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SYRIEN/019: Dominostein Damaskus - geostrategische Abgründe versus Völkerrecht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. September 2013

Syrien: Appell gegen US-Militärschlag - Ex-Staatschefs und Nobelpreisträgerinnen warnen vor Folgen

von Thalif Deen


Bild: © UN Photo/Paulo Filgueiras

Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan
Bild: © UN Photo/Paulo Filgueiras

New York, 6. September (IPS) - Mehrere Friedensnobelpreisträgerinnen sowie ehemalige Staats- und Regierungschefs haben an die USA appelliert, auch nach dem Chemiewaffeneinsatz gegen syrische Zivilisten am 21. August auf einen Militärschlag gegen die Führung in Damaskus zu verzichten und stattdessen eine politische Lösung des Konflikts voranzutreiben.

Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan, der bereits die US-Invasion im Irak 2003 als "illegal" und Verstoß gegen die UN-Charta bezeichnet hatte, erklärte am 4. September, dass die Krise in Syrien nicht mit militärischen Mitteln beizulegen sei.

Sechs Friedensnobelpreisträgerinnen forderten die USA und deren Verbündete im Namen der 'Nobel Women's Initiative' (NWI) auf, sich nicht zu Verstößen gegen das Völkerrecht und die Grundsätze des Internationalen Strafgerichtshofs hinreißen zu lassen.

Sollten die USA ihre Angriffspläne weiterverfolgen, dann nicht aus Gründen, die im Interesse der syrischen Bevölkerung lägen, ließen die Konfliktforscher der in Brüssel ansässigen 'International Crisis Group' (ICG) verlauten. "Die Regierung hat sich auf die Notwendigkeit berufen, zu bestrafen, abzuschrecken und den Einsatz von Chemiewaffen zu verhindern - ein vertretbares Ziel", hieß es. Weit mehr Menschen in Syrien seien aber im Laufe des Konflikts bereits anderen Massengräueltaten zum Opfer gefallen, ohne dass die Staatengemeinschaft einen derartigen Vorstoß zu ihrer Verteidigung unternommen hätte.

Selbst als die Regierung von US-Präsident Barack Obama, ebenfalls ein Friedensnobelpreisträger, beschloss, in dieser Frage den UN-Sicherheitsrat (UNSC) zu umgehen, beharrte Annan darauf, dass der UNSC mit seinen fünf ständigen und zehn nicht-ständigen Mitgliedern die "moralische Verantwortung trägt, eine gemeinsame Basis zu finden und das Wohlergehen des syrischen Volkes bei seinen Entscheidungen in den Vordergrund zu rücken".


Beratungen im Sicherheitsrat festgefahren

Dies sei der einzige Weg, um die Gewalt zu beenden und eine friedliche Einigung auf der Grundlage eines inklusiven politischen Prozesses herbeizuführen, sagte Annan. Die Beratungen im Sicherheitsrat sind aber festgefahren. Russland und China drohen mit einem Veto gegen jede Resolution, die ein militärisches Vorgehen gegen Syrien gutheißen würde.

Annan, der für die unabhängige Gruppe 'The Elders' aus ehemaligen Staats- und Regierungschefs sprach, erklärte weiter: "Wir fordern alle Mitgliedsstaaten dringlich dazu auf, den Bericht der UN-Inspektoren über den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien und die Beratungen des Sicherheitsrats abzuwarten, bevor sie Schlüsse ziehen und über weiteres Handeln entscheiden."

Die Gruppe 'The Elders', deren Vorsitz Annan zurzeit innehat, war 2007 von dem früheren südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela ins Leben gerufen worden. Ihr gehören momentan der frühere finnische Staatschef Martti Ahtisaari, die ehemalige norwegische Regierungschefin Gro Harlem Brundtland, der brasilianische Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso, sein früherer US-Amtskollege Jimmy Carter, die ehemalige irische Präsidentin Mary Robinson und das frühere mexikanische Staatsoberhaupt Ernesto Zedillo an.

In einem am 4. September verbreiteten Kommuniqué hob Annan hervor, die Gruppe sei "erschüttert" über den möglichen Einsatz chemischer Waffen gegen Zivilisten in Syrien. "Wir verurteilen den Gebrauch solcher Waffen als inhuman und kriminell. Die Verantwortlichen müssen individuell und kollektiv zur Rechenschaft gezogen werden."

Wann der von Annan erwähnte Bericht der UN-Inspektoren an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon veröffentlicht werden soll, steht noch nicht fest. Die USA verfügen angeblich über Beweise dafür, dass die syrischen Sicherheitskräfte hinter dem Giftgasangriff vom 21. August stehen. Der syrische Präsident Baschar al-Assad beschuldigte hingegen die Aufständischen, Massenvernichtungswaffen einzusetzen.


Bereits mehr als 100.000 Kriegstote

Seit Ausbruch des Bürgerkriegs vor zweieinhalb Jahren sind mehr als 100.000 Menschen getötet und Tausende verletzt worden. Zwei Millionen Syrer flüchteten aus Syrien und mehr als vier Millionen sind innerhalb des Landes vertrieben worden. "Jede erdenkliche Anstrengung muss unternommen werden, um weiteres Blutvergießen zu verhindern und den politischen Prozess zur Beendigung des Konflikts, der Syrien verwüstet hat, wiederzubeleben", sagte Annan.

Die Nobelpreisträgerinnen, unter ihnen Jody Williams (USA), Shirin Ebadi (Iran), Tawakkol Karman (Jemen), Mairead Maguire (Irland), Leymah Gbowee (Liberia) und Rigoberta Menchú Tum (Guatemala) haben den UN-Sicherheitsrat dazu aufgefordert, den Chemiewaffeneinsatz vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen.

"Wir hoffen, dass die US-Abgeordneten wie ihre britischen Kollegen erkennen werden, das die Öffentlichkeit nicht gewillt ist, dieses Problem durch noch mehr Bomben und mehr Gewalt zu lösen", sagte Williams, die 1997 den Friedensnobelpreis für ihr Engagement gegen Antipersonenminen erhalten hatte. "US-Amerikaner wissen, dass jede Intervention weit entfernt von einem strategischen Vorstoß ist und nur zum Verlust von noch mehr Menschenleben und möglichweise sogar zu einem Vergeltungsschlag gegen die USA führen wird." (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.un.org/apps/news/infocusRel.asp?infocusID=146&Body=Syria&Body1=
http://www.theelders.org/
http://nobelwomensinitiative.org/
http://www.crisisgroup.org/
http://www.ipsnews.net/2013/09/ex-world-leaders-urge-u-s-to-forego-military-attack-on-syria/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2013