Unabhängige Bauernstimme, Nr. 426 - November 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern
US-Landwirtschaft auf Talfahrt
Umwelt, Einkommen und Exportschranken
(ml) Tim Burracks 1.200-Hektar-Farm ist im Nordosten Iowas gelegen und an einem nebligen Oktobermorgen nicht leicht zu finden. Die Soja- und Maisfelder sind abgeerntet, die Landschaft erscheint kahl, eben und grau. Kein Baum, der als Markierung dienen könnte, nur ab und zu sind flache Stallgebäude zu erkennen, gelegentlich auch ein Wohnhaus. Die schmalen landwirtschaftlichen Nutzstraßen, die Iowa wie ein Gitter überziehen, sind auf der Karte nicht verzeichnet, das Navi hat keinen Empfang. Ein Fahnenmast mit der US-Flagge und darunter der Fahne Iowas markieren die Einfahrt zu dem modernen Bungalow, den Tim Burrack erst vor ein paar Jahren gebaut hat. Eine gute Meile sei es sicher bis zum Haus der nächsten Nachbarn, sagt er und führt mich in sein Büro. Neben den Computerbildschirmen flackern eine Reihe von Monitoren, auf denen sich die Entwicklungen an der Rohstoffbörse in Chicago verfolgen lassen. An den Wänden hängen Auszeichnungen - Ernterekorde, Ehrungen von Saatgutfirmen und dem Verband der Maisanbauer.
Kurze Geschichte
Landwirtschaft gibt es im Mittleren Westen erst seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts, als die ersten Weißen begannen, die Prärie urbar zu
machen. Die meisten betrieben Landwirtschaft genau so, wie sie es aus
ihren europäischen Heimatländern gewohnt waren. Erst ab dem Ende des
Zweiten Weltkrieges ermöglichte die fortschreitende Mechanisierung die
Bearbeitung größerer Flächen mit weniger Arbeitskräften. Chemische
Dünger und Pflanzenschutzmittel sorgten für wachsende Erträge. Die
industrielle Agrarwende mit ihrer Umstellung auf Mais- und
Sojamonokulturen und der damit einhergehenden Überproduktion lässt
sich genau datieren: Sie begann 1971. "Wachsen oder weichen" war das
Motto von Richard Nixons Landwirtschaftsminister Earl Butz, der auf
Agrarexporte setzte und die Farmer aufforderte, jede verfügbare Fläche
zu nutzen und "von Zaunpfahl zu Zaunpfahl" zu pflügen.
Um die Expansion zu finanzieren, nahmen die Landwirte oft hohe Kredite auf, was in den 80er Jahren durch steigende Zinsen und sinkende Weltmarktpreise für viele im Bankrott und dem Verlust ihrer Höfe endete. Während die Zahl der Landwirte weiter sank, nahm die Größe und Effizienz der "überlebenden" Betriebe zu. Farmer wie Tim Burrack waren zwar nicht in der Lage, große Mengen Land zu kaufen, aber er konnte es pachten. Von den 1.200 Hektar, die er heute bewirtschaftet, ist noch immer die Hälfte Pachtland. Die kontinuierliche Überproduktion von Soja und Mais schuf ideale Bedingungen für die Intensivtierhaltung. Mit der Massentierhaltung kam die "vertikale Integration": Einige wenige Konzerne dominieren heute den Markt, indem sie den gesamten Produktionsprozess kontrollieren, von Saatgut und Futtermittelproduktion über Aufzucht, Mast, Schlachtung und Verarbeitung bis hin zu Verpackung und der Platzierung im Supermarkt. Die Tiere, die Konzerne wie Tyson oder Smithfield nicht selbst produzieren, kaufen sie an der Börse von Farmern wie Tim Burrack. 36.000 Schweine produziere er pro Jahr, erzählt er. Ob ich die Stallungen sehen könne, frage ich. Leider nein, sagt er, wo die Tiere seien, wisse er nicht. Die Aufzucht obliege einem Lohnmäster, der sie termingerecht, mit vorgeschriebenem Schlachtgewicht, zu einem festgelegten Preis abzuliefern habe. Lohnmäster tragen oft nicht nur das finanzielle Risiko der Produktion, sondern müssen meist auch mit hohen Investitionen, z. B. für Stallungen, in Vorlage gehen.
