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RECHT/371: Saatgutgesetzgebung darf sich nicht nur nach Konzerninteressen richten (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 367 - Juni 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Kulturpflanzenvielfalt nicht in Nischen abdrängen!
Die Saatgutgesetzgebung darf sich nicht nur nach Konzerninteressen richten

von Claudia Schievelbein



Das Thema ist heiß, Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) weiß das, wenn sie zum Pressetermin am Tag der Biodiversität, vor dem neu eingerichteten Dienstsitz des globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt im alten Bonner Parlamentsgebäude, lädt. Sie weiß es nicht erst, seit vor ein paar Wochen hunderttausende besorgte Hobbygärtner und Sympathisanten im Internet eine Protestwelle lostraten anlässlich einer Meldung, dass Saatguttausch demnächst von der EU verboten werde. Denn Saatgut hat schon häufiger und mit kaum erwartbarer Emotionalität den öffentlichen Aufruhr keimen und sprießen lassen. Fast wirkt es, als empfinde eine nicht geringe Anzahl von Menschen Saatgutfreiheit gleich der Meinungsfreiheit als elementares demokratisches Gut, das es zu verteidigen gelte gegen die Allmachtsansprüche anonymer Wirtschaftslenker. Passend zur biedermeierschen Renaissance vom trauten Leben auf dem Lande muss die Keimzelle neuen Lebens und unserer Lebensgrundlagen offenbar frei verfügbar bleiben, auch für all jene, die längst weit davon entfernt sind, ihre Lebensmittel selbst zu erzeugen.


Voller Saal

Ist sich also Ilse Aigner sehr wohl ihrer Wirkung bewusst, wenn sie in Presseerklärungen die freie Zulassung alter Sorten und den Erhalt der Artenvielfalt einfordert - wenn auch ihre Taten auf dem politischen Parkett oft genug ihre Worte Lügen strafen - so waren die Richter des Verwaltungsgerichts in Hannover doch ziemlich überrascht, dass jüngst in einem Verfahren bei ihnen die Besucherplätze im Gerichtssaal alle besetzt waren. Der Verein Dreschflegel, ein Zusammenschluss von Pflanzenzüchtern, die sich den Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt auf die Fahnen geschrieben haben, klagt gegen das Bundessortenamt wegen der Anhebung der sogenannten Überwachungsgebühr für die Zulassung der Möhrensorte Duwicker. Nachdem ein Vergleich von den Klägern abgelehnt und der Gerichtssaal voll geworden war, erschloss sich auch dem vorsitzenden Richter, dass hier nur vordergründig eine Auseinandersetzung um Geld geführt wird.

Die Sache ist vielschichtig, die Möhrensorte Duwicker eine nach dem Saatgutverkehrsgesetz zugelassene Sorte, deren Zulassung Dreschflegel beantragt und vom Bundessortenamt (BSA) genehmigt bekommen hatte. Dieser Vorgang kostet eine Gebühr für die fällige Registerprüfung und dann eine jährliche Überwachungsgebühr für die zehn Jahre, für die die Zulassung erteilt wird. Bislang betrug diese Überwachungsgebühr jeweils 100 Euro pro Jahr. Im Zuge einer Überprüfung des Bundessortenamtes durch den Bundesrechungshof bemängelte letzterer die schlechte Kostendeckung des ersteren und schob damit die Entwicklung einer neuen Gebührenordnung an. Im Rahmen dieser neuen Gebührenordnung verlangt das BSA nun 300 Euro Überwachungsgebühren. Hinzu kommt, dass die Gebühr mit einer jährlichen Steigerung versehen wurde, das heißt, je länger eine Sorte zugelassen ist, desto teurer macht das BSA ihre jährliche Überwachung. Nun liegt es grundsätzlich im Ermessensspielraum von Ministerium und Behörde, wie eine Gebührenordnung gestaltet wird, sie muss aber dem Ansinnen des zu Grunde liegenden Gesetzes entsprechen. Und hier setzt die Kritik von Dreschflegel an. Das zu Grunde liegende Gesetz ist das Saatgutverkehrsgesetz, welches die Ansprüche der Allgemeinheit an den Handel und das Inverkehrbringen von Saatgut regelt. Ein wichtiger Anspruch ist der Erhalt der Vielfalt. Ob dem Rechnung getragen wird mit einer erhöhten Jahresgebühr, die auch noch ansteigt, je länger eine Sorte zugelassen ist und damit wenig finanzstarken Erhaltungsinitiativen das Wirtschaften schwerer macht, ist mehr als fraglich. Und das BSA gibt als Erklärung für die Progression sogar an, dass die Beschleunigung des Sortenkarussells, also das immer schnellere Nachlegen neuer Sorten bei gleichzeitiger Nichterhaltung älterer durch die Züchter, eines ihrer Ziele ist. Für das BSA geht es an der Stelle neben der eigenen Finanzierung auch um seine Daseinsberechtigung in Zeiten immer stärker international organisierter Prozesse. Hier kommt das Sortenschutzgesetz ins Spiel.


