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ASYL/588: Abschiebebeobachtung in Frankfurt am Main (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 47 - Frühling 2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

"...ungenügend mit Nahrungsmitteln versorgt..."
Abschiebungsbeobachtung in Frankfurt am Main

Von Meike Dalhoff


Der 2. Jahresbericht zur Abschiebungsbeobachtung am hessischen Flughafen Frankfurt am Main im Zeitraum 2007/2008 offenbart erschreckende Gleichgültigkeit seitens der zuständigen Ausländerbehörden in Deutschland.

Sabine Kalniock und Stella Schicke haben in Zusammenarbeit mit dem "Bistum Limburg"/Evangelischen Regionalverband Frankfurt einen umfassenden Bericht über Abschiebungen - die über den Flughafen Frankfurt ausgeführt wurden - zusammengestellt und beobachtete Fälle dargestellt.


Insgesamt sind im Jahr 2007 - bei einem Rückgang von 25 % im Vergleich zum Vorjahr - ca. 4.500 Abschiebungen über den Flughafen Frankfurt am Main ausgeführt worden. Der Rückgang ist zum Einem