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ASYL/582: AsylbewerberInnen und Geduldete sind "EinwandererInnen" (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 47 - Frühling 2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

AsylbewerberInnen und Geduldete sind "EinwandererInnen"
Zum Bericht der Landesregierung Schleswig-Holsteins zur Integrationspolitik

Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein


Schon im Spätsommer 2008 hatte das federführende Kieler Innenministerium dem Landtag den Bericht der Landesregierung zum Schleswig-Holsteinischen Integrationskonzept und zum Nationalen Integrationsplan vorgelegt [LT-Drucksache 16/2188]. Der Bericht wurde zur weiteren Befassung an den Innen- und Rechtsausschuss des Landtages verwiesen. Dieser hat den Flüchtlingsrat um Stellungnahme gebeten. In seiner Stellungnahme setzt sich der Flüchtlingsrat ausführlich und differenziert mit der Integrationspolitik der Landesregierung auseinander.


Bei der Dokumentation dieser Stellungnahme müssen wir uns aus Platzgründen auf die Aussagen zur Integration von Flüchtlingen und anderen MigrantInnen in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft beschränken.

Der Flüchtlingsrat geht davon aus, dass das Thema Integration nicht nur MigrantInnen mit gesichertem Aufenthalt betrifft, sondern auch bleiberechtsungesicherte Flüchtlinge. Auch sie haben den Wunsch nach Teilhabe an der Gesellschaft, und auch sie müssen - erst recht mit Blick auf die faktische Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung und daraus folgender administrativ erzwungener Abhängigkeit von der öffentlichen Hand - insbesondere bei der arbeitsmarktlichen Integrationspolitik berücksichtigt werden. Die diesbezüglichen Auslassungen des Berichts der Landesregierung ergänzen wir daher wie folgt.

Auch AsylbewerberInnen, auch Geduldete sind faktisch letztlich "EinwandererInnen".


Über 50 % bleiben trotz Asylverweigerung

Ein Drittel der Asylanträge, über die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zwischen Januar und November 2008 entschieden hat, mündeten in eine Anerkennung als Flüchtling (nach § 25 Absatz I und II AufenthG). In 2,6 % der entschiedenen Anträge wurden den AntragstellerInnen immerhin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz III AufenthG (humanitärer Schutz) gewährt. Ein Drittel der Anträge wurden abgelehnt - es ist jedoch damit zu rechnen, dass ein guter Teil der betroffenen Personen durch eine Klage (beim VG) doch noch die Anerkennung als Flüchtling, eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis oder zumindest eine Duldung erreichen kann. Ein weiteres Drittel der Asylanträge wurde "anderweitig erledigt" (oft als "Dublin-II-Verfahren").

Das bedeutet: über die Hälfte der AsylbewerberInnen, die ihr Verfahren in Deutschland durchführen, erhalten schließlich - nach z.T. jahrelanger Wartezeit - ein Bleiberecht.

Auch die Gruppe der aufenthaltsrechtlich Geduldeten ist zu einem Großteil dauerhaft in Deutschland oder in Schleswig-Holstein. Die Duldung ist nicht, wie ursprünglich geplant, nur eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung: das Leben mit Duldung ist zu einem Dauerzustand geworden. 60 % der zum 30.9.2008 in Deutschland lebenden 110.000 geduldeten Personen hält sich bereits seit über sechs Jahren in Deutschland auf - ohne realistische Option, in absehbarer Zeit in ihr Herkunftsland zurückzukehren oder rückgeführt werden zu können.

Der Bericht der Landesregierung zum Schleswig-Holsteinischen Integrationskonzept und zum Nationalen Integrationsplan (LT-Drucksache 16/2188) und die vollständige diesbezügliche Stellungnahme des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein stehen im Internet: www.frsh.de/behoe/intg_konzept.htm


Zwischen Kettenduldung und Altfallregelung

Die gesetzliche Altfallregelung im AufenthG bietet immerhin einem kleinen Teil der Geduldeten eine Perspektive; im November 2008 hatten bundesweit 28 721 Personen (465 Personen in Schleswig-Holstein) eine Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung erlangt - der Rest scheiterte an restriktiven Ausschlusskriterien. Mehr als zwei Drittel (81 %) erhielten zudem lediglich eine Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" (nach § 104 a und b AufenthG).

Wenn sie zum Jahresende 2009 nicht beweisen können, dass sie ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien seit der Beantragung dieser Aufenthaltserlaubnis überwiegend eigenständig sicheren konnten und auch in der Zukunft sichern werden, fallen sie in die Duldung zurück. Aufgrund der bestehenden Stichtagsabhängigkeit, der restriktiven Fristen, der drohenden Rezession und der in diesem Zusammenhang zu erwartenden angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt ist bereits absehbar, dass die Altfallregelung in ihrer jetzigen Form nur einer Minderheit einen gesicherten Aufenthalt ermöglichen wird. Ohne dringend notwendige politisch zu entscheidende Entfristung sowie Entschlackung von konterkarierenden Ausschlusskriterien würde sie ihr ursprüngliches Ziel klar verfehlen.

