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LANDWIRTSCHAFT/1403: Sonnenenergiewerk bäuerliche Landwirtschaft (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 328 - Dezember 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Sonnenenergiewerk bäuerliche Landwirtschaft
Solargestützte Erzeugung von Lebensmitteln statt ölgesteuerter Rohstofferzeugung

Von Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf


Während der fortschrittliche Teil der Wirtschaft die Endlichkeit der fossilen Energieressourcen längst anerkannt hat und auf eine Energieerzeugung aus regenerativen Energiequellen, besonders der Sonnenenergie, setzt, will die agrarindustrielle Glaubensgemeinschaft die alten ölgesteuerten Wachstums- und Effizienzsteigerungsrezepte der Vergangenheit mit Klimaargumenten hoffähig machen. Nachfolgende Thesen der AbL zeigen, dass der alte Slogan "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" gerade angesichts der Frage um die Mitverantwortung der Landwirtschaft an den Klimaveränderungen ganz neue Brisanz erhält, da nur die bäuerliche Landwirtschaft zu einer wirklich effizienten Nutzung der Sonnenenergie in der Lage ist und damit, wie bereits der Weltagrarbericht feststellte, auch in Zukunft der Grundpfeiler weltweiter Ernährungssicherung bleiben wird.


1. These

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hat immer schon die bäuerliche Wirtschaftsweise ins Zentrum ihrer Zielsetzung gestellt und damit der agrarindustriellen Produktion ein positives Leitbild entgegengehalten. Aufgrund der absehbaren Endlichkeit unserer fossilen Energieressourcen und des mit ihrem hemmungslosen Einsatz verbundenen Klimawandels erhält diese Unterscheidung (und damit auch der AbL-Slogan "Bauernhöfe statt Agrarfabriken") eine neue Dringlichkeit.


2. These

Die anhaltenden Auseinandersetzungen um die Milch ("Wem gehört die Milch - der Milchindustrie oder den Bauern?"), um die gentechnikfreie Land- und Ernährungswirtschaft ("Was ist das Versprechen von Wahlfreiheit wert? Wem werden die Kosten aufgebürdet?) und auch die Bürgerproteste gegen Großanlagen der Massentierhaltung zeigen, dass die agrarindustrielle Interessenlage gesellschaftlich nicht akzeptiert wird. Nun versucht die agrarindustrielle Glaubensgemeinschaft, sich mit Klimaargumenten hoffähig zu machen: z. B. Hochleistung der Tiere, v.a. der Milchkühe und räumlich-betriebliche Konzentration auf Gunststandorten würden die Emissionen klimaschädlicher Gase pro Produktionseinheit vermindern helfen.


3. These

Klimarelevanz lässt sich nicht mit der schmalen Brille der Optimierung einzelner Faktoren erfassen. Effizient bezogen auf das Klima ist nur die Betrachtung, die die Gesamtentwicklung auf der Zeitschiene in den Blick nimmt. Dann wird jeder agrarindustriell erzeugte Liter Milch verbunden mit der Abholzung der Regenwälder, dem Anbau von Gen-Soja, einem weltweiten Transport von Futter- und Lebensmitteln, einem hohen Energieverbrauch durch Mineralstickstoff und Pflanzenschutz, dem Schwund der Biodiversität, mit einer abnehmenden Vitalität von Boden, Pflanze, Tier und Mensch zum Problem. Und erst dann zeigt sich, dass dieses agrarindustrielle Produktionssystem nicht nur mehr Energie verbraucht, als es zu erzeugen in der Lage ist, weltweit, sondern auch die Klimaschädigungen mit zu verantworten hat. Ölgesteuerte agrarindustrielle Produktionsweisen und Produktionssysteme sind auch aus diesem Grund - und nicht nur, weil die fossilen Brennstoffe endlich sind - nicht in der Lage, die Welt zu ernähren!


4. These

Bäuerliche Wirtschaftsweisen nutzen seit Jahrhunderten die Kraft der Sonnenenergie. Auf allen Feldern, Wiesen und Wäldern nehmen Pflanzen die Energie der Sonne und wandeln diese um in für Menschen und Tiere nutzbare (Lebens-)Energie, binden Kohlendioxid und reichern unsere Atemluft mit Sauerstoff an. In die Fruchtfolge integrierte Leguminosen sammeln zusätzlich Luftstickstoff und ersparen synthetischen Dünger. Rinder, Schafe und Ziegen fressen das Gras und geben Milch und Fleisch - täglich und kostenlos. Während in anderen Wirtschaftsektoren die Endlichkeit der fossilen Energieressourcen längst anerkannt und als Konsequenz daraus die direkte Nutzung der Sonnenenergie für Wärme- und Elektrizitätsgewinnung auf der Tagesordnung steht, wird Bauern und Bäuerinnen und der Öffentlichkeit eingeredet, dass im Agrar- und Ernährungssektor die Rezepte von gestern die Zukunft darstellten - und die "bäuerlichen" Wertsetzung nun endlich überwunden werden müsse.


5. These

Bäuerliche Wirtschaftsweisen aber sind eine High-Level-Landwirtschaft, denn zur effizienten Nutzung dieser Sonnenenergie bedarf es des vielfältigen bäuerlichen Erfahrungswissens und des Know How im Umgang mit Boden, Pflanzen und Tieren, es bedarf hoher Biodiversität, um die Synergien aller Lebewesen zu nutzen, es braucht Erfindergeist und Phantasie und damit ein hohes Maß an qualifizierter Arbeit.


6. These

Bäuerliche Wirtschaftsweisen sind für die Ernährung zukünftiger Generationen notwendig. Ölgesteuerte Produktionssysteme hingegen werden, auf der Zeitschiene betrachtet, lediglich als ein ressourcenverschwendendes und die Grundlagen unserer Existenz gefährdendes Zwischenspiel in die Geschichte eingehen.


7. These

Die bäuerliche Landwirtschaft, die handwerkliche Lebensmittelwirtschaft und der regionale Lebensmittelhandel sind die Grundpfeiler der weltweiten Ernährungssicherung. Sie mögen der Industrie weniger Profit abwerfen, als ihr lieb ist, aber volkswirtschaftlich - und klimatisch - stellen sie den größten und effizientesten Beitrag zur notwendigen Lösung heute drängender globaler Herausforderungen dar. Die über 400 Autorinnen und Autoren des Weltagrarberichts haben das nicht erfunden, aber in mühevoller und überaus wertvoller Arbeit bestätigt.


8. These

Aus diesen Erkenntnissen heraus gibt es weder einen Grund noch eine Berechtigung, die bäuerliche Landwirtschaft abzuschreiben. Vielmehr braucht es politische Weichenstellungen, die diesen Erkenntnissen konsequent Rechnung tragen. Und innerhalb der Landwirtschaft braucht es vor allem Bäuerinnen und Bauern, die mutig und mit gesellschaftlichem Rückhalt für ihre Interessen eintreten. Das ist nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Aufgabe.


Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf,
Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 328 - Dezember 2009, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2010