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OSTEUROPA/319: Vor den Stichwahlen in der Ukraine - labile Lage (Falkenhagen/Queck)


Vor den Stichwahlen in der Ukraine - labile Lage

Kurzeinschätzungen von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck
Aktualisierte Fassung vom 6. Februar 2010


5.2.2010, 11:26 Uhr
Pressedienst des Präsidenten der Ukraine Viktor Juschtschenko

Ukraine: Präsident Juschtschenko führte im "Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung" (RNBO) eine Beratung betreffs der verstärkten Sicherung der Gesetzlichkeit und der Rechtordnung während der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen am 7. Februar 2010 durch

Das Staatsoberhaupt verkündete, dass die Wahlen unter ehrlicher Verantwortlichkeit gegenüber den Normen der Gesetzgebung und unter den Bedingungen der Gewährleistung der geltenden Rechtsordnung durchgeführt werden müssen. Auf gesetzliche Weise Wahlen auf der Grundlage der Gleichheit durchzuführen, das bedeutet große gesellschaftliche und politische Unruhen und Widerstände zu vermeiden, erklärte der Präsident und rief die Teilnehmer der Beratung auf, sich zur gewissenhaften Durchführung seiner erteilten Vollmachten zur Verfügung zu halten.
Das Staatsoberhaupt stellte mit Bedauern fest, dass auf Grund der jüngsten Daten und Fakten über die Abstimmung die politische Situation immer angespannter wird. "Die Situation wird mit jedem Tag intoleranter. Leider sinkt sie unter das Niveau der demokratischen Kultur ab, wie sie europäischen Maßstäben entspricht, und immer öfter verletzt sie die menschlichen Normen der Ethik," sagte Viktor Juschtschenko.

In der der Beratung beauftragte der Präsident die Kräfte der Truppen der inneren Sicherheit und die Leitung des Staatsschutzes, den Schutz der Gebäude der Zentralen Wahlkommission, darunter des äußeren Umfelds der Gebäude zu verstärken. Das Staatsoberhaupt beauftragte auch den Sicherheitsdienst der Ukraine (den Inlandgeheimdienst) und den Staatsdienst für Spezialnachrichtenwesen und Informationsschutz, die Sicherung der staatlichen Informationsressourcen zu verstärken.
Der Präsident informierte über seine Absicht, noch am 5. Februar einen Erlass (Ukas) zu unterschreiben, mit welchem die Entscheidung des "Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung" zur Sicherung der Gesetzlichkeit der Wahlen in Kraft gesetzt wird.

Viktor Juschtschenko erklärte die Lage auf Grund der letzten Veränderungen im "Gesetz über die Präsidentschaftswahlen", die schon in Kraft getreten sind. Nach seinen Worten wirkt dieses Gesetz, obgleich es vom Parlament allzu spät angenommen worden ist, trotzdem einem Bruch oder einer Sabotage der Wahlen von einer oder anderen der Teilnehmerseiten entgegen, darunter auch dem vorsätzlichen Nichterscheinen jener Vertreter bei den territorialen Wahlkommissionen. "Ich bekräftige, dass dies eine Verstärkung der Demokratisierung des Wahlprozesses ist", sagte der Präsident.
Auf der Ebene der Endabschnitte der Durchführung der Wahlen unterstützen wir das normale demokratische Instrumentarium, das den Missbrauch durch diesen oder jenen Kandidaten im Falle einer vorausgesehenen Niederlage minimiert, fügte Viktor Juschtschenko hinzu.

An der Beratung des "Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung" (RNBO) nahmen teil: der Leiter des Sicherheitsdienstes der Ukraine (Inlandsgeheimdienstes) V. Naliwajtschenko, der Generalstaatsanwalt der Ukraine, O. Medwed'ko, der Leiter der Auslandsaufklärung der Ukraine (des Auslandsgeheimdienstes), M. Malomush, der Leiter des Staatsschutzes, O. Birsan, der Leiter der Zentralen Wahlkommission V. Schapowal, der Leiter des Sekretariats des Präsidenten, V. Ul'jantschenko, der Stellvertreter des Leiters des Sekretariats des Präsidenten, P. Schatkows'kij, der Stellvertretende Leiter des Sekretariats - der Vertreter des Präsidenten bei der Zentralen Wahlkommission, M. Stawnijtschuk, die Sekretärin des "Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung" R. Bogatir'owa, der Kommandeur der Truppen des Innenministeriums, O. Kichtenko.

Quelle: www.president.gov.ua/news/16538.html
Übersetzer: Hans-Jürgen Falkenhagen


Der Rat der Nationalen Sicherheit und Verteidigung der Ukraine

Gemäß Artikel 107 der Verfassung der Ukraine ist der Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine ein Organ betreffs Fragen der nationalen Sicherheit und Verteidigung beim Präsidenten der Ukraine.

Der Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine koordiniert und kontrolliert die Tätigkeit der Organe der exekutiven Macht auf dem Gebiet der nationalen Sicherheit und Verteidigung der Ukraine.
Der Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine wurde durch Erlass des Präsidenten der Ukraine vom 30. August 1996 gegründet. Seine Befugnisse wurden durch ein vom Parlament beschlossenes Gesetz festgelegt.
Vorsitzender des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine ist der Präsident der Ukraine. Er bestimmt auch seine personelle Zusammensetzung. Zum Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine gehören kraft ihres Amtes der Premierminister (die Premierministerin), der Minister der Verteidigung, der Leiter des Sicherheitsdienstes (Inlandgeheimdienstes), der Innenminister und der Außenminister. An den Sitzungen des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine kann der Parlamentsvorsitzende (der Vorsitzende der Rada Werchowna Ukraini) teilnehmen.

Der Vorsitzende des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine übt die Gesamtleitung der Arbeit des Rats aus, leitet auch persönlich seine Sitzungen und übt auch andere Vollmachten aus, die im Gesetz über den Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung vorgesehen sind.
Die Beschlüsse des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine treten durch Erlasse (Ukase) des Präsidenten der Ukraine in Kraft und ihre Kompetenz und Funktionen werden durch das oben genannte Gesetz bestimmt. In Übereinstimmung mit diesem Gesetz können Mitglieder des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine auch die Leiter anderer zentraler Organe der Exekutive sein.
Für die Gewährleistung der Organisation der Arbeit und die Ausführung der Beschlüsse des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine wurde das Amt des Sekretärs (Sekretärin) des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine geschaffen. Der Sekretär (die Sekretärin) des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine wird vom Präsidenten der Ukraine ernannt und entlassen und ist ihm unmittelbar untergeordnet.

Quelle: www.president.gov.ua/content/nsdc.html
Übersetzer Hans-Jürgen Falkenhagen



Kurzeinschätzungen
von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck

Der Staatspräsident hat am 5. Februar am späten Nachmittag eine Verordnung zum Schutz der Mitglieder der Zentralen Wahlkommission erlassen. Wozu dient ein solcher Schutz unter der Regie des Staatspräsidenten? Wozu soll der beabsichtigte Objektschutz dienen, wofür der Innenminister zuständig ist, der aber von Organen übernommen werden soll, die dem Staatspräsidenten direkt unterstehen.

Am 5. Februar, 21:50 Uhr erging von Seiten von Juschtschenko zudem ein Erlass zur Amtsenthebung des Gouverneurs des Gebiets Charkow, Arsenij Abakow.
(Charkow liegt inmitten des Donezkbeckens, einem Rohstoff reichen Gebiet mit einer starken Industrie, in dem viele Arbeiter der Ukraine zu Hause sind. Diese waren zum größten Teil keine Anhänger der "orange Revolution" gewesen und sind folglich auch keine Anhänger Juschtschenkos!).

Bei solchen Vorgängen wie einer Volkswahl haben die Geheimdienste oder der Staatsschutz gar nichts zu suchen. Sie wirken hier illegal und verfassungswidrig. Kichtenko hat keine Vollmachten der Regierung, dem Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung anzugehören und von dort Weisungen entgegenzunehmen. Er müsste allein der Regierung und dem amtierenden Innenminister Luzenko unterstehen und an deren Weisungen gebunden sein. Mitglieder des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung sind die Premierministerin und der Innenminister, auch der Außenminister. Warum waren sie nicht anwesend? Der Parlamentsvorsitzende hat ein Recht, an Sitzungen des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung teilzunehmen. Warum nahm er am 5. Februar nicht an einer so der wichtigen Sitzung teil?

Dem Rat gehören lt. Gesetz z. B. der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission nicht an. Dieser darf nicht mitentscheiden. Er ist streng an die Wahlgesetzgebung gebunden. Was hat der Noch-Präsident mit den Medien vor? Will er sie unter Kontrolle nehmen, indem er sich den Zugriff zu den Informationsressourcen, wie er sich ausdrückt, über ein von ihm kontrolliertes Organ, dem "Staatsdienst für Spezialnachrichtenwesen und Informationsschutz" sichert?

Der Präsident hat sich offensichtlich schon der Unterstützung der wichtigen Armeebefehlshaber auch die des Generalstabschefs versichert. Solche Leute wie der Generalstabschef waren aber am 5. Februar im Rat offensichtlich auch nicht anwesend, obwohl sie ihm angehören. Übrigens auch nicht anwesend waren der Verteidigungsminister, der wiederum der Regierung rechenschaftspflichtig ist und auch zuständige Parlamentskommissionen waren bei der Beratung der Ratsmitglieder nicht vertreten.

Warum wurden die Maßnahmen Juschtschenkos nicht dem Parlament unterbreitet, das sie genau genommen billigen müsste? Wo bleibt die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die zur Beurteilung von Ungesetzlichkeiten bei einer Wahl zuständig ist?

Die Änderungen des Präsidentenwahlgesetzes z. B. sind vom Timoschenko-Block (BJUT) nicht gebilligt worden. Welche parlamentarische Mehrheit dahinter stehen soll, ist unklar. Der Präsident lobt sie aber offensichtlich wegen der Möglichkeit der zusätzlichen Disziplinierung der territorialen Wahlkommmissionen durch ihn in höchsten Tönen. Dann beginnt der Staatspräsident kurz vor dem Wahltermin am 7. Februar auch noch mit der Amtsenthebung von Gouverneuren in Hochburgen von Janukowitsch. Das dient doch auch letztlich nur der Stiftung totaler Verwirrung und um letztendlich einen Anlass für ein eventuelles unmittelbares Eingreifen des noch amtierenden ukrainischen Präsidenten zu schaffen.

Der gegenwärtig noch amtierende ukrainische Präsident Juschtschenko ist vom Volk schon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen abgewählt worden. Er hat nur 5,45 % der Wählerstimmen erhalten. Folglich darf er genau genommen keine Erlasse mehr herausgeben, sondern darf sich im Grunde nur noch mit der Abwicklung und Übergabe seiner Amtsgeschäfte befassen. Aber nun versucht Juschtschenko kurz vor dem Ende seiner Amtszeit offensichtlich noch einmal "den Spieß herumzudrehen", indem er unter Umgehung des Parlaments und der Regierung seine ganze Machtfülle ausspielt.

Fazit: Es ergeben sich auf der ganzen Linie Zuwiderhandlungen des Staatspräsidenten gegen die ukrainische Verfassung und Gesetzgebung.

Plant etwa der Noch-Präsident Juschtschenko, der offensichtlich einen NATO-Beitritt der Ukraine im Interesse des Westens ohne eine durch die Verfassung geforderte Durchführung einer Volksabstimmung darüber durchzusetzen beabsichtigt, einen Staatsstreich vor den Stichwahlen zur Präsidentschaft am 7. Februar oder kurz danach?

Stand: 6. Februar 2010, 13:00 Uhr ukrainischer Ortszeit


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Quelle:
Copyright 2010 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2010