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LANDWIRTSCHAFT/1630: Die Ernährungssituation weltweit und was das mit Futtermitteln zu tun hat (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 382 - November 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Die Ernährungssituation weltweit...
...und was das mit Futtermitteln zu tun hat

von Christoph Dahlmann



Deutschland ernährt die Welt, postuliert der Bauernverband, nur beim Eiweißfutter sind wir auf massenweise Importe angewiesen. Dass kann nicht sein, finden immer mehr Landwirte und ergreifen die Initiative für den Aufbau einer regionalen Eiweißversorgung. Sie bauen Erbsen, Bohnen und Soja selbst an. Schaffen Verarbeitungsmöglichkeiten, bauen Alternativen zu den bestehenden, eingefahrenen Vertriebswegen und Machtstrukturen auf. Feldtage und Eiweißinitiativen suchen nach verschollenem Wissen, bringen Praktiker zusammen und betreiben selbst Forschung. Die Entwicklungen sind vielversprechend. Auch ökonomisch sind Leguminosen und vor allem die Sojabohne interessante Kulturen. Schon machen sich industrielle Biobetriebe auf, suchen nach Schlupflöchern, um ihre Ware auf Umwegen auf den deutschen Markt zu schleusen. Das Agieren so mancher bioverbandsnahen Vermarktungsorganisation ist dabei mindestens unglücklich und bedroht durch Rezertifizierungsmanöver ausländischer Ware die heimischen Anbauer.


Viele aktuelle pflanzenbauliche Lehrbücher beginnen in ihrer Einleitung mit Sätzen, die sinngemäß folgendes aussagen: Im Jahre 2050 seien etwa neun Milliarden Menschen zu ernähren. Um deren Ernährung sicherstellen zu können stehe die Landwirtschaft vor großen Herausforderungen. Was in den 1970/80er-Jahren fast ausschließlich mit der Steigerung der Erträge verbunden wurde, hat ab Mitte der 1990er-Jahre den Zusatz bekommen, dies so nachhaltig wie möglich zu machen. Die Formel lautet: Steigerung der Erträge bei sinkendem Input. Wie das zustande kommen soll, darauf gibt es unterschiedliche Antworten. Schnell wird hier die Gentechnik angeführt, die den Löwenanteil zur Reduzierung des Problems beitragen soll. Der seit fast zwanzig Jahren andauernde "Großflächenversuch" auf der anderen Seite des Atlantiks spricht eine andere Sprache. In der Regel stagnierende Erträge bei steigenden Einsatzmengen von Pestiziden spiegeln die "Möglichkeiten" dieser Technik wider. Die Mitte der 1990er-Jahre gemachten Versprechungen bezüglich höherer Erträge bei sinkendem Pestizideinsatz konnten nicht eingehalten werden. Im Gegenteil, es gibt eine stetig steigende Anzahl resistenter Unkräuter. Eigentlich müsste man sich dieser Thematik nicht mehr bedienen, da genügend pflanzenbauliche und züchterische Alternativen zur Gentechnik vorhanden sind, wären da nicht die Interessen einiger Global Player. Schauen wir uns das Argument der Ertragssteigerungen im Kontext einer größeren Weltbevölkerung etwas genauer an. In diesem Zusammenhang wird häufig angeführt, dass zur Ernährung der weiteren zwei Milliarden Menschen die Erträge verdoppelt werden müssen. Da fragt man sich ja spontan, was für ein System der Ineffizienz ist das denn, wenn für zwei Milliarden Menschen mehr das Doppelte an Nahrungsmitteln erzeugt werden soll? Es kann berechtigt in Zweifel gezogen werden, ob es dieser Ertragssteigerungen wirklich bedarf. Die Uno schätzt, dass die Weltbevölkerung ab der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts langsam abnehmen wird. Selbst der Club of Rome geht in seiner jüngsten Prognose davon aus, dass im Gefolge der globalen Urbanisierungsprozesse die Weltbevölkerung bereits 2040 ihren Höchststand von 8,1 Milliarden Menschen erreichen wird und danach ein Schrumpfungsprozess einsetzen dürfte.


