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HUNGER/240: Das Dach ist das Feld - Bauernfamilien in Beit Hanoun wissen sich zu helfen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Dezember 2010

Nahost: Das Dach ist das Feld - Bauernfamilien in Beit Hanoun wissen sich zu helfen

Von Eva Bartlett

Gemüse auf dem Dach - Bild: © Eva Bartlett/IPS

Gemüse auf dem Dach
Bild: © Eva Bartlett/IPS

Beit Hanoun, Gazastreifen, 3. Dezember (IPS) - Not macht erfinderisch - auch die landlosen Bauern von Beit Hanoun im äußersten Nordosten des Gazastreifens, die auf ihren Hausdächern Gemüse pflanzen und Kleinvieh züchten.

Für die Wirtschaft der Stadt in der Nähe der israelischen Grenze spielte die Landwirtschaft stets eine wichtige Rolle. Doch israelische Raketen und Bulldozer richteten die Kornkammer des Palästinensergebietes zugrunde. Obst- und Getreidefelder sind verschwunden, und auch sonst ist es mit der Landwirtschaft nicht mehr weit her.

Doch etliche Menschen vollen auf ihr selbst gezogenes Gemüse nicht verzichten. Sie sind dazu übergegangen, ihre Dächer zu bepflanzen. "Wir leben von dem, was unser Dachgarten hergibt", berichtet Moatassan Hamada. Er und seine Familie bewohnen ein Haus inmitten eines Flüchtlingslagers. Im Winter ernten sie Salat und Auberginen und im Sommer Paprika, Zwiebeln und Knoblauch. Darüber hinaus verdienen sie sich mit dem Verkauf von Blumen ein Zubrot.

Das Grün auf dem Dach bildet einen starken Kontrast zu dem Grau der Häuser im baum- und pflanzenlosen Camp ab. In großen blauen Plastikbehältern sprießen Datteln, Orangen und Ölpalmen. Auch Kakteen gedeihen prächtig. "Freunde, die uns besuchen, wollen immer nach oben", sagt Hamad. "Einen solchen Dachgarten haben nämlich nur wenige."


7.500 Hektar Agrarland zerstört

Hussein Shabat, Leiter des Palästinensischen Zentrums für die Entwicklung der Jugend, zeigt den Familien, wie es sich auf Dächern am besten gärtnern lässt. "Solche Vorhaben sind gerade für Beit Hanoun extrem wichtig", betont er. Dem Palästinensischen Komitee für Agrarhilfe zufolge wurden bis zu 7.500 Hektar bestes Agrarland von israelischen Bulldozern und Sprengkörpern niedergemacht.

Auch haben viele Farmer keinen Zugang mehr zu dem Land, das einst Weizen, Gerste, Obst und Nüsse hergab, dann aber von Israel zur Pufferzone längs der Grenze des Gazastreifens erklärt wurde. "Viele haben aus Angst, unter Beschuss zu geraten, ihre Häuser und Felder in Grenznähe aufgegeben", so Shabat.

Auf dem Flachdach eines weiteren Hauses in Beit Hanoun gießt Ahed Shabat sein Gemüse, das zwischen voll gehängten Wäscheleinen und Wassertanks in Zementbehältern und Bottichen wächst. "Wir pflanzen an, was wir brauchen, wie Zwiebeln, Knoblauch, Kräuter, Spinat, Gerste, Radieschen, Auberginen, Mais, Okra und Chili", zählt der 42-Jährige auf.

Der Dachgarten leistet einen wichtigen Beitrag zur Ernährung der sechsköpfigen Familie. Darüber hinaus ist er eine Oase der Besinnlichkeit. "Wir sitzen gern hier zwischen den vielen Pflanzen, gerade weil die Vegetation in Beit Hanoun zerstört ist, sagt Hanoun.


Beitrag zur Ernährungssicherheit

Die auf den Dächern betriebene Landwirtschaft ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des Hungers im Gazastreifen, dessen Bevölkerung zu 80 Prozent von Nahrungsmittelhilfe abhängt. Diejenigen, die in den dicht besiedelten Flüchtlingslagern oder Städten Zugang zu einer Dachterrasse haben, können ihre Ernährung verbessern und sich zudem ein kleines Zusatzeinkommen verschaffen.

"Ich liebe Vögel", meint der 17-jährige Abu Jehad, der auf dem Dach des Hauses, das er mit seinen Eltern bewohnt, eine Geflügelzucht aufgemacht hat. Um die 100 Hühner und einige Tauben bevölkern die Dachterrasse. Das Geschäft ist nicht einfach, wie er betont. "Im Frühjahr starben etliche Tiere, weil das Material für kälteresistente Käfige fehlte. Andere Vögel wurden krank und mussten medikamentös behandelt werden.

Doch Arbeit und Investitionen haben sich gelohnt, denn die Hühner, die mit Gemüseresten, trockenem Brot und Saatgut gefüttert werden, legen Eier für den Verkauf. Zudem ist ihr Fleisch ist von bester Qualität, wie der junge Mann hervorhebt. "Ich habe viel Geld in die Geflügelzucht investiert." Inzwischen leistet seine Zucht einen erheblichen Beitrag zum Wohlergehen der gesamten Familie.(Ende/IPS/kb/2010)


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2010