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HUNGER/214: Nahrungsmittelknappheit geht uns alle an (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 3/2009

"Nahrungsmittelknappheit geht uns alle an"


Frage: Steht uns eine Nahrungsmittelknappheit bevor? Wird Getreide schon bald so umkämpft sein wie mancherorts bereits Öl oder Wasser?

Thomas Glauben: Über das Problem laut nachzudenken, ist wichtig, aber Panikmache ist fehl am Platz. Von solchen Zuständen sind wir noch weit entfernt. Die Diskussion um eine drohende Nahrungsmittelknappheit kommt immer dann auf, wenn die weltweite Nachfrage das Angebot übersteigt und die Preise für bestimmte Agrargüter wie Getreide in die Höhe gehen. 2007/2008 sind die Preise förmlich explodiert. Wichtig ist, sich die Ursachen für eine solche Situation vor Augen zu führen.

Frage: Und welche sind das?

Thomas Glauben: Zum einen nimmt die Weltbevölkerung stetig zu. Parallel dazu verzeichnen einige Schwellenländer wie China oder Indien ein starkes Einkommenswachstum. Mehr Wohlstand bedeutet auch, dass die Menschen höhere Ansprüche an die Nahrung stellen: Sie muss hochwertiger sein. Die Produktion kommt bei solchen Bedürfnissen nicht nach. Getreideexporteure wie Russland oder die Ukraine werden von politischer Seite angehalten, ihre Ausfuhren zu reduzieren, und geben die Nahrungsgüter bevorzugt an die eigene Bevölkerung ab. Preisstabilität ist in diesen Schwellenländern wichtig, weil vor allem ärmere Verbraucher sehr sensibel auf Preiserhöhungen reagieren. Das Verhalten dieser Staaten mag nachvollziehbar sein. Als Folge erhöht sich allerdings wiederum der Weltmarktpreis für Getreide.

Frage: Welche Rolle spielt dabei, dass Getreide nicht nur für die Nahrungsmittelproduktion, sondern auch für die Erzeugung von Bioenergie angebaut wird?

Thomas Glauben: Oft muss die Produktion von Bioenergie als Verursacher für die Verteuerung von Agrargütern herhalten. Doch die Frage ist nicht, ob Getreide, Mais oder Zuckerrohr für Bioenergie angebaut werden; das ist sicherlich kein falscher Ansatz. Es sollte jedoch hinterfragt werden, ob dieser Anbau in hohem Maße staatlich subventioniert werden muss. Ich meine, dass es sinnvoller ist, dieses Geld in die Agrarforschung zu investieren, um neue Wege der Produktivitätssteigerung und damit der Erhöhung des Angebotes zu finden.

Frage: Kann man das Problem also nur lösen, indem eben nicht alle Menschen Zugang zu hochwertiger Nahrung erhalten?

Thomas Glauben: Um Gottes willen, nein. Menschen haben Wünsche und das Recht auf deren Befriedigung. Das Nord-Süd-Gefälle, also die eklatanten Unterschiede zwischen Arm und Reich, muss auf jeden Fall ausgeglichen werden. Und dies fängt mit einer hinreichenden Versorgung mit Nahrungsmitteln in ausreichendem Maße und in angemessener Qualität an. Die Nachfrage regelt das Angebot.

Frage: Wie kann man die Nahrungsmittelproduktion langfristig dauerhaft steigern, und was kann das IAMO dazu beitragen?

Thomas Glauben: Können moderne Produktionstechniken umgesetzt und stabile politische sowie marktgerechte ökonomische Rahmenbedingungen gewährleistet werden, dann darf man guter Hoffnung sein, dass auch eine wachsende Bevölkerung zukünftig ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt werden kann. Dafür brauchen wir massive Investitionen in die Agrarforschung - die, so meine ich, sehr gut angelegt sind. Das IAMO kann durch seine Forschungen einen essentiellen Beitrag leisten. Russland, die Ukraine oder Kasachstan, die zu unseren Untersuchungsregionen gehören, zählen schon heute zu den bedeutendsten Getreideproduzenten und Akteuren auf den Weltgetreidemärkten. Sie weisen noch erhebliche, bisher ungenutzte Potentiale auf. Analysen unserer Wissenschaftler können zeigen, ob und wie man diese wirtschaftlich sinnvoll ausschöpft. Ein möglicher Hintergrund für nicht genutzte Produktionspotentiale ist beispielsweise ein schlecht funktionierender Handel, weil es an Infrastruktur, einem verlässlichen rechtlichen Rahmen oder an Wettbewerb mangelt. Die Studien des IAMO zur Marktintegration können solche Marktunvollkommenheiten erkennen - ein sinnvoller Beitrag zum "Welternährungsproblem". Der Einsatz genveränderter Getreidesorten, die auch in sehr trockenen Regionen gut gedeihen, wäre ebenfalls eine Option für die Steigerung der Agrargüterproduktion. Doch sind derartige technologische Lösungsansätze nicht unumstritten. Die kritische deutsche Einstellung gegenüber der Gentechnik ist ja bekannt.

Frage: Sie sprachen von ungenutztem Potential zur Produktionssteigerung in einigen Ländern. Könnten sich diese Staaten nicht zusammenschließen, um den Preis weltweit zu diktieren?

Thomas Glauben: Rohstoff als Druckmittel einzusetzen, ist zwar durchaus denkbar, ich halte es aber für wenig realistisch. Auch wenn es durchaus Bemühungen dieser Staaten gibt, sich zusammenzuschließen, um zur Anhebung der Preise das Angebot zu verknappen, wie ich bei meiner letzten Moskau-Reise erfahren habe. Es ist aber schwierig, eine Art "Getreide-OPEC" zu bilden. Schließlich agieren diese Länder nicht im luftleeren Raum, und andere Länder würden angesichts gestiegener Preise ihr Angebot über kurz oder lang ausweiten. Darüber hinaus sind diese großen Exporteure Russland, Ukraine und Kasachstan ihrerseits abhängig von den Produkten anderer Staaten. Nahrungsmittelknappheit ist ein globales Problem, das wir nur gemeinsam lösen können.


Die Fragen stellte Sabine Wygas.


Der Agrar- und Ernährungsökonom Thomas Glauben ist Geschäftsführender Direktor des IAMO. Der Professor für Märkte der Agrar- und Ernährungswirtschaft und Internationaler Handel an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg forscht schwerpunktmäßig zur Agrar- und Ernährungs- sowie Industrieökonomik.


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 3/2009, Seite 20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2009