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SYRIEN/092: Dominostein Damaskus - Instanzenmangel ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. März 2015

Syrien:
Kriegsverlängerndes Vetorecht - Schelte für den UN-Sicherheitsrat

von Thalif Deen


Bild: Freedom House/cc by 2.0

Nach einem Bombenanschlag im syrischen Aleppo am 6. Februar 2014
Bild: Freedom House/cc by 2.0

New York, 18. März (IPS) - Das Versagen des UN-Sicherheitsrats, den seit vier Jahren tobenden Bürgerkrieg in Syrien zu beenden, und die Folgen dieser Unfähigkeit hat das 'Global Centre for the Right to Protect (R2P)' mit Sitz in New York prägnant als 'Vier Jahre, vier Vetos und 220.000 Tote' bezeichnet. Für Kritiker der mächtigsten politischen Instanz der Vereinten Nationen wird es höchste Zeit für eine Reform des Vetorechts.

Der Bürgerkrieg und religiöse Gewalt in Syrien haben inzwischen über elf Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Das entspricht mehr als der Hälfte der syrischen Bevölkerung. Zwölf Millionen Syrer sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.


Lizenz zum Töten

Simon Adams, Chef des Global Centre for R2P, bezeichnete Syrien als bislang schlimmsten Fall von Versagen durch den UN-Sicherheitsrat einer ganzen Generation. "Jedes Veto und die Untätigkeit des Sicherheitsrates wurden von denjenigen, die in Syrien Gräuel begehen, als Lizenz zum Töten interpretiert", erklärte er.

Die vier Vetos vom Oktober 2011, Februar 2012, Juli 2012 und Mai 2014 gehen auf das Konto von Russland und China, die damit dem international bedrängten syrischen Präsidenten Baschar al Assad beizuspringen suchten. Adams zufolge sind 220.000 Todesopfer ein exorbitant hoher Preis, für den der UN-Sicherheitsrat in Syrien mitverantwortlich ist. "Sie stehen für 220.000 Gründe, warum wir eine Reform des Vetorechts der fünf ständigen Vertreter (P-5) brauchen."

Ob die USA, Großbritannien, Frankreich, China oder Russland - alle P-5 haben in der Vergangenheit ihr Vetorecht missbraucht, um enge Verbündete zu schützen oder ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Die meisten Fälle gehen auf das Konto von USA und Russland. Hatte Washington in den 70 Jahren seit der Gründung der Vereinten Nationen 79 Mal sein Veto eingelegt, machte Moskau insgesamt 101 Mal davon Gebrauch - elf Mal als russische Föderation und 90 Mal als Sowjetunion.

"Die Vetos kosten Menschenleben. Die Staaten, die die Resolutionen zur Beendigung der schweren Verbrechen in Syrien blockiert haben, werden von der Geschichte hart gerichtet. Sie tragen eine Schutzverantwortung und sind als solche in der Pflicht, von ihrem Veto keinen Gebrauch zu machen", betonte Adams.

UN-Sekretär Ban Ki-moon, der immer wieder aufs Neue eine politische Lösung des syrischen Bürgerkriegs gefordert hatte, wies darauf hin, dass sich das syrische Volk zunehmend von der Welt verlassen fühle. Diese Menschen und die Nachbarländer litten unter den Augen einer Weltgemeinschaft, die gespalten und unfähig sei, die notwendigen kollektiven Schritte zu unternehmen, um Sterben und Zerstörung zu beenden.

Wie Ban erinnerte, habe der Konflikt mit friedlichen Straßenprotesten für politische Reformen begonnen. Doch diese legitime Forderung sei von den syrischen Behörden mit Gewalt beantwortet worden. Erst danach hätten Zivilisten zu den Waffen gegriffen, hätten Regionalmächte eingegriffen und radikale Gruppen Fuß fassen können.

US-Außenminister John Kerry erklärte in einer Art diplomatischer Kehrtwende, dass er eine politische Lösung des syrischen Bürgerkriegs nicht ausschließen wolle. So sei man zusammen mit anderen interessierten Parteien bestrebt, Wege zu einer diplomatischen Lösung zu finden, kündigte er am 15. März in einem Fernsehinterview an. Derzeit unterstützen die USA Rebellengruppen, die das Assad-Regime mit militärischen Mitteln stürzen wollen.

"Die Menschen haben alles Recht der Welt, wütend auf einen UN-Sicherheitsrat zu sein, der offenbar unfähig ist, auf die schlimmste Krise des 21. Jahrhunderts zu reagieren", sagte die Sondergesandte des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), Angelina Jolie Pitt. Es sei eine Schande, dass noch nicht einmal die Forderung nach einem vollständigen humanitären Zugang erfüllt worden sei.


Straffreiheit

In der Zwischenzeit geraten die Nachbarstaaten und die internationalen Hilfsorganisationen immer weiter an ihre Grenzen. "Und es ist unerträglich, dass Syrer täglich Zielscheiben von straffrei ausgehenden Verbrechen werden. Das Versagen, diese Krise zu beenden, würdigt uns alle herab", sagte Jolie Pitt.

Ban zufolge hat die Straflosigkeit in Syrien exponentiell zu einem Anstieg von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderer Delikte geführt. Jeder neue Tag bringe neue Horrormeldungen wie willkürliche Festnahmen, Entführungen, Verschleppungen, Folter, die Bombardierung bewohnter Viertel, Belagerungen und Aushungertaktiken und den Einsatz chemischer Waffen. Hinzu kämen die schrecklichen Gräuel des Islamischen Staates und anderer Extremistengruppen.

Adams erklärte gegenüber IPS, dass der syrische Präsident Assad und alle anderen Kräfte, die für die Verbrechen verantwortlich seien, in Handschellen gelegt vor den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag gehörten. "Der UN-Sicherheitsrat hat versagt, einen Konflikt zu beenden, der bislang 220.000 Menschenleben gekostet hat. Doch das Mindeste, was nun getan werden kann, ist, den Fall vor den ICC zu bringen, damit die Opfer zumindest eine kleine Chance auf Gerechtigkeit haben." (Ende/IPS/kb/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/03/veto-costs-lives-as-syrian-civil-war-passes-deadly-milestone/

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IPS-Tagesdienst vom 18. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2015

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