Die Landesregierung behauptet auf Seite 5 ihres Berichts: "Übereinstimmend sehen die Länder die größten Hemmnisse für gelingende Integration in den fehlenden Kenntnissen der deutschen Sprache, einer sozialräumlichen Segregation und Rückzug in eigenethnische Strukturen. Die Folgen sind Schwierigkeiten in der Schule, bei der Ausbildung, hohe Arbeitslosigkeit sowie ein Erstarken integrationsfeindlicher, zum Teil religiös motivierter Strukturen." Sämtliche dieser so benannten Integrationsdefizite sind mit Blick auf die Flüchtlinge allerdings Ergebnis der für bleiberechtsungesicherte Flüchtlinge geltenden Gesetzes- und Verordnungslage. In Schleswig-Holstein lebten laut Innenministerium im Juni 2008 1.116 AsylbewerberInnen und 2.179 Geduldete. Ihre Integration wird von Politik und Verwaltung bisher nicht gefördert, sondern verhindert:


Staatlich erzwungene Parallelgesellschaft

Statt ihnen von Anfang an die Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen, werden sie auf unabsehbare Zeit zentral in Aufnahmeeinrichtungen und Landesgemeinschaftsunterkünften (Trave-Kaserne in Lübeck; Scholz-Kaserne in Neumünster) untergebracht. Dort ist ein normaler Kontakt zum Rest der Bevölkerung (als NachbarInnen, als MitschülerInnen etc.) kaum möglich - so entsteht eine staatlich vorgeschriebene "Parallelgesellschaft". Allein die durchschnittliche Verweildauer in zentralen Unterkünften betrug 2007 volle 15 Monate, in einigen Fällen Jahre.

Die Überzeugung, "die deutsche Sprache ist der Schlüssel zur Integration", soll bei AsylbewerberInnen und Geduldete keine Geltung haben: sie dürfen nicht an den Integrationskursen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) teilnehmen; private Deutschkurse können sie als Leistungsempfänger des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLGes) von 40 Euro "Taschengeld" pro Monat nicht bezahlen.

Für die im Zuge dieses Jahres Resettlements nach Schleswig-Holstein aufzunehmenden irakischen Flüchtlinge ist Deutschunterricht bereits vom ersten Tag an geplant. So kann die Motivation zum Spracherwerb, die gerade in der Anfangsphase hoch ist, optimal genutzt werden. Eine sinnvolle Strategie, die u.E. auch für die anderen im Bundesland aufhältigen Flüchtlinge Anwendung finden sollte. Ähnlich wichtig wäre u.E. die Öffnung des Angebots berufsbezogener Deutschkurse ("ESF-BAMF-Kurse") auch für bleiberechtsungesicherte Flüchtlinge.


Erwerbstätigkeit fördert nachhaltige Integration

Integration in den Arbeitsmarkt bedeutet ein Leben unabhängig von staatlichen Leistungen und ist damit auch im Interesse der steuerzahlenden Gesamtbevölkerung. Erwerbstätigkeit fördert das Erlernen der deutschen Sprache, den Kontakt zu Deutschen und ermöglicht Menschen, ihre Kompetenzen und Potenziale in diese Gesellschaft einzubringen. Dennoch unterliegen AsylbewerberInnen und Geduldete im ersten Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland einem volkswirtschaftlich und integrationspolitisch unsinnigen absoluten Arbeitsverbot.

Auch danach ist den meisten AsylbewerberInnen und Geduldeten der Zugang zum Arbeitsmarkt faktisch verschlossen. Sie können zwar - jeweils für ein bestimmtes Arbeitsplatzangebot - eine Arbeitserlaubnis beantragen. Bevor über die Erlaubnis entschieden wird, wird jedoch u.a. geprüft, ob nicht eine "bevorrechtigte" Person (die über eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis verfügt) als Arbeitssuchend aktenkundig ist.

Die zwischen Ausländerbehörden, ARGEn und Arbeitsagentur (BA) bürokratie-internen Entscheidungsabläufe dauern so lange, dass der/die ArbeitgeberIn sich allzu oft gezwungen sieht, den Arbeitsplatz anderweitig zu besetzen. In der Folge ist es regelmäßig höchst motivierten und für die arbeitsmarktlichen Bedarfe gut qualifizierten Personen fast unmöglich, zur Entlastung der öffentlichen Hand erwerbstätig zu werden.


Verbesserungen der Rechtslage

Nach vier Jahren können Geduldete (nicht AsylbewerberInnen) inzwischen immerhin eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis erhalten. Bis dahin jedoch werden viele Ressourcen verschwendet: Untersuchungen zufolge befinden sich gerade unter ihnen überdurchschnittlich viele qualifizierte Arbeitskräfte. Wenn sie jedoch jahrelang nicht in ihrem Beruf tätig werden können, gehen diese Qualifikationen Schritt für Schritt verloren.