Mehr Zeit und Superunkräuter
In den 90er Jahren gelang findigen Wissenschaftlern schließlich die
Erfindung der Gans, die goldene Eier für die Industrie legt:
düngerhungrige, herbizidtolerante GVO-Soja- und Maissaaten. Saatgut,
Dünger und Pestizide: das Komplettpaket für den Acker - von Roundup
Ready bis Xtendimax. Der Preis für die Ertragssteigerungen sind
deutlich höhere Inputkosten. Von 2010 bis 2013 garantierten hohe
Weltmarktpreise trotzdem Gewinne, seither sind die Preise wieder
deutlich gefallen und liegen z. T. unter den Gestehungskosten.
Trotzdem reifen auch 2018 auf 39 Millionen Hektar Mais und auf 32
Millionen Hektar Sojabohnen. "Wir ernähren zwar nicht die Welt", räumt
Tim Burrack ein, "aber Mais und Soja sind weiterhin die lukrativsten
Feldfrüchte, die wir hier anbauen können." Bereits seit Ende der 90er
Jahre baut er gentechnisch veränderte Sorten an. Lukrativ ist für ihn
die Saatgutproduktion für eine der Agrarchemiefirmen. Die Entscheidung
für GVO-Saaten sei für ihn eine Frage des Lebensstils, er habe mehr
Zeit für Familie und Hobbies. Derweil erfordern Klimawandel und die
zunehmende Herbizidresistenz von Unkräutern neue Investitionen. Auf
etwa 28 Millionen Hektar Land werden die Farmer den "Superunkräuter"
nur noch mit der Hacke Herr - es sei denn, sie investieren in die
neuen, gegen Dicamba und Glyphosat resistenten GVO-Sojasorten und
riskieren Schadensersatzklagen der Nachbarn wegen Driftschäden. Tim
Burrack sieht das gelassen, er habe volles Vertrauen in den
wissenschaftlichen Fortschritt und die Forschungsarbeit der
Agrarchemiefirmen. "Die Menschheit ist auf einer positiven
Entvvicklungskurve, die Wissenschaft wird unser Leben immer besser
machen." Auch mit den sich verändernden Wettermustern könne man fertig
werden. Auf den schweren Böden blieben manchmal nur wenige Tage für
Aussaat und Ernte, sagt Tim Burrack - neue, noch größere Maschinen
versprechen Abhilfe. Stolz zeigt er mir seine neu gebaute
Maschinenhalle, groß wie ein Flugzeughangar. Hier stehen Landmaschinen
im Wert von vielen Millionen Dollar. Der neue Mähdrescher, ein
Vorführmodell, war ein Schnäppchen und hat lediglich 470.000 US-Dollar
gekostet. Die Schulden wird Tim Burracks Sohn in den nächsten Jahren
zusammen mit dem Hof übernehmen. Wird er sie abbezahlen können? Wie in
den 80er Jahren sind heute wieder viele Farmer stark verschuldet, und
steigende Landpachtraten verschärfen den Druck.
Maiszucker ist überall
Noch rettet die "US-Farm-Bill", ein Gesetz zur Agrarförderung, die
Farmer im Mittleren Westen. Vereinfacht beschrieben legt das Gesetz
basierend auf den Mais- und Sojapreisen der jeweils letzten fünf Jahre
einen Richtwert fest. Liegen die Marktpreise des laufenden Jahres
darunter, wird dem Landwirt die Differenz erstattet. Ein Drittel des
produzierten Maises dient als billiges Viehfutter und führt zu einer
Überproduktion von Milch und Fleisch. Knapp 40 Prozent werden zu
Ethanol und Biogas verarbeitet. Glucose-Fructose-Maissirup (HFCS)
findet sich in fast allen Lebensmitteln. An neuen
Verwendungsmöglichkeiten von Maisstärke, z. B. für "Bio"-Plastik, wird
gearbeitet. Insgesamt mehr als 20 Prozent aller US-Agrarprodukte gehen
in den Export. Strafzölle und das mögliche Scheitern der
NAFTA-Neuverhandlungen (Zollunion Kanada, Mexiko, USA) könnten das
bald ändern. Eine neuerliche US-Farmkrise wäre dann nicht nur
wahrscheinlich, sondern unausweichlich.
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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 426 - November 2018, S. 16
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2019
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