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ASYL/1332: Verpflichtungserklärung von Flüchtlingsbürg_innen - Pistorius stellt Lösung in Aussicht (Flüchtlingsrat Niedersachsen)


Flüchtlingsrat Niedersachsen - 11. Dezember 2018

Verpflichtungserklärung von Flüchtlingsbürg_innen: Pistorius stellt Lösung in Aussicht


Anlässlich der heutigen Mahnwache des Flüchtlingsrats Niedersachsen und der Flüchtlingshilfe Wolfsburg vor dem Landtag in Hannover stellte der niedersächsische Innenminister Pistorius eine Lösung der Problematik der Bürginnen und Bürgen in "sehr naher Zukunft" in Aussicht, die zugunsten der Aufnahme von Familienangehörigen hier lebender syrischer Flüchtlinge eine Verpflichtungserklärung abgegeben haben: Eine solche Lösung zeichne sich bereits ab, lediglich Details müssten noch abgeklärt werden. Die Lösung sehe eine Freistellung der Bürgen von den Rückzahlungsforderungen sowie eine Teilung der Kosten zwischen dem Bund und den Ländern vor.

O-Ton: Pistorius verspricht Lösung für Bürg_innen 11.12.18
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Der Flüchtlingsrat Niedersachen und die Flüchtlingshilfe Wolfsburg begrüßen die Ankündigung des Innenministers. "Wir nehmen den Innenminister beim Wort und verlassen uns darauf, bald eine rechtsverbindliche Lösung präsentiert zu bekommen, die die Bürginnen und Bürgen von weiteren Prozessen und Erstattungsforderungen freistellt. Es wird höchste Zeit das Damoklesschwert, das über den Köpfen der Bürg_innen schwebt, zu entschärfen. Rückzahlungsforderungen in zum Teil sechsstelliger Höhe bereiten nicht nur schlaflose Nächte, sondern machen auch die weitere Lebensplanung - über Generationen hinweg - im Grunde unmöglich. Menschen, die sich auf die Zusagen der behörden und der Politik verlassen haben, dass die Verpflichtung mit der Flüchtlingsanerkennung erlischt, erwarten zu Recht die Solidarität von Politik und Gesellschaft", so Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen und die Flüchtlingshilfe Wolfsburg werden die weiteren Entwicklungen genau beobachten.

Auf der heutigen Mahnwache vor dem Landtag forderten der Flüchtlingsrat Niedersachsen und die Flüchtlingshilfe Wolfsburg die Landesregierung erneut dazu auf, ihren Versprechungen aus dem Dezember 2017 endlich Taten folgen zu lassen und einen Hilfsfonds für Flüchtlings-Bürgen einzurichten, die zwischen 2013 und 2015 im Rahmen des Landesprogramms zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge eine sog. Verpflichtungserklärung abgegeben haben und nunmehr seitens der Jobcenter mit teilweise existenzbedrohenden Rückzahlungsforderungen konfrontiert sind. Unterstützt wurde der Protest von Abgeordnet_Innen der Grünen Landtagsfraktion.


Zur Vorgeschichte:

Im Jahr 2013 beschloss das Land Niedersachsen ein humanitäres Aufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge auf Grundlage des §23 Abs. 1 AufenthG. Voraussetzung für die Aufnahme der Flüchtlinge war unter anderem, dass Familienangehörige (nötigenfalls zusammen mit Unterstützer_innen) eine Erklärung abgaben, in der sie sich verpflichteten, die Kosten für den Lebensunterhalt der aufgenommenen Personen zu tragen und sämtliche öffentliche Mittel zu erstatten, die für ihren Lebensunterhalt aufgewendet werden (sog. Verpflichtungserklärung, § 68 AufenthG). Etliche Familienmitglieder, aber auch viele Unterstützer_innen fanden sich bereit, die Aufnahme von Angehörigen hier lebender Flüchtlinge zu finanzieren, um sie aus dem Bürgerkrieg zu retten und ihnen eine gefahrlose Flucht nach Deutschland zu ermöglichen.

Flüchtlinge, die über das Landesaufnahmeprogramm aufgenommen wurden, erhielten zunächst eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG. Sie wurden in den ersten Monaten in der Regel bei ihren Angehörigen (oder in Privaträumen) untergebracht und versorgt. Nach Abschluss eines Asylverfahrens erhielten sie sodann in aller Regel eine Schutzzuerkennung und damit entweder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG (Anerkennung nach Genfer Flüchtlingskonvention) oder nach &sct; 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG (subsidiärer Schutz).

Sowohl die Unterstützer_innen als auch die Behörden gingen zwischen 2013 und 2015 überwiegend davon aus, dass eine Kostenerstattungspflicht der Pat_innen mit der Flüchtlingsanerkennung enden würde. Auch das niedersächsische Innenministerium ging davon aus, dass der mit einer Flüchtlingsanerkennung erfolgende "Statuswechsel" die Pat_innen von weiteren Kostenforderungen freistellen würde.

Mit Urteil vom 26.01.2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht (BverwG) dann jedoch, dass der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG derselbe Aufenthaltszweck zugrunde liege wie der vorher zur Einreise erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG, weshalb die Haftung aus einer Verpflichtungserklärung nicht allein auf Grund einer Anerkennung enden könne. Obwohl die meisten Verwaltungsgerichte die Auffassung des BVerwG teilen, haben in der Folgezeit verschiedene Gerichte aus unterschiedlichen Gründen geurteilt, dass die Haftung aus einer Verpflichtungserklärung auch vor Ablauf von drei Jahren (teilweise) ausgeschlossen sein könne.

Entsprechend sind die Jobcenter dazu übergegangen, Personen, die sich zur Kostenerstattung verpflichtet hatten, mit teils horrenden - oftmals existenzbedrohenden - Rückzahlungsforderungen für Zeiten auch nach rechtskräftiger Anerkennung als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigte zu überziehen.

Da die in Rede stehenden Verpflichtungserklärungen vor dem 06. August 2016 abgegeben wurden, gelten sie längstens für einen Zeitraum von drei Jahren (§ 68a AufenthG). Auch wenn die Frage der Dauer und des Umfanges der Haftung auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung im Kontext von Landesaufnahmeprogrammen trotz Vorliegens des Urteils des BVerwG noch nicht in all ihren Facetten geklärt ist, führen der Druck auf die Verpflichtungserklärungsgeber_innen durch die Jobcenter und die Verbitterung bzw. das allgemeine Entsetzen darüber, dass ein an sich humanitärer und zunächst allen Anschein nach rechtlich abgesicherter Akt sich im Nachhinein als z.T. existenzbedrohende Handlung erweist, dazu, dass die Herbeiführung einer schnellen und pragmatischen Lösung nicht länger auf sich warten lassen kann.

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Quelle:
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2018

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