Birnen und Äpfel

Es regelt den privatrechtliche Schutz neuer Sorten für ihre Züchter, auch hier fallen Gebühren an, die das Bundessortenamt erhebt und die vom Bundesrechnungshof als nicht kostendeckend abgewatscht wurden. Das BSA hat immer schon die Gebühren für Zulassung und Schutz zum Teil einheitlich gestaltet, die Erhöhung und Progression der Überwachungsgebühr in der neuen Gebührenordnung sind auch so eine Vereinheitlichung. Das mag aus Sicht des BSA unproblematisch sein, aus Sicht Dreschflegels ist die Gleichsetzung der Gesetze nicht gerechtfertigt, weil ein Gesetz zu einem hohen Anteil der Allgemeinheit dient, während das andere wirtschaftliche Einzelinteressen schützt. Dieser Einschätzung wollte allerdings auch das Oberverwaltungsgericht in Hannover nicht folgen, die ausführliche Begründung steht noch aus, es wird aber mit dem Ermessensspielraum des BSA argumentiert. Das Gericht wollte sich so recht nicht auf die Thematik einlassen, noch während der Verhandlung versuchte es die beiden Parteien zu einem Vergleich zu bewegen. Dieser hätte beinhaltet, die Duwicker als Amateursorte zuzulassen, was Dreschflegel nur noch 30 Euro Überwachungsgebühr gekostet hätte. Damit wäre die Möhre raus aus der offiziellen Zulassung und rein in die mit Vermarktungsbeschränkungen belegte Regelung für alte Sorten gerutscht. Diese Separierung in zwei scharf getrennte Zulassungsbereiche ist eine Entwicklung, die die großen Züchterhäuser mit Unterstützung der Politik schon seit Jahren forcieren. "Es geht auch darum, die Vertreter der Biodiversität nicht in eine Nische abzudrängen", erklärt denn auch Karin Brockmann, Anwältin von Dreschflegel, warum der Vergleich abgelehnt wurde. Von einem Nischenmarkt, den es mit wenig Restriktionen zu belegen gelte, spricht denn auch die EU-Kommission in ihrem gerade veröffentlichten Vorschlag zur Revision des Saatgutverkehrsgesetzes. Ökozüchter und Erhaltungsinitiativen blicken eher kritisch auf den derzeit in Brüssel stattfindenden Prozess.


Alles offen

Zwar sehen sie durchaus positive Neuerungen in der Nische, die sie aber nur zum Teil betrifft. Gleichzeitig bleibt viel zu viel offen, als dass man sicher sein könnte, dass die Neuerungen nur positiv sind. Die Befürchtung, dass wenn der Vorschlag so offen durchs EU-Parlament geht, hinterher die Restriktionen über die Durchführungsverordnungen nachgeliefert, und damit ohne demokratischen Prozess verankert werden, ist groß. Hinzu kommen Neuerungen, deren Auswirkungen noch gar nicht einschätzbar sind, wie die Einführung des Begriffs des "Heterogenen Materials". Dieser mit weniger Einschränkungen versehene Definitionsbereich kann fast alles sein: genetisch variable Landsorten oder ökologisch gezüchtete, bewusst variabel gestaltete Sorten, ein besonders in England geläufiger Mischanbau oder auch der Türöffner für Gentechnik in Sortenmischungen. Ebenso ist nicht klar, ob im Bereich der Erhaltungssorten, wie bisher, auch ganz neue Sorten zugelassen werden können. Eine Frage, die gerade für ökologisch arbeitende Züchter elementar ist, besonders, da ihre Bemühungen, ihre Bedürfnisse in den Prozess der regulären Zulassung einzuarbeiten um endlich nicht mehr auf Nischen angewiesen zu sein, bislang zumindest komplett abgeschmettert wurden. "Da ist für uns nichts drin", urteilt Gebhard Rossmanith von der Bingenheimer Saatgut AG, einem Netzwerk ökologischer Züchter, während er gleichzeitig auch sagt, dass der Text Möglichkeiten hergebe, die eben nicht so griffig seien. Grundsätzlich gehe es der großen Saatgutlobby darum, eine Regelung durchzusetzen, die es ermögliche, dass immer neue Sorten in ein System gepumpt werden können, damit es nicht kollabiere, so Rossmaniths Einschätzung.


Öffentlichkeit mobilisieren

Die Interessen von Erhaltungsinitiativen und Ökozüchtern und auch die Interessen der Allgemeinheit wurden bislang in dem Überarbeitungsprozess der Saatgutgesetze in Brüssel von den politischen Entscheidungsträgern kaum berücksichtigt. Damit bleibt alles Gerede vom Schutz der Vielfalt ein Lippenbekenntnis. Offensichtlich ist aber genügend öffentlicher Druck in der Lage, Dinge zu verändern. Nun kommt es darauf an, ihn noch weiter zu steigern.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 367 - Juni 2013, S. 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2013