Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → ERNÄHRUNG

FRAGEN/008: Prinzessinnengärten - Grüne Oase mitten in Berlin (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 338 - November 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Prinzessinnengärten - Grüne Oase mitten in Berlin
Mobile Landwirtschaft im Herzen der riesigen Metropole

Von Jochen Fritz


Interview mit Robert Shaw, einem der drei Initiatoren der Prinzessinnengärten am Moritzplatz in Berlin Kreuzberg.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Hallo Robert Shaw. Was bringt Ihr als neue "Stadtgärtner" für eine Ausbildung mit, um auf 6.000 m² Gemüse inmitten Berlins anzubauen?

ROBERT SHAW: Wir sind zwei Geschäftsführer, Marco Clausen ist Historiker und betreibt hauptsächlich unser Cafe im Garten. Ich bin Dokumentarfilmer, habe aber in Urzeiten Friedhofsgärtner gelernt. Das Gärtnern müssen wir von Grund auf lernen. Doch wir schaffen die ganze Arbeit gar nicht selber. Insgesamt haben wir drei feste Arbeitsplätze mit dem Projekt geschaffen. Unser Ansatz ist, dass die Nachbarn in unserem Garten mitarbeiten. Wir würden das alleine gar nicht schaffen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie kommt man dazu, inmitten von Berlin eine "Mobile Landwirtschaft" zu eröffnen?

ROBERT SHAW: Früher bin ich als Dokumentarfilmer U viel in der Welt herum gekommen. Doch ich habe mir immer eine Beschäftigung gewünscht, bei der ich meinen dreijährigen Sohn betreuen kann und parallel mit Bekannten zusammen etwas Sinnvolles machen kann. Da habe ich mich an die "Urban Garden" erinnert, die ich in Kuba kennen gelernt habe. Dort habe ich für zwei Jahre gelebt und die Stadtgärten als sehr kommunikative und kreative Orte kennen gelernt.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Als was seht Ihr Euer Projekt
Prinzessinnengärten? Was sind Eure Ansätze?

ROBERT SHAW: Wir haben einen mehrdimensionalen Ansatz. Es gibt die gärtnerische Komponente: eine Vielzahl von Kulturen anzubauen, und die Gesundheitskomponente: ökologische Lebensmittel einer breiten Bevölkerungsschicht zur Verfügung zu stellen. Wir sind aber auch ein sozialer und pädagogischer Ort. Hier kann jeder etwas dazu lernen; was das Gärtnern angeht, sowie mit anderen Menschen zusammen zu arbeiten. Hier kommen die verschiedenen Schichten der Gesellschaften zusammen und müssen sich abstimmen. Wir wollen aber auch zeigen, dass unser Ansatz ökonomisch funktioniert. Deswegen nehmen wir keine institutionellen Fördergelder an.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Was bedeutet Mobile Landwirtschaft?

ROBERT SHAW: Wir sind hier auf einem Spekulationsgrundstück, für das wir 2.300 Euro Pacht jeden Monat bezahlen und das uns mit einer dreimonatigen Frist jederzeit gekündigt werden kann. Deswegen haben wir alle unsere Pflanzen in Säcke, Töpfe etc. gepflanzt, damit wir jederzeit an einen anderen Ort umziehen können. Natürliche hat das auch einen kreativen Charakter, wir wollen zusammen mit den umliegenden Nachbarn einen Ort gestalten.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: 2.300 Euro Pacht sind kein Pappenstiel, wie finanziert Ihr die Prinzessinnengärten?

ROBERT SHAW: Unsere Einnahmen erwirtschaften wir aus unserem Cafe, dem Verkauf unseres Gemüses und aus Projektanträgen, die wir beispielsweise für unsere Schüler- und Integrationsprojekte beantragt haben. Weiter gibt es Menschen, die Patenschaften übernommen haben. Wir sind aber erst im ersten Jahr. Am Ende des Jahres wird abgerechnet. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir gut weitermachen können.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Seht Ihr Euer Projekt als Beitrag zur Ernährungssouveränität?

