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INTERNATIONAL/160: Kenia - Gärten der Zukunft (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 137, 3/16

Gärten der Zukunft

Urbane Landwirtschaft und Ernährungssicherheit in Nairobis informellen Siedlungen

von Katharina Eichinger


Viel Kreativität und Erfindungsreichtum sind gefragt, um den alltäglichen Herausforderungen in den unzähligen informellen Siedlungen Nairobis zu trotzen. Vor allem Frauen finden in der urbanen Landwirtschaft eine Möglichkeit, die Lebensbedingungen ihrer Familien zu verbessern. Mithilfe platzsparender Anbaumethoden tragen die urbanen Gärtner_innen zur Ernährungssicherheit bei und erwirtschaften nebenbei ein kleines Einkommen.


Wirtschaftsmetropole, Sitz der Vereinten Nationen, Ausgangspunkt für Safaris, aber auch zahlreiche informelle Siedlungsgebiete, unzureichende Infrastruktur und Arbeitslosigkeit - all das vereint Nairobi, Kenias Hauptstadt. Und Nairobi wächst: Wohnten 1962 lediglich 350.000 Menschen in Nairobi, so hat sich die Zahl bis zur letzten Volkszählung im Jahr 2009 auf knappe 3,4 Millionen beinahe verzehnfacht. Ungefähr 30 % der gesamten kenianischen Bevölkerung leben somit bereits in Städten, wobei sich der Anteil der urbanen Bevölkerung in den nächsten Jahren weiter vergrößern wird.

Kenia reiht sich somit in den globalen Trend der Verstädterung ein und stellt die Regierung vor eine große Herausforderung: Wie umgehen mit einer stetig wachsenden städtischen Bevölkerung, die Zugang zu Wohnungen, Arbeitsplätzen, Nahrungsmitteln und vieles mehr fordert?


Leben in der Informalität

In Nairobi scheint es so, als ob der Zuwachs an Wohnungen dem Zuwachs an Menschen jeweils einige Jahre hinterherhinkt. Vor allem leistbare Wohnungen - leistbar für jenen Teil der Bevölkerung, der mit einem monatlichen Einkommen von weniger als 100 Euro auskommen muss - sind Mangelware. Dementsprechend lebt laut Schätzungen mehr als die Hälfte der Einwohner_innen Nairobis in einer der über hundert informellen Siedlungen, welche lediglich sechs Prozent des gesamten städtischen Wohngebietes ausmachen oftmals ohne rechtliche Absicherung und ohne ausreichende Infrastruktur. Abwassersysteme, Toiletten, Zugang zu Wasser und Strom sind in vielen dieser Siedlungsgebiete nicht vorhanden.


Unerwartetes Grün

Bei einem Streifzug durch das Stadtviertel Kibera, die wohl größte informelle Siedlung ganz Afrikas mit rund 300.000 Bewohner_innen - Schätzungen unterscheiden sich je nach Quelle sehr stark - werden aufmerksame Beobachter_innen jedoch überrascht sein. Neben Wellblechhütten, offenen Abwasserkanälen und kleinen Müllbergen stößt das Auge auf Unerwartetes: ein Hühnergehege im Hinterhof, unterschiedliche Gemüsesorten in engen Häuserdurchgängen. Kiberas Bewohner_innen finden innovative Wege, um Landwirtschaft zu betreiben, trotz der hohen Bevölkerungsdichte und trotz aller widrigen Umstände.

Aber genau darin liegt der große Vorteil urbaner Landwirtschaftsmethoden: Sie kommen mit einem Minimum an Ressourcen (Platz, Wasser, Arbeitskraft etc.) aus. Eine beliebte Methode stellen dabei die sogenannten vertikalen Gärten dar. Säcke, gefüllt mit Erde, Dünger und kleinen Steinen, können platzsparend in jeden freien Winkel gestellt werden. An der Oberfläche und den Seiten dieser kleinen Gärten gedeihen unterschiedliche Gemüsesorten. Aufgrund ihrer Widerstandsfähigkeit entscheiden sich laut Musa Juma, Berater im Bereich urbane Landwirtschaft, jedoch die meisten Gärtner_innen für eine spezielle Art von Kohl, in Swahili sukuma wiki genannt. Einmal gepflanzt, hält sich der Zeitaufwand in Grenzen, was neben der langen Lebensdauer der Säcke zur Beliebtheit der vertikalen Gärten beiträgt.


