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INTERNATIONAL/167: Simbabwe - Lokales agrar-ökologisches Wissen (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, November/Dezember 2016

Lokales agrar-ökologisches Wissen

von Gisela Feurle


Elisabeth Mpofu ist Kleinbäuerin in Shashe, südwestlich von Masvingo, und ein Vernetzungsgenie mit klaren agrarpolitischen Zielen. Denn sie ist Vorsitzende des Zimbabwe Smallholder Organic Farmers Forum (ZIMSOFF), in dem sich Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zusammengeschlossen haben. ZIMSOFF propagiert den Ansatz der Agrar-Ökologie und die Nutzung traditionellen Wissens - als verborgenem Schatz kleinbäuerlicher Landwirtschaft.


Die von ZIMSOFF organisierten kleinbäuerlichen Produzentinnen und Produzenten Simbabwes haben sich zum Ziel gesetzt, durch eine nachhaltige und ökologische Landwirtschaft ihre natürlichen Ressourcen zu schonen und so langfristig ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dabei greifen sie auf traditionelles und einheimisches Wissen zurück, das sie gemeinsam weiter entwickeln. Sie schlagen bewusst einen anderen Weg ein als den der industriellen Landwirtschaft, die Simbabwe sehr geprägt hat.

Viele von ihnen erhielten durch die Fast-Track-Landreform zwar Zugang zu Anbauflächen und Kontrolle über Land. Sie begannen, es zu bewirtschaften; aber sie haben keine Mittel, um Saatgut und Dünger etc. zu kaufen. Die Preise des Agro-Business sind hoch und die Bauern bekommen keine Darlehen. Denn die Banken akzeptieren ihr Land nicht als Sicherheit und Simbabwe hat finanzielle Liquiditätsprobleme.

Dazu kommen extreme Dürreperioden - wie gegenwärtig durch El Niño bedingt - und Überschwemmungen in Folge des Klimawandels. ZIMSOFF-Vorsitzende Elizabeth Mpofu, die derzeit auch als Generalkoordinatorin der weltweiten Kleinbauernbewegung La Via Campesina tätig ist, erklärt: Der Klimawandel beeinträchtigt erheblich die Fähigkeit, Nahrung zu produzieren. Der Regen folgt nicht mehr den saisonalen Mustern, deshalb sind Wettervoraussagen auf der Basis des traditionellen Wissens und der Erfahrungen nicht mehr möglich.

Der traditionelle Anbau von trockenresistenteren Grundnahrungsmitteln, konkret Feldfrüchten wie den verschiedenen Hirsearten (Sorghum, Rapoko, Munga), war über viele Jahrzehnte von der Agrarpolitik zugunsten von Mais zurückgedrängt worden. Das fing in der Kolonialzeit an, als die rhodesische Regierung fruchtbares Land der lokalen Bäuerinnen und Bauern enteignete, sie zwangsweise auf marginales Land umsiedelte und ihnen vorschrieb, was und wie sie produzieren sollten. Dabei wurden wenige Sorten, insbesondere Mais, und "moderne Anbaumethoden" mit kostspieligem Kunstdünger und neuen Züchtungen vorangetrieben. Dieser Ansatz wurde auch von der postkolonialen Regierung finanziell gefördert. Das führte zum Verlust von traditionellem Saatgut und traditionellem, agrarökologisch angepasstem landwirtschaftlichen Wissen. Und es ging auf Kosten vieler nahrhafter traditioneller Hülsenfrüchte und Hirsearten, kritisiert Elizabeth Mpofu; sie erhielten das Image, "rückständig" zu sein. Die Landwirtschaft Simbabwes wurde so - nicht nur im Bereich der kommerziellen Großfarmen, sondern auch bei den mittleren und kleinen Bauern - vom Ansatz der industriellen Landwirtschaft und der "grünen Revolution" bestimmt.


Statt Vertragslandwirtschaft ...