ROBERT SHAW: Es soll die Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Strukturen zeigen. Menschen sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sie sich selber mit Lebensmitteln versorgen können. Natürlich ist das nicht der optimale Ort, das auf einer 6.000 m² Fläche auf dem Moritzplatz in Kreuzberg, mit einen erwarteten Verkaufswert von 8 Mio. Euro, zu machen. Doch geben wir ein Beispiel, wie es gehen kann. Weiter zeigen wir den Leuten auch praktikable, preisgünstige Möglichkeiten, wie sie beispielsweise in vertikalem Anbau: beispielsweise an ihrer Hausfassade oder in Blumenkästen Gemüse anbauen können. So, haben wir errechnet, kann sich jeder bis zu 1,2 m² Anbaufläche an seinen Fenstern schaffen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Was sind noch wirtschaftlich sinnvolle Plätze in einer Stadt, um Gemüse zu erzeugen?

ROBERT SHAW: Im Stadtzentrum kann man beispielsweise auf Dachgärten sehr einfach selber gesunde Lebensmittel erzeugen. Aber schon in Marzahn, einem Vorort in Ostberlin sieht es schon anders aus. Dort stehen zwischen den Plattenbauten so viele Brachflächen zur Verfügung, dass sie beispielsweise als Weideland genutzt werden könnten. In Kuba sind die Stadtgärten für die Familien mittlerweile eine ökonomisch wichtige Komponente.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Jetzt mal zu den gärtnerischen Komponenten. Wie sind die Erträge?

ROBERT SHAW: 60 Prozent der Pflanzen kommen in unseren Kompostbeeten gut. Da haben wir auch beachtliche Erträge. Doch wir haben einen partizipativen Ansatz. Im letzten Jahr haben hier 400 Leute gegärtnert. Davon haben bestimmt vorher 380 noch nie in einem Garten gearbeitet. Unser Ansatz ist, dass Kinder wissen, dass Karotten nicht in Plastik-Tüten wachsen. Wir lernen da alle dazu. Wir haben aber auch erfahrene GärtnerInnen, wie beispielsweise eine Frau aus Russland, die uns als Expertin mit Rat und Tat zur Seite steht. Doch der höchste Ertrag ist erstmal nicht unser allererstes Ziel.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie vermarktet Ihr Eure Produkte?

ROBERT SHAW: Ein Großteil ist Laufkundschaft, die via Selbsternte sich in den Beeten bedient und das Gemüse an der Kasse wiegen lässt. Dann haben wir noch Restaurants, die an unseren alten Sorten und Wildkräutern großes Interesse haben. Da wird der Küchenlehrling geschickt und erntet, was er braucht. Schulen, Kitas und soziale Einrichtungen haben ihre eigenen Beete und bewirtschaften die auch selbstständig. Sie zahlen natürlich nix. Teilweise wird Gemüse auch am Cafe angeboten und dort von den Besuchern mitgenommen. Mitarbeiter zahlen für alles 50 Prozent.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Das Thema Saatgut hat bei Euch eine große Bedeutung. Was sind da Eure Ansätze?

ROBERT SHAW: Ich spreche immer von zwei Zielen und drei Saatgut-Quellen. Unsere Ziele sind, den Leuten zu zeigen, die Supermarkt-Palette an Karotten etc. kann ich selber auch anbauen. Daneben wollen wir aber auch zeigen: Es gibt noch eine Vielzahl an anderen Sorten mit verschiedenen Geschmäckern und Herkünften. Also haben wir als Quellen, neben herkömmlichen Bio-Saatgut-Herstellern, natürlich Samen aus Saatgut-Initativen. Viele Samen stammen auch von unseren Nachbarn, die bringen sie oft aus ihren Heimatländern, z.B. Türkei und Ukraine, mit.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Was ist Deine persönliche Perspektive?

ROBERT SHAW: Ich für mich persönlich kann mir vorstellen noch weitere zehn Jahre "Stadtgärtner" zu sein. Es tun sich immer neue Projekte hier in den Prinzessinnengärten auf und wir sind ja noch ganz am Anfang.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Was passiert, wenn der Tag X ansteht und Ihr den Moritzplatz verlassen müsst?

ROBERT SHAW: Wir haben schon eine Firma mit Tiefladern, die uns angeboten hat, unsere Beete weiter zu transportieren. Da finden wir bestimmt wieder einen neuen Platz.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Danke für das interessante Gespräch. Ich wünsche Euch viel Erfolg für die Prinzessinnengärten und dass Ihr viele Nachahmer findet.


Jochen Fritz
AbL-Landesverband Baden-Württemberg

Weitere Informationen:
www.prinzessinnengarten.net


*


Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 338 - November 2010, S. 18
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2011