Mehr als ein Gemüsegarten

Während einige urbane Gärtner_innen genug ernten, dass sie einen Teil des Ertrages in der Nachbarschaft verkaufen können, verwenden andere das Gemüse, um die Mahlzeiten ihrer Familien abwechslungsreicher zu gestalten. Schätzungen zufolge leiden rund 38% der städtischen Bevölkerung Kenias unter chronischer Ernährungsunsicherheit, dementsprechend leistet urbane Landwirtschaft einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung des Zugangs zu Nahrung.

Zudem macht an einem Ort, an dem viele Menschen keiner regulären Beschäftigung nachgehen, jedes noch so kleine Einkommen einen bedeutenden Unterschied. So zeigt eine Befragung der französischen NGO Solidarité International, dass betroffene Familien pro Monat 400 bis 800 KSh - in etwa 3,55 bis 7,10 Euro - durch ihre Ernteerträge einsparen.

Urbane Landwirtschaft trägt allerdings nicht nur zur Ernährungssicherheit und Einkommensgenerierung bei, ihre Vorteile sind um einiges vielfältiger. So wurde zum Beispiel eine der kleinen Mülldeponien Kiberas in ein Gemüseanbaugebiet umgewandelt. Und nicht zuletzt spielt auch der Empowerment-Gedanke der urbanen Gärtner_innen eine Rolle.


In weiblicher Hand

Traditionell für Familie und Haushalt verantwortlich, stellen Frauen mit Abstand die Mehrheit der urbanen Gärtner_innen dar. Während sich der Mann außerhalb des Familienverbandes auf die Suche nach Gelegenheitsarbeiten begibt, bleiben die Frauen häufig mit den Kindern, der Verantwortung und den Sorgen des täglichen (Über-)Lebens zurück. Das Engagement der Frauen in urbaner Landwirtschaft entspricht somit traditionellen Geschlechterrollen.Gleichzeitig trägt dieses zu ihrer Aufweichung bei, wie diverse Studien zeigen, indem Frauen ein kleines Einkommen erwirtschaften, vergrößert sich ihre Unabhängigkeit innerhalb der Familie. Jedoch nicht nur das, auch außerhalb wird, laut Musa Juma, die Rolle der Frau als Rückgrat der Familie sichtbarer. Urbane Landwirtschaft trägt somit zur veränderten (Selbst-)Wahrnehmung der engagierten Gärtnerinnen bei.


Den Herausforderungen zum Trotz

So vielfältig der Nutzen urbaner Landwirtschaft, so herausfordernd ist ihre Durchführung in den informellen Siedlungen Nairobis. Fragen des Landzuganges sind in Kibera, wo die meisten Bewohner_innen das Land, auf dem sie wohnen, nicht besitzen und slum upgrading ein Schlagwort der 2030-Vision der kenianischen Regierung ist, eine ständige Konfliktquelle. Landenteignungen zugunsten neuer Straßen oder Wohnbauten stellen somit auch eine Bedrohung für die kleinen Gemüsegärten sowie Hühner- und Hasenställe dar. Da es zudem kaum Wasserleitungen gibt, ist die Wasserversorgung der Gärten neben dem Zugang zu Erde und anderen Materialien eine weitere Schwierigkeit. Dennoch, urbane Landwirtschaft bleibt ein Zukunft versprechender Ansatz - in Nairobi und auch anderswo. Denn wo sonst soll der erhöhte Bedarf an Nahrungsmitteln wachsender städtischer Räume gedeckt werden, wenn nicht in den eigenen Hinterhöfen?


Lesetipps:
UN-HABITAT (2007): UN-HABITAT and the Kenya Slum Upgrading Programme.
African Population and Health Research Center (2014): Population and Health Dynamics in Nairobi's Informal Settlements: Report of the Nairobi Cross-sectional Slums Survey (NCSS) 2012.
Famine Early Warning Systems Network (2013): Kenya Food Security Brief.
Joanna Wilbers (2003): Urban Agriculture and Gender: Some Key Issues. 2nd Draft Discussion Paper

Webtipp:
http://www.solidarites.org/en/

Zur Autorin:
Katharina Eichinger studierte Kultur- und Sozialanthropologie sowie Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Gegenwärtig absolviert sie im Rahmen ihres Masterstudiums Soziale Arbeit und Sozialwirtschaft (FH Campus Wien) ein Auslandssemester in Nairobi.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 137, 3/2016, S. 14-15
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2016

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