Ein Modell der industriellen Landwirtschaft ist die Vertragslandwirtschaft (Contract Farming) - häufig für Exportprodukte wie Tabak. Sie nimmt derzeit in Simbabwe zu. Dabei schließen die Bauern mit Unternehmen - von Agro-Unternehmen bis zu Supermärkten - Verträge ab. Sie bekommen Produktionsmittel wie Saatgut, Dünger und Pestizide und begleichen diese Investitionen mit der Ernte bzw. einem Teil der Erträge. Das Agro-Business hat Interesse an diesem Modell, und die Bauern, insbesondere auf den durch die Fast-Track-Landreform erhaltenen Anbauflächen, suchen nach einem Weg aus der Klemme: Sie benötigen unerschwingliche Inputs, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die simbabwische Regierung fördert Contract Farming, gerade auch vor dem Hintergrund ihrer "Look-East"-Politik und dringend benötigter Exporteinnahmen. Ein Beispiel ist das Vertragsprogramm des großen chinesischen Tabakunternehmens Tian Ze Tobacco Company für Tabakanbau.

ZIMSOFF rät seinen Mitgliedern ab, sich auf Contract Farming einzulassen, weil es sehr negative Auswirkungen für die Produzentinnen und Produzenten habe bzw. haben könne, wenn z.B. die Ernte fehlschlägt und sie sich hoch verschulden, weil sie den Vertrag nicht einhalten können. ZIMSOFF-Leiterin Mpofu kritisiert auch, dieses Modell schaffe die Voraussetzungen dafür, dass die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern billige Arbeitskräfte des Agro-Business und von diesen Firmen abhängig werden.


... Agro-Ökologie und überliefertes Wissen

Im Gegensatz dazu propagiert und praktiziert ZIMSOFF den Ansatz der Agro-Ökologie und die Nutzung einheimischer traditioneller Wissenssysteme als Weg - also ohne Abhängigkeit von Agro-Chemikalien den Lebensunterhalt zu erwirtschaften und die Folgen des Klimawandels abzuschwächen.

Kleinbauernvertreterin Mpofu betont: im Gegensatz zur "top-down"-Struktur der "grünen Revolution" spricht der agro-ökologische Ansatz die Produzenten als aktive Beteiligte an und beruht auf deren Erfahrungen und Innovationen. Dabei teilen diese ihr traditionelles Wissen, z.B. was Saatgut angeht, untereinander und im Austausch mit agro-ökologischen Forscherinnen und Forschern. Ihre Innovationen sind an den jeweiligen kulturellen und ökologischen Kontext angepasst. All dies trägt zu größerer Ernährungssicherheit bei.

ZIMSOFF fördert den nachhaltigen Landbau: das Pflanzen der Saat in Löchern, statt zu pflügen, die Anwendung natürlichen Düngers, das Mulchen, also die Bedeckung des Bodens, um die Feuchtigkeit zu erhalten, das Auffangen von Wasser usw. Die intensive Arbeit wird gemeinsam in Gruppen geleistet.

ZIMSOFF fordert, dass die staatliche Politik die kleinbäuerliche Landwirtschaft anerkennt und vor externen Marktfaktoren schützt. Die landwirtschaftliche Forschung und die staatlichen Agrarberatungsprogramme sollten neu ausgerichtet werden. Sie sollten agro-ökologische Innovationen durch die Bäuerinnen und Bauern und gegenseitigen Austausch, organisiert von Bauernverbänden, unterstützen und damit ein Kernelement von Agro-Ökologie vorantreiben. Wesentlich sei auch eine direkte farm-to-city-Vermarktung von ökologischen Produkten auf Bauernmärkten, die ländliche und städtische Genossenschaften verbinden.


Netzwerke zur Unterstützung von Agro-Ökologie

ZIMSOFF ermöglicht seinen Mitgliedern, mit anderen sozialen Bewegungen, die ähnliche Ziele verfolgen, in Dialog zu treten. So können sie Erfahrungen und Ansätze austauschen, um bessere und alternative Lebensgrundlagen aufzubauen.

