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INTERNATIONAL/206: Milch reist nicht gerne, Milchpulver umso mehr (Frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 147, 1/19

Milch reist nicht gerne, Milchpulver umso mehr
Agrarsubventionen und ihre Folgen für Kleinbäuerinnen in Burkina Faso

von Aleksandra Kolodziejczyk


In Burkina Faso liegt die lokale Milchproduktion und ihre Verarbeitung in Frauenhänden. Billige Milchpulverimporte aus der EU kosten die Frauen Arbeitsplätze und Einkommen und verhindern den Aufbau eines lokalen Milchmarktes.


In Burkina Faso werden 90% der gewerkschaftlich organisierten Kleinstmolkereien und Viehbetriebe von Frauen geführt. Milch bedeutet Arbeitsplätze und Einkommen. Vor allem Frauen aus der Bevölkerungsgruppe der Peulh sind in der Milchproduktion und ihrer Verarbeitung tätig. Über Generationen hinweg betreiben sie traditionelle Viehhaltung und erzeugen Milch und Fleisch von Rindern, Schafen und Ziegen.

Aus Sauermilch und Kolbenhirse stellen Frauen der Peulh das beliebte Gericht Dégué her oder verkaufen Joghurt auf den lokalen Märkten Burkina Fasos. Für beides verwenden sie vorwiegend wiederaufbereitete Milch aus importiertem Milchpulver, das sie vor Ort in seinen flüssigen Zustand zurückversetzen. Wieso die Peulh-Frauen nicht zu lokal hergestellter Frischmilch greifen, hat Gründe, die sich auch auf die europäische Agrarpolitik zurückführen lassen.


Milchpulver aus Europa

Die Nachfrage nach Milch und Milchprodukten steigt in Burkina Faso zwar stetig an, führt aber nicht zu einer Stärkung der lokalen Milchproduktion und der lokalen Milchbäuerinnen. Der Mehrbedarf wird nach wie vor durch Importe von Milchpulver gedeckt. Werden in Burkina Faso mehr Milch und Milchprodukte nachgefragt als lokal produziert, so stellt sich die Situation in Europa genau umgekehrt dar. Bereits in den 1970er Jahren wurde in der EU mehr als jene Milchmenge produziert, die für den Eigenbedarf benötigt wird. Der Überschuss wird seitdem exportiert. Hohe Subventionen ermöglichen es großen europäischen Produzent_innen, ihre Milchprodukte, meistens in Form von Milchpulver, zu niedrigen Preisen in Ländern des Globalen Südens abzusetzen. Das hat weitreichende Folgen.

Lokale Frischmilch kostet um zwei Drittel mehr als aus importiertem Milchpulver hergestellte Milch. So kostet der in Burkina Faso erzeugte Liter Milch im Schnitt 91 Cent, die aus importiertem Milchpulver hergestellte Trinkmilch kostet hingegen umgerechnet nur 34 Cent.(1) Das führt dazu, dass viele kleine Milchverarbeiter_innen und Kleinstmolkereien Dégué und Joghurt ausschließlich mit importiertem Milchpulver herstellen müssen, um es gewinnbringend verkaufen zu können. Sie leiden zudem unter den schwankenden Weltmarktpreisen für Milchpulver, die existenzbedrohend sein können.


Teure Frischmilch

Milchpulver ist in Burkina Faso das wichtigste Importprodukt im Milchbereich und Europa sein größter Exporteur. Die billigen Milchpulverimporte aus der EU verdrängen nicht nur lokale Milchproduzentinnen vom burkinischen Markt, sondern verhindern auch den Aufbau einer lokalen Milchproduktion. 85% der Bevölkerung in Burkina Faso sind in der Landwirtschaft und der Viehzucht tätig, und die Nachfrage nach Milchprodukten steigt. Das Potenzial für die Entfaltung einer kleinbäuerlichen Milchwirtschaft ist groß und wird von der Welternährungsorganisation sogar als ein Weg zur Beseitigung von Hunger und Armut gesehen.

Was neben dem Preisdumping durch Milchpulverimporte den Aufbau einer lokalen Marktwirtschaft verhindert, sind fehlende staatliche Investitionen in kleinbäuerliche Strukturen. Der burkinische Staat investiert lieber in den industriellen Milchsektor, der jedoch bislang nur 5% der Gesamtproduktion ausmacht. Investitionen und Programme zur Stärkung kleinbäuerlicher Milchproduzent_innen, wie der Peulh, wären jedoch dringend notwendig.

So schwankt die produzierte Milchmenge von burkinischen Viehzüchter_innen über das Jahr hinweg stark. Während der Trockenzeit, in den Monaten März und April, kann sich die gewonnene Milchmenge sogar von drei auf einen Viertelliter pro Tag reduzieren. Die vorwiegend weiblichen Bäuerinnen haben nämlich während der Trockenzeit zu wenig Futtermittel, um die Tiere ausreichend zu ernähren, und es fehlt an regelmäßiger gesundheitlicher Versorgung der Tiere. So können Milchverarbeiter_innen - auch wenn sie es wollten - nicht durchgehend auf Frischmilch zurückgreifen.

Die Produktion von lokaler Milch wird auch durch das Fehlen von stabilen und sicheren Absatzmärkten, mangelnder Infrastruktur und fehlender Preisstabilität gedrosselt. In der 2012 von MISEREOR durchgeführten Studie bringt es die Dorfälteste aus einer Peulh-Gemeinde auf den Punkt (ihr Name wird in der Studie nicht erwähnt): "Auch heute könnten wir das ganze Jahr über Milch produzieren, wenn wir sicher wären, sie auch gewinnbringend verkaufen zu können. Aber wir können es nicht riskieren, Geld für das Futter unserer Kühe auszugeben, wenn wir nicht sicher sind, dass wir unsere Milch auch verkauft bekommen."(2)


Höhere Zölle auf Milchpulver

Kleinbäuer_innen in Burkina Faso werden in ihrer Existenz somit auf zwei verschiedenen Fronten bedroht - von der Regierung, die auf die Förderung des industriellen Milchsektors setzt, und von den Milchimporten aus der EU. Die burkinische Nationale Union der Kleinstmolkereien und lokalen Milchproduzent_innen setzt sich für die Stärkung der kleinbäuerlichen Strukturen ein. Ihre Milchprodukte vertreiben sie unter der Marke FaireFaso und fordern eine Anhebung des Zolls auf Milchpulverimporte von fünf auf 35%. Diese Forderung steht jedoch im Widerspruch mit dem unterzeichneten, aber noch nicht ratifizierten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements) mit der EU - das die Erhöhung bestehender und die Einführung neuer Importzölle ausschließt, was die Abhängigkeit von Burkina Fasos Milchwirtschaft von Milchpulverimporten zementieren würde.

Auch die Gemeinsame Agrarpolitik der EU hat in den letzten Jahren zu einer Verschärfung beigetragen. Die 2015 durchgeführte Abschaffung der Milchquote, die den Überschuss der Milchproduktion in der EU auf 10% limitierte, hat den Milchpulverberg rasant wachsen und die Milchpreise verfallen lassen. Das hatte auch Auswirkungen auf die Kleinbäuer_innen in Europa, von denen viele ihre Produktion aufgeben mussten. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU steht nun vor ihrer nächsten Reform. Ob sie positive Veränderungen für Kleinbäuer_innen in Burkina Faso und Europa mit sich bringen wird, ist fraglich.


ANMERKUNGEN:
(1) Studie von AGGV (2017): Die Unfaire Milch - Agrar- und Entwicklungspolitik im Widerspruch?
www.globaleverantwortung.at/die-unfaire-milch-agrar-und-entwicklungspolitik-im-widerspruch
(2) Studie von MISEREOR aus 2012: Die Milch macht's: Kleinbäuerliche Milchproduktion in Burkina Faso und die Auswirkungen instabiler Weltmarktpreise
www.misereor.de/fileadmin/publikationen/studie-die-milch-machts-2012.pdf

ZUR AUTORIN:
Aleksandra Kolodziejczyk arbeitet bei "Brot für die Welt" als entwicklungspolitische Referentin und lebt in Wien.

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Quelle:
Frauen*solidarität Nr. 147, 1/2019, S. 10-11
Text: © 2019 by Frauensolidarität / Aleksandra Kolodziejczyk
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2019

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