Soja - Treibstoff der Tierhaltung

Aber was hat dies alles mit Futtermitteln zu tun und im Besonderen mit der Situation hier in Europa und Deutschland? Teile des vor- und nachgelagerten Bereichs setzen schon seit einiger Zeit auf eine exzessive Exportorientierung, die sich in ihrer Zuspitzung am einfachsten durch die Aussage "Wir müssen die Welt ernähren" beschreiben lässt (Unabhängige Bauernstimme, 6/2012). Futtermittel sind in diesem Zusammenhang zu einem großen Business geworden. Besonders im Eiweißbereich sind die Importmengen gewaltig. Über 30 Millionen Tonnen Soja bzw. Sojaschrot werden jährlich überwiegend aus südamerikanischen Ländern importierte Diese Mengen werden benötigt, um die aktuelle Eiweißlücke von etwa 70 Prozent zu schließen. Auf Deutschland bezogen heißt dies, dass Mengen von 4,5 Millionen Tonnen Sojaschrot jährlich in der Nutztierhaltung verfüttert werden. Sojaschrot ist hier nicht nur ein wertvoller Eiweißträger, sondern auch essentieller Treibstoff zur (Über-)Produktion von tierischem Eiweiß mit den daraus resultierenden Problemen in den Regionen. Besonders der Nordwesten Deutschlands weist massive Nährstoffüberschüsse auf. Stickstoffbilanzen von über 120 kg N/ha sind Ausdruck dafür. Nicht umsonst läuft gegen Deutschland ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU wegen dieser hohen N-Bilanzen. Aber auch auf der anderen Seite des Globus sind die Auswirkungen, wenn auch seit Jahrzehnten bekannt, verheerend. Massive Nutzung höchst umweltsensibler Flächen wie der Regenwald, der Cerrado in Brasilien oder der Chaco in Argentinien für den Anbau von Soja und die Vertreibungen der ortsansässigen Bevölkerung sind Kennzeichen einer verfehlten Entwicklungsstrategie. Und das dies alles eine (politische) Strategie ist, ist gewiss.


Globale Politik

Im Rahmen der Verhandlungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) verlangten die USA von der damaligen EWG einen freien Marktzugang für Sojabohnen und andere Ölsaaten als Gegenleistung für ihre Zustimmung zu den hohen europäischen Importzöllen auf Getreide. In der Dillon-Runde des GATT (1960 bis 1961) stimmten die EWG-Regierungen diesen Forderungen zu. Im sogenannten Blair-House-Abkommen (1992), innerhalb der Uruguay-Runde, einigte sich die EU mit den USA darauf, in Europa die Fläche und die Menge des Anbaus subventionierter Ölsaaten zu begrenzen sowie weitere Zollfreiheit für Ölsaaten und Proteinfutter in der EU zu gewähren. Dies alles entsprach den Wünschen der Verfechter der sogenannten "arbeitsteiligen Welt". Untermauert durch die Mär der Gunstregionen, was vereinfacht gesagt bedeutet, dass in Europa nur Getreide gut wächst und in Amerika überwiegend Soja. Natürlich gibt es geografische Vor- oder Nachteile für die unterschiedlichen Arten, aber vieles hat dann doch mehr mit unterschiedlichen Entwicklungen bezüglich der Intensitäten im Anbau und in der Züchtung zu tun. Noch in den 1960ern waren die Weizenerträge in den USA und Deutschland auf ähnlichem Niveau. Nun beträgt die Differenz annähernd 40 dt/ha. Diese weltweite Arbeitsteilung hat natürlich Einfluss auf die Fruchtfolgen, wenn man von Fruchtfolgen überhaupt noch reden kann. In Brasilien beträgt der Anteil Soja an der Ackerfläche (teils ehemals Regenwald etc.) 35 Prozent, in Paraguay sind es gar über 60 Prozent. Allein Weizen als dominierende Getreideart wächst auf ca. 25 Prozent der Ackerflächen in Deutschland.


Potenziale für Leguminosen in NRW

Neueste Ergebnisse einer von der AbL NRW in Auftrag gegebenen Potenzialanalyse für NRW mit dem Titel "Chancen und Hemmnisse einer Regionalisierung der Eiweißfuttermittelversorgung im Bundesland", durchgeführt von der Fachhochschule Südwestfalen, zeigen, dass in diesem veredlungsstarken Bundesland aktuell etwa 80 Prozent der Futtermittel auf Rohproteinbasis selbst erzeugt werden. Erhöht man den Anteil des Leguminosenanbaus auf 5, 10 oder gar 20 Prozent an der nordrhein-westfälischen Ackerfläche und nimmt einen züchterischen Ertragszuwachs sowie eine Ertragsstabilisierung an, so können die Rohproteinerträge auf der Landesfläche bis zu 7,7 Prozent gesteigert werden. Die erforderlichen Importe von Rohprotein, beispielsweise in Form von Sojaextraktionsschrot, ließen sich von 660.000 Tonnen auf 320.000 Tonnen Schrot mehr als halbieren. Eine weitere Variante, um auch das restliche Sojaschrot einsparen zu können, wäre die Reduzierung der Rinder- und Schweinebestände um jeweils 13 Prozent. Angesichts der derzeitigen Schweinepreise könnte das eine zusätzlich sinnvolle Variante sein. Alles in allem ist der Aufbruch auf einen anderen Weg politischer Strategie vonnöten.


Christoph Dahlmann, AbL-NRW Projekt "Vom Acker in den Futtertrog"
www.Vom-Acker-in-den-Futtertrog.de

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 382 - November 2014, S. 12-13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2015


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