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RECHT/328: Interview mit dem Schweizer Patentanwalt Fritz Dolder (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 317 - Dezember 2008,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Ein Bohren ziemlich harter Bretter"

Er erstritt die Rücknahme des Neembaum-Patents, aber es gibt neue Herausforderungen. Der Schweizer Patentanwalt Fritz Dolder, Professor für Geistiges Eigentum und juristische Methodenlehre an der Uni Basel im Interview

Von Claudia Schievelbein


UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Ein neues Patent ist vom Europäischen Patentamt (EPA) erteilt worden. Es geht um Säugetier-Nachkommen, deren Geschlecht sich vorbestimmen lässt. Wie genau funktioniert das?

FRITZ DOLDER: Es geht um ein Verfahren, Spermazellen geschlechtsmäßig zu sortieren: Durchfluss-Zytometrie (flow cytometry). Das ist eine seit Jahrzehnten gut etablierte Methode zur Trennung von Zellen nach irgendwelchen Kriterien. X und Y-Spermien unterscheiden sich im DNA-Gehalt je nach Tierart um wenige Prozent diesen Unterschied kann man durch Einfärben der Zellkerne mit einem Farbstoff sichtbar machen und dann lässt man das natürliche Gemisch von X- und Y-Spermien durch eine Fotozelle im Zytometer laufen, welche die Spermien dann nach ihrem DNA-Gehalt in unterschiedliche Behälter sortiert. Und nun hat die Firma XY aus den USA diese altbekannte Methode ein wenig für die Sortierung von Spermien adaptiert und optimiert, hier ein bisschen an der Pufferlösung, dort ein bisschen an der Nährlösung verändert und schon 1998 ein Patent darauf angemeldet.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Welche Auswirkungen hätte so ein Patent auf die Tierzucht und die Veredlungswirtschaft, auf die Landwirtschaft allgemein?

FRITZ DOLDER: Folgendes ist zu befürchten: Wenn Sie mit diesem sortierten ("gesexten"). Sperma züchten, dann sind Sie kostenmässig im Vorteil gegenüber denen, die in der Milchviehhaltung auch Stierkälber in Kauf nehmen müssen oder in der Schweinehaltung männliche Ferkel, die nur kastriert gemästet werden. Aus Kostengründen werden sie also als Landwirt dazu verdammt, mit dem "gesexten" Sperma zu arbeiten. Die Firma, die das Patent besitzt, erhebt dann für jede Portion "gesextes" Sperma, die sie verkauft, Lizenzgebühren und hat damit die gesamte Landwirtschaft im Griff. Wenn sie das Patent haben, können sie die landwirtschaftliche Tierzucht monopolisieren und die Firma XY hat einen ganzen Strauß von Patenten in der Hand. Da wächst ein Gestrüpp von Patenten und in diesem Gestrüpp befindet man sich als Landwirt unverhofft mitten drin.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie ist nun das weitere Prozedere?

FRITZ DOLDER: Das Patent wurde im Oktober 2008 vom Europäischen Patentamt erteilt. Nun läuft die neunmonatige Einspruchsfrist: Jedermann kann einen Einspruch gegen die Erteilung dieses Patents einreichen. Es gibt viele Argumente, auf die man sich dabei berufen könnte. So enthält das Europäische Patentabkommen z.B. ein Patentierungsverbot für Verfahren zur Züchtung von Tieren. Also bestehen intakte Chancen, dieses Patent zumindest substantiell einzuschränken. Die Strategie der Firma, das Patentierungsverbot zu unterlaufen, nutzt die unglückliche Formulierung des Europäischen Patentübereinkommens (EPU), wonach es sich bei den Verfahren um "im wesentlichen" biologische Verfahren handeln müsse. Also versucht der Patentanmelder, kleine technische Verfahrensschritte in das Verfahren einzufügen und schon ist er - so er - im grünen Bereich der patentierbaren Verfahren.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Die Firmen nutzen häufig solche Tricks, welche nutzen sie sonst noch?

FRITZ DOLDER: Ein anderes Vorgehen besteht darin, die Patentansprüche unspezifisch, also nicht auf eine Tier- oder Pflanzenart beschränkt, zu formulieren, sondern eine Mehrzahl von Tierarten (oder Pflanzensorten) einzubeziehen. Deshalb ist das fragliche Patent beispielsweise auf "Säugetiere" als Zielgruppe, nicht aber für eine bestimmte Rinderrasse formuliert. Der Oberbegriff, eine Mehrheit von Tierarten, kann patentiert werden, eine einzelne Tierart dagegen nicht. Oder man formuliert einen Patentanspruch auf ein Produkt, wenn das Herstellungsverfahren nicht patentierbar ist. Auch die Patentierung eines Instruments zur Durchführung eines Verfahrens, oder von wenigen technischen Einzelschritten eines größeren Verfahrens ist denkbar, wodurch wiederum im Ergebnis der ganze Prozess monopolisiert wird.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Warum kommen die Firmen damit durch?