Die internationale Bewegung La Via Campesina repräsentiert die Stimme der Kleinbäuerinnen und -bauern in globalen Debatten - nach der Devise "Globalisierung des Kampfs" und "Globalisierung der Hoffnung". Sie verteidigt einen anderen Entwicklungsweg gegenüber dem Agro-Business, einen, der sich auf eine kleinbäuerliche nachhaltige Landwirtschaft stützt.

La Via Campesina erreichte beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, international bindende Abkommen zu verabschieden, die die Rechte der Kleinbäuerinnen und -bauern schützen. Vor kurzem gelang es, transnationale Unternehmen vertraglich zu regulieren und Kleinbauern gegen die Straffreiheit transnationaler Konzerne zu schützen.


Austausch und Vernetzung in Deutschland

Auf einem Seminar zu kleinbäuerlichen Lebensperspektiven in Simbabwe, das vom Zimbabwe Netzwerk (ZN) in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL) im Juni 2016 in Bonn veranstaltet wurde, erläuterte Elizabeth Mpofu die schwierige Situation kleinbäuerlicher Produzentinnen und Produzenten in den letzten Jahren.

Sie hob hervor, dass verschiedene Gespräche und Exkursionen während ihrer Woche in Deutschland sehr inspirierend für ihre eigene Arbeit waren, z.B. der gegenseitige Austausch zu Fragen der Anbaumethoden in der ökologischen Landwirtschaft, des Marktes für Bio-Bauern, der Bedeutung von Bio-Siegeln, der staatlichen Unterstützung des Ansatzes, des Verhältnisses von Produzenten und Konsumenten, der Folgen der industriellen Landwirtschaft und Auswirkungen des Klimawandels.

An der Universität Kassel erfolgt Forschung über Wissen zu Öko-Landbau unter Einbeziehung von Bäuerinnen und Bauern. Der dortige Gemüsegarten ist offen für die umliegende Gemeinde, Hühner werden in wechselnden Freilaufgehegen gehalten. Das waren wichtige Erkenntnisse für Elisabeth Mpofu. Sie stellte auch fest, dass Kleinbauern in Deutschland und Simbabwe häufig ähnliche Methoden anwenden und ähnliche Herausforderungen erfahren, was z.B. die Vermarktung anbetrifft. Vom Besuch des Schulbauernhofs in Ummeln bei Bielefeld, wo Schulklassen Arbeitsfreizeiten verbringen können, nahm sie die Anregung mit, schon Kinder gezielt an nachhaltige Landwirtschaft sowie an gesunde Ernährung heranzuführen.


ZIMBABWE SMALLHOLDER ORGANIC FARMERS FORUM

ZIMSOFF hat 19.000 klein bäuerliche Mitglieder und ist landesweit in vier regionale Cluster aufgeteilt (das zentrale, nördliche, westliche und östliche Cluster), die ehrenamtlich koordiniert werden. Auf der Dorfebene schließen sich etwa zwanzig Bäuerinnen und Bauern in einem Club zusammen. Ungefähr zwölf Clubs bilden eine kleine Bauernorganisation in ihrem jeweiligen Distrikt (z.B. in Gutu oder Bikita). Durchschnittlich zehn Distriktgruppen werden auf der Provinzebene zu Clustern zusammengefasst, die ihre eigenen Leitungsstrukturen haben. Auf der nationalen Ebene bilden die Vorsitzenden der vier Cluster und jeweils weitere vier Personen aus jedem Cluster zusammen mit der/dem nationalen Vorsitzenden das 21-köpfige National Board. Das nationale Büro von ZIMSOFF in Harare hat zweieinhalb Stellen für hauptamtliche Mitarbeiter.


Die Autorin, promovierte Pädagogin, ist Mitglied im Vorstand des Zimbabwe Netzwerks. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Simbabwe und arbeitete dort in den 1980er Jahren als Lehrerin.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 6, November/Dezember 2016, S. 27-28
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2017

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