Die Sonderregelungen, die die Bundesregierung im Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz für qualifizierte Geduldete beschlossen hat, sind viel zu restriktiv gefasst. Ihre Voraussetzungen stehen in so eklatantem Widerspruch zu den Bedingungen für Geduldete in Deutschland, dass kaum Geduldete davon profitieren werden. AsylbewerberInnen wurden leider von Anfang an nicht in die Regelung einbezogen.

Zu begrüßen ist immerhin die Regelung des Arbeitsmigrationssteuerungsgesetzes, dass junge Geduldete in Zukunft nach einem Jahr ohne Vorrangprüfung die Erlaubnis erhalten können, eine Ausbildung aufzunehmen. Für sie war es in der Vergangenheit besonders hart, dass ihnen nach Abschluss der Schule die Arbeits- und Ausbildungserlaubnis verweigert wurde. Wenn ihnen jedoch vorgeworfen wird, ihren Aufenthalt in Deutschland absichtlich hinauszuzögern - die Auslegung der Abschiebungshindernisse steht im Ermessen der Ausländerbehörden - müssen sie nach Schulabschluss dennoch untätig bleiben, denn selbst für unentgeltliche Praktika verweigert die Ausländerbehörde häufig die Genehmigung.


Bedarfe an Ausbildungsförderung

Ein weiteres Problem besteht bei der Förderung von Ausbildung und Studium (BAB und Bafög). Zwar können Geduldete (für AsylbewerberInnen gilt das weiterhin nicht) dank einer Neuregelung inzwischen nach vierjährigem Aufenthalt in Deutschland eine Förderung beantragen - wenn sie nicht inzwischen durch die Wartezeit die Altersgrenze für die Ausbildungsförderung überschritten haben. Außerdem gelten BAB und Bafög nicht als lebensunterhaltssicherndes Einkommen - Flüchtlinge, die die eigenständige Sicherung ihres Lebensunterhaltes regelmäßig nachweisen müssen, damit ihre Aufenthaltserlaubnis verlängert wird, gefährden durch Aus- und Weiterbildung also ihren Aufenthaltsstatus.

Gerade weil die Qualifikationen, die Flüchtlinge nach Deutschland mitbringen, häufig hier nicht anerkannt werden, wäre es u.E. im Interesse einer vernunftorientierten Politik sinnvoll, diesen Menschen modulare Anschluss-Qualifizierungen zu ermöglichen.


"Potentiale von Migranten nicht ungenutzt lassen"

Die Bundesmigrationsbeauftragte Staatsministerin Prof. Dr. Maria Böhmer würdigt im Memorandum die Sprachkompetenzen, das kulturelle Wissen und die beruflichen Fähigkeiten der Asylsuchenden und Flüchtlinge und fordert ihre Integration in den Arbeitsmarkt: "Diese Fähigkeiten können angesichts der demographischen Entwicklung im globalen Wettbewerb und auf dem hiesigen Arbeits- und Absatzmarkt ein Schlüssel zum Erfolg sein."

In diesem Zusammenhang stellt auch die Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände in ihrer Stellungnahme im nationalen Integrationsbericht fest (S. 237): "Wir können und wollen es uns nicht länger leisten, Potenziale von Migranten ungenutzt zu lassen. Deutschland ist ein rohstoffarmes Land mit einer rückläufigen demographischen Entwicklung. Wir sind damit auf die Entfaltung aller Bildungs- und Leistungspotenziale der Menschen angewiesen - für Erfolg im internationalen Wettbewerb und für Wohlstand und soziale Sicherheit in Deutschland." Sie bezieht sich dabei ausdrücklich auch auf MigrantInnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus.


Gerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein:

Urteile und Beschlüsse für Rechtsprechungsarchiv gesucht!

Zur Unterstützung der anwaltlichen Vertretung und der Beratungsarbeit richtet der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein im Rahmen des durch den Europäischen Flüchtlingsfonds geförderten Projektes Asylpolitische Strukturverbesserungen in Schleswig-Holstein ein Rechtsprechungsarchiv auf seiner webseite www.frsh.de ein. Hier sollen insbesondere die Rechtsprechung Schleswig-Holsteinischer Gerichte zu aktuellen asyl-, aufenthalts- und sozialrechtlichen Themen dokumentiert und zur Verfügung gestellt werden.

Dafür bitten wir RechtsanwältInnen und Beratungsstellen um Zusendung von solchen für die Unterstützung von Flüchtlingen und anderen Migrantinnen und Migranten relevanten anonymisierten Gerichtsurteilen und -beschlüssen an office@frsh.de.


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FÖRDERVEREIN
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Oldenburger Str. 25, D-24143 Kiel
T. 0431-735 000, office@frsh.de


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 47 - Frühling 2009, Seite
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2009