FRITZ DOLDER: Weil unter dem Gesichtspunkt der verschiedenen Patentierungsverbote nur formalisierte, einzelne Patentansprüche und nicht Erfindungen als Gesamtheit beurteilt werden und weil die Firmen natürlich bestrebt sind, durch geeignete Wahl der Anspruchskategorie und der einzelnen Patentansprüche möglichst elegant "um die Slalomstangen der Patentierungsverbote" herumzufahren. Über die Konsequenzen der angemeldeten Patentansprüche macht sich das Patentamt kaum Gedanken. Dies ware ganz anders, wenn Erfindungen als Gesamtheit, als technisches System als Ganzes, beurteilt werden müssten.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Sie haben als Patentanwalt schon häufiger gegen Patente auf Leben gekämpft, wie sind Sie dazu gekommen?

FRITZ DOLDER: Ich bin da eigentlich wenig ideologisch orientiert, habe auch lange Jahre in der Industrie gearbeitet und habe in meinem Leben zweifellos weit mehr Patente angemeldet als Patente bekämpft. Aber ich habe einmal vor über 20 Jahren (1984) einen ziemlich harmlosen Aufsatz geschrieben und in einer deutschen Fachzeitschrift veröffentlicht, in dem ich zur Zurückhaltung gemahnt habe, den menschlichen Körper und dessen Bestandteile zum Gegenstand von Patenten zu machen. Viele meiner damaligen Gedanken sind übrigens 1998 in der umstrittenen Biopatentrichtlinie der EU (98/44) verwirklicht worden.

Mitte der Neunzigerjahre ist mir dann aus Kreisen des EU-Parlaments ein Mandat als Anwalt für ein Einspruchsverfahren gegen ein Biopatent übertragen worden. Es handelte sich dabei um ein Patent auf Erzeugnisse aus dem indischen Neembaum, das ist ein Baum, aus dem man durch geeignete Extraktion viele nützliche Erzeugnisse gewinnen kann. Das Patent war 1995 erteilt worden und eine indische NGO unter Vandana Shiva, eine Gruppe von EU-Parlamentariern sowie eine internationale NGO wollten gemeinsam dagegen einsprechen. Für Indien war das damals ein Riesending: 2000 haben meine Mandanten den Einspruch und 2005 auch noch das Beschwerdeverfahren vollumfänglich gewonnen und das betreffende Patent damit vollständig vernichtet. Es ist meines Wissens das erste und (immer noch) einzige Biopiraterie-Patent, welches vom EPA vollumfänglich widerrufen wurden ist. Seither war ich dann an vielen wichtigen Fällen von Biotechpatenten als Anwalt beteiligt.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Was reizt Sie an der Auseinandersetzung?

FRITZ DOLDER: Jeder derartige Fall ist eine intellektuelle Auseinandersetzung, und ich nehme die intellektuelle Herausforderung derartiger Prozessmandate im Biotechbereich gerne an. Das ist zwar immer ein Bohren ziemlich harter Bretter, weil das Patentamt im Zweifel regelmäßig für den Anmelder, also für die Erteilung und Aufrechterhaltung eines Patents entscheidet.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Ist das nicht ein undemokratisches Vorgehen, was da stattfindet?

FRITZ DOLDER: Ich kritisiere, dass die Bevölkerung und die politischen Instanzen in den Mitgliedstaaten des EPA keinen oder nur ungenügenden Einfluss auf die Gesetzgebung innerhalb des EPA nehmen können. Hier gibt es keine Debatte im Bundestag und bei uns in der Schweiz keine Möglichkeit einer Volksabstimmung, obschon es dabei um wichtige Dinge geht, die sich durchaus auf den Alltag der Bürger auswirken können. Es ist alles aus der Schusslinie, dadurch dass Delegierte der Länder, die wahrscheinlich noch nicht einmal von ihren Regierungen anständig gebrieft wurden, zum Verwaltungsrat des EPA in München zusammenkommen und klammheimlich weitreichende Dinge beschließen. Beispielsweise hätte die Übernahme der erwähnten EU-Richtlinie 98/44 über Biopatente im Sommer 1999 in den Staatsvertrag (EPU) und nicht in eine untergeordnete Verordnung des EPA gehört und dadurch hätte der nationale Gesetzgeber, also die Parlamente, entsprechenden Einfluss ausüben können.

Andererseits darf ich fairerweise (und zufrieden) feststellen, dass die Beschwerdekammern des EPA in den letzten 10 bis 15 Jahren gegenüber Biopatenten deutlich kritischer und differenzierter geworden sind, vielleicht doch unter dem Eindruck der vielen eingereichten Einsprüche. Ich sehe da schon reale Erfolge und insgesamt eine Verbesserung der Atmosphäre im EPA gegenüber den Kritikern von Biotechpatenten.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 317 - Dezember 2008, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2009