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SYRIEN/024: Dominostein Damaskus - Höchste Not! (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Oktober 2013

Syrien: Hunde und Katzen als letzte Nahrung - Flüchtlinge hungern

von Mutawalli Abou Nasser



Damaskus, 28. Oktober (IPS) - Akuter Nahrungsmangel treibt die Flüchtlinge in dem Lager Yarmouk in der syrischen Hauptstadt Damaskus bis zur Verzweiflung. Religiöse Führer in dem Camp haben inzwischen eine Fatwa verkündet, die das Schlachten und Verzehren von Katzen, Hunden, Mäusen, Ratten und Eseln gestattet.

"Seit drei Monaten leben wir im Belagerungszustand. Es ist nichts mehr zu essen da. Und das ist nun aus uns geworden", sagt ein Bewohner von Yarmouk, als er das Messer ansetzt, um für seine Familie einen Hund zu schlachten. Yarmouk ist das größte palästinensische Flüchtlingscamp in Syrien, das von der Armee des Präsidenten Baschar al-Assad belagert wird.

Die Menschen in dem Lager versuchen alles, um ihre Kinder am Leben zu erhalten. Jana Ahmad Hassan ist noch keine drei Monate alt und extrem unterernährt. "Mein Baby verhungert", fleht die Mutter einen Soldaten an einem Kontrollpunkt an. "Ohne Milch und Nahrungsmittel werden wir sterben." Doch der Soldat weist sie zurück: "Sie wollen eine Mutter sein? Warum verlassen Sie dann das Lager und lassen Ihr Kind zurück?" Mit leeren Händen muss die Frau wieder zurückgehen.

Seit Janas Mutter keine Milch mehr hat, um ihr Kind zu stillen, ist der Vater unermüdlich auf der Suche nach Milchpulver, das aber im gesamten Süden Syriens nicht mehr aufzutreiben ist. Auch in anderen Gebieten, die von den Aufständischen kontrolliert werden, sind Nahrungsmittel knapp geworden. Das Welternährungsprogramm WFP will bis Ende des Jahres Lebensmittel für bis zu 6,5 Millionen Syrer ins Land bringen. Dieses Vorhaben stößt aber auf enorme Schwierigkeiten.

Die sich rapide verschlechternde humanitäre Lage in Yarmouk und den anderen Palästinenserlagern im Süden Syriens wie Sabina und Sayeda Zeinah hat dazu geführt, dass die Kontakte zwischen den Bewohnern der Camps und Hilfsorganisationen wie UNRWA sowie der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO weitgehend abgerissen sind.


Hilferuf an die Vereinten Nationen

Mitte Juli verfassten die Bewohner der drei Lager ein Schreiben an PLO und UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, um auf eine Beendigung der Belagerung zu drängen. Sollte UNRWA unter den gegebenen Umständen seinen Verpflichtungen nicht nachkommen können, sollte die UN-Vollversammlung eingeschaltet werden, forderten sie.

Die Palästinenser verlangten auch, dem Internationalen Roten Kreuz Zugang zu den Flüchtlingen zu gewähren und warnten vor einer Hungersnot. Monate später ist die Lage weiterhin unverändert. Die Armee konnte den Belagerungszustand auf weitere Gebiete im Süden ausweiten, in denen derzeit etwa 500.000 Zivilisten festsitzen, unter ihnen Zehntausende im Lager Yarmouk.

"Noch vor gar nicht so langer Zeit durften Menschen von außerhalb Nahrung in das Camp bringen. Inzwischen wird der Zugang jedoch durch Kontrollpunkte total versperrt", sagt Abu Salma von der Wohlfahrtskommission für das palästinensische Volk.


Korruptionsvorwürfe gegen UNRWA

Seit Anfang August hat es mehrere Demonstrationen vor UNRWA-Gebäuden gegeben, bei denen die Flagge der Organisation verbrannt wurde. Der Zorn in den Flüchtlingslagern hat sich weiter gesteigert, nachdem Fälle von Korruption innerhalb von UNRWA bekannt geworden waren.

"Als Beschäftigte der Organisation hatten wir gegen die Praktiken des UNRWA-Direktors protestiert. Er drohte uns in Briefen mit der Entlassung", berichtet ein leitender Angestellter von UNRWA, der seinen Namen nicht nennen wollte. Inzwischen jedoch wurde ein Direktor wegen des Verdachts der Bestechlichkeit festgenommen.

Die Wohlfahrtskommission hat es zwar geschafft, den Bewohnern der palästinensischen Flüchtlingslager zumindest etwas Hilfe zu leisten. Inzwischen wird sie jedoch von syrischen Truppen attackiert. Obwohl die Kommission völlig unpolitisch ist, bleibt sie von Razzien der Regierung nicht verschont. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.wfp.org/
http://www.unrwa.org/
http://www.ipsnews.net/2013/10/refugees-eating-dogs-to-beat-starvation/

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IPS-Tagesdienst vom 28. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2013