko Unterstützung von anderen Fraktionen. Die 27 Abgeordneten der Kommunistischen Partei und 19 Abgeordnete der Fraktion des Litwin-Blocks unterstützten am 28. Januar ebenfalls den Antrag zur Abwahl Luzenkos. Aber das hätte noch nicht zu einer Mehrheit ausgereicht. Bei der Abstimmung votierten 171 Abgeordnete der Partei der Regionen, 27 Kommunisten und 19 Abgeordnete des Litwin-Blocks für die Abwahl von Luzenko als Innenminister. Janukowitsch konnte seine Stimme wegen eines Besuchs auf der Krim nicht abgeben und Litwin, Vorsitzender des Litwin-Blocks und derzeit Parlamentsvorsitzender (Parlamentssprecher), hielt es für zweckmäßig, sich der Stimme zu enthalten. Das sensationell Außergewöhnliche war nun, dass auch noch 11 anwesende Abgeordnete der Juschtschenko-Partei "Unsere Ukraine", eines Flügels der Fraktion "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" (keineswegs ein Verbündeter von Janukowitsch), und noch ein Abgeordneter der BJUT für die Absetzung Luzenkos stimmten. Zwei der 6 fraktionslosen Abgeordneten stimmten ebenfalls für dessen Abwahl. So kam eine Mehrheit von 231 Stimmen zustande. Die meisten der übrigen 60 Abgeordneten der Fraktion unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes glänzten durch Abwesenheit. Nur die 153 Abgeordneten der Fraktion von Julija Timoschenko (BJUT) stimmten mit einer Ausnahme gegen die Amtsenthebung des Innenministers. (s. www.rada.kiev.ua und www.rian.ru/politics/20100128/206723730.html).

Das war ein Schlag gegen Frau Timoschenko und ihre Anhänger in ihrer letzten Phase des Wahlkampfes um das Präsidentenamt am 7. Februar, denn Jurij Luzenko ist eine ihrer wichtigen Stützen in diesem Wahlkampf. Dass ein Abgeordneter der BJUT die Entscheidung gegen den Mehrheitswillen seiner Fraktion mittrug, so etwas kann vorkommen - der BJUT-Abgeordnete Grigorij Omel'tschenko liegt schon länger im Clinch mit Luzenko, dass aber 11 Abgeordnete der Partei des amtierenden Staatspräsidenten Juschtschenko diesmal für Janukowitsch und gegen Frau Timoschenko votierten, lässt aufhorchen, obgleich es nicht überraschend war. Es entspricht der Taktik von Juschtschenko, die beiden Endrundenkandidaten Janukowitsch und Frau Timoschenko gegeneinander auszuspielen.

Die Sitzverteilung im 450 köpfigen ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada ist derzeit Folgende: Partei der Regionen 172; Block Julija Timoschenko (BJUT) 153; Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes (eine politisch gespaltene Fraktion) 71; Kommunistische Partei 27, Block Litwin 20; Fraktionslose 6. Ein Sitz ist vakant. Damit verfügt Frau Timoschenko auch nicht mehr über eine sichere Parlamentsmehrheit. Sie ist von schwankenden Mehrheiten abhängig. Wenn sie am 7. Februar nicht zur ukrainischen Präsidentin gewählt wird, dürfte ihre Zukunft vorerst beendet sein.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang Folgendes: Am Vortage der Parlamentssitzung vom 28. Januar fand am Sitz des Staatspräsidenten Juschtschenko eine Sitzung des "Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung" (RNBO) statt, eines Organs, das unmittelbar dem Staatspräsidenten untersteht. An der Sitzung nahmen der Chef des Inlandsgeheimdienstes (des Sicherheitsdienstes-SBU) V. Naliwajtschenko, der Chef des Auslandgeheimdienstes, M. Malomush, der Leiter des Staatsschutzes O. Birsan sowie die Sekretärin des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung, R. Bogatir'owa, ferner der Chef des Sekretariats des Präsidenten V. Ul'jantschenko und sein Stellvertreter P. Schatkovs'kij teil. Teilnehmer war auch der Generalstaatsanwalt der Ukraine O. Medwed'ko, der sonst nicht zu dieser Runde gehört. Sonst war noch der Leiter der Zentralen Wahlkommission V. Schapowal geladen, der auch kein Mitglied dieses Rats ist. Nicht geladen waren die Premierministerin Timoschenko und außer den beiden Geheimdienstchefs und dem Chef des Staatsschutzes auch nicht die Vertreter der bewaffneten Organe, wie der Innenminister, Verteidigungsminister und Generalstabschef der Armee, die normalerweise dem RNBO angehören. Wie verlautete, wurden auf der Sitzung Beschlüsse zur Einhaltung der Gesetzlichkeit und der Rechtsordnung bei der 2. Runde der Präsidentschaftswahlen gefasst. (s. www.president.gov.ua/news/16489.html)

Der am 28. Januar zur Anhörung zur Parlamentssitzung geladene Generalstaatsanwalt O. Medwed'ko beschuldigte Innenminister Luzenko der verfassungswidrigen Einmischung in bestimmte Wahlvorgänge und vertrat damit offensichtlich im Auftrag von Juschtschenko die Position der Partei der Regionen. Und der als Vertreter des Leiters des Inlandsgeheimdienstes geschickte Chef von dessen Abteilung für Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, Vasil' Grizak, blies auf der Parlamentsitzung ins gleiche Horn. Medwed'ko und auch Grizak handelten wie Befehlsempfänger von Staatspräsident Juschtschenko. Eigentlich waren die beiden genannten Personen, die Hauptpersonen, die in der besagten Parlamentsitzung gegen Jurij Luzenko argumentierten und ihn beschuldigten, nicht verfassungsgemäß zu handeln.
So kam es dann zu dem Abstimmungsergebnis!


In einer anderen Frage stimmten die Abgeordneten des Juschtschenko-Lagers wieder gegen Janukowitsch, nämlich als es um die Einsetzung einer Zeitweiligen Untersuchungskommission zur Prüfung der Gesetzlichkeit der Pacht der Regierungsresidenz Meshigir'ja durch Janukowitsch ging. Hier standen der Generalstaatsanwalt Medwed'ko und auch Grizak wieder der BJUT bei, als gegen Janukowitsch gewettert wurde. Der eingebrachte Beschluss zur Einsetzung einer entsprechenden Zeitweiligen Untersuchungskommission wurde nicht nur von der BJUT, sondern auch von den Abgeordneten der Juschtschenko-Partei "Unsere Ukraine" unterstützt. Auch in der Frage der Änderung des "Gesetzes über die Wahl des Präsidenten der Ukraine" gab es seitens der Juschtschenko-Leute wiederum Unterstützung für Frau Timoschenko. Die Partei der Regionen lehnt Änderungen des Wahlrechts jetzt wenige Tage vor der Stichwahl ab. Sie sieht dadurch die ordnungsmäßige und reibungslose Durchführung der Wahl gefährdet.

Der Antrag von Staatspräsident Juschtschenko, den vakant gewordenen Posten eines Mitglieds der Zentralen Wahlkommission mit einem seiner Anhänger zu besetzten, scheiterte dann wieder an der ablehnenden Haltung beider großer Fraktionen, der Partei der Regionen und der BJUT. Seine erneute Behandlung wurde auf die am Dienstag, den 2. Februar, angesetzte neue Parlamentssitzung vertagt.

In einer anderen Frage gab Generalstaatsanwalt Medwed'ko wiederum Wahlhilfe für Janukowitsch Er sprach ihn ausdrücklich von dem Vorwurf frei, vorbestraft zu sein. Das betrifft im Wahlkampf hochgespielte Anspielungen, dass Janukowitsch angeblich Ende der 60ger/Anfang der 70er Jahre wegen Raub und Körperverletzung zu Freiheitsentzug verurteilt worden war.

Was die Vorgänge um das Polygraphische Kombinat "Ukraina" anbelangt, das u. a. als staatliche Druckerei Stimmzettel druckt, so hatte Innenminister Luzenko bekannt gegeben, die Objektsicherung durch Polizeikräfte angeordnet zu haben. Der Druck der Wahlscheine für den 7. Februar habe bereits am 28. Januar begonnen, erklärte er. Wer die Objektsicherung dieses Kombinats jetzt übernehmen soll, darüber scheint es allerdings einen Kompetenzstreit zwischen Regierung und Staatspräsidenten zu geben. Auf einer Sitzung des "Rats für Nationale Verteidigung und Sicherheit" (RNBO), am 25. Januar, gab Juschtschenko bekannt, dass Einheiten des ihm unterstellten Inlandsgeheimdienstes (des Sicherheitsdienstes der Ukraine-SBU) die Kontrolle über das Objekt übernehmen werden, um den unkontrollierten Druck von Wahlunterlagen zu verhindern.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt!

Premierministerin Timoschenko hat sich nicht beirren lassen und die Entscheidung des Parlaments zur Amtsenthebung von Innenminister Luzenko unverzüglich konterkariert, indem sie Luzenko zum Ersten Stellvertreter des Innenministers ernannte, wodurch er sein Amt vorerst weiter ausüben kann. Sie ließ sich das auf einer anschließend einberufenen Sitzung des Ministerkabinetts bestätigen. Die Verfassung ermächtigt die Premierministerin zur Ernennung von Stellvertretern von Ministern ihres Kabinetts ohne Zustimmung des Parlaments und des Staatspräsidenten. Ausgenommen sind hier nur das Außenministerium und das Verteidigungsministerium, wo laut Verfassung auch der Staatspräsident Rechte zur Ernennung von Stellvertretenden Ministern hat. Der Erste Stellvertreter der Premierministerin, Turtschinow, hat den Beschluss von Frau Timoschenko am 28. Januar der Öffentlichkeit mitgeteilt. Ob eine angeblich ergangene Entscheidung des Bezirksverwaltungsgerichts von Kiew bezüglich der Gültigkeit der Amtsenthebung von Luzenko und der Nichtzulassung seiner Ernennung zum Ersten Stellvertreter des Innenministers und damit zum kommissarischen Innenminister aufschiebende Rechtskraft hat, bedarf noch einer Nachprüfung. Genau genommen ist für eine solche Entscheidung das Verfassungsgericht zuständig. Da diese Entscheidung allerdings auch den Wahlkampf betrifft, wäre für diese Streitigkeiten die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig.

Man darf also gespannt sein, wie die Stichwahl zwischen Janukowitsch und Frau Timoschenko am 7. Februar ausgeht.
Mit einem eventuellen von Juschtschenkos Gnaden ernannten Innenminister allerdings ist ein Staatsstreich in der Ukraine und damit ein weiteres Amtieren des gegenwärtigen ukrainischen Staatspräsidenten Juschtschenko durchaus im Bereich des Möglichen.


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Quelle:
Copyright 2010 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2010