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LANDWIRTSCHAFT/1357: Ebermast ist praxistauglich (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Kampagne gegen Ferkelkastration
Ebermast ist praxistauglich
Ein Schweizer Bio-Bauer berichtet

Cäsar Bürgi im Gespräch mit Stefan Johnigk


Die Kunden des Schweizer Naturkost-Anbieters "Silberdistel" freuen sich doppelt: Das Fleisch unkastrierter Schweine aus artgerechter Öko-Haltung schmeckt vorzüglich und stammt zudem von Tieren, die ohne die weithin übliche Quälerei der Kastration großgezogen wurden. Noch gilt die Schweiz bei diesem Thema als ein Vorreiter in Europa, denn ab 2010 wird dort die Ferkelkastration ohne Betäubung ganz verboten sein. Bereits heute wird in vielen Schweizer Betrieben auf eine Kastration mit Betäubung umgestellt. Dabei haben die Schweizer Schweinebauern die Wahl. Eine Gasbetäubung mit Isofluran, wie sie auch vom deutschen Anbauverband "Neuland" vorgeschrieben ist, erfordert Investitionen in entsprechende Geräte. Eine biochemische Methode, die sogenannte Immunokastration, ist in der Schweiz zwar bereits zugelassen, aber bei den Lebensmitteleinzelhändlern umstritten. Eine dritte und aus Tierschutzsicht beste Alternative haben die Biobauern Cäsar und Oliver Bürgi gewählt: Bei ihnen kommt schon seit über 4 Jahren gar kein Ferkelhoden mehr unter das Messer.

"Die Mast unkastrierter Schweine, wie sie auch von PROVIEH in Deutschland gefordert wird, ist für die Tiere, für die Halter und die Konsumenten die beste Lösung", äußert sich Cäsar Bürgi, Vorstandsmitglied der Fachkommission Fleisch des Schweizer Öko-Anbauverbands "Bio Suisse". "Obwohl wir auf die Kastration verzichten, seit wir Schweine halten, hatten wir noch nie einen richtigen Stinker dabei." Stinker. So nennt die Fleischindustrie diejenigen Schweine, deren Fleisch beim Erhitzen einen ausgeprägten Geschlechtsgeruch entwickelt. Selbst wenn nur rund 2/3 der Menschen diesen Geruch überhaupt wahrnehmen können, so empfinden ihn doch einige als sehr unangenehm. Davor schreckt die Branche zurück, auch in Deutschland. "Die Beurteilung von Ebergeruch ist höchst subjektiv", erläutert Bürgi. "Einen Eber kann man immer am Geruch von einer Sau unterscheiden, aber was genau ist ein Stinker? Im Rahmen des Schweizer Projektes "ProSchwein" wird jetzt eingeladen zu einem Kurs in Ebergeruchserkennung. Damit soll die Beurteilung des Fleisches nach der Schlachtung nach objektiveren Kriterien stattfinden. Mittelfristig brauchen wir aber eine verlässlichere Messmethode als die menschliche Nase, um die Sorgen des Handels vor Ebergeruch zu zerstreuen." Doch noch ist eine "elektronische Nase" zur Erkennung des Geruchs am Schlachtband in der Schweiz nicht zur praxisreifen Anwendung gediehen - es fehlen die notwendigen Investitionen zum Abschluss der Arbeiten. "Es ist viel davon die Rede, dass in der Schweiz ein endgültiger Verzicht auf die Kastration das Fernziel sei. Aber die Branche zieht nicht gemeinsam an einem Strang. Wenn jetzt die einen viel Geld in die Geräte für eine Isofluran-Betäubung investieren, die anderen trotz Bedenken der Einzelhandelsketten auf die Immunokastration umsteigen, wer unterstützt dann noch ernsthaft die Umstellung auf Ebermast?" Bürgi ist besorgt und schaut fast ein wenig neidisch nach Deutschland. Dort nämlich fordert PROVIEH mit seiner Kampagnenarbeit die Branche entschlossen zu gemeinschaftlichem Vorgehen auf. Ein klares Votum für die Mast unkastrierter Schweine als tierschutzgerechte Alternative und die gemeinschaftliche Entwicklung der elektronischen Nase zur Erkennung von Ebergeruch am Schlachtband sind mittlerweile schon in erreichbare Nähe gerückt. Bürgi ist überzeugt: "Wenn in Deutschland die elektronische Nase des Fraunhofer Instituts tatsächlich schon Ende 2010 praxistauglich sein wird, wäre das auch in der Schweiz ein Grund für viele Schweinehalter, gar nicht erst in teure Betäubungsmethoden zu investieren, sondern gleich ganz auf die Ebermast umzustellen." Die Ebermast sei praxistauglich und erprobt. "Wir halten die Ferkel rund 7 Wochen bei der Sau, bis sie abgesetzt werden. Dann kommen die Eber auf einen befreundeten Ökohof, wo sie mit einer speziellen Fütterung aufwachsen. Die Sauen halten wir bei uns." Aber auch die Aufzucht in gemischten Gruppen sei möglich. "Letztlich kommt es darauf an, dass man die Haltungsform optimal an die Bedürfnisse der Tiere anpasst - dann erzielt man auch gute Ergebnisse." Ein wenig Experimentierfreude gehöre dazu, wie so oft im Leben, so die ermutigende Botschaft an die deutschen Schweinebauern nicht nur bei "BIOLAND".

Die Verbraucher werden es honorieren, das weiß Bürgi, der schon oft zum Geschmacksvergleich von Sauen- und Eberfleisch lud. "Beides lecker, kein Unterschied", so die Kunden. "Wirklich keiner? Das dort ist Eberfleisch!" "Aha? Na, das schmeckt vielleicht ein bisschen würziger."


INFOBOX

Bio Suisse

Der Dachverband Bio Suisse ist ein Zusammenschluss von Öko-Landwirten, in dem über 6.000 Schweizer Bauernhöfe mitarbeiten. Seine Richtlinien für Anbau und Verarbeitung gehen deutlich über die vom Schweizer Gesetzgeber geforderten Mindestanforderungen hinaus. Zertifizierte Produkte mit der Bio Suisse "Knospe" genießen wegen der hohen Glaubwürdigkeit des Labels große Beliebtheit.


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Quelle:
PROVIEH Heft 1, März 2009, Seite 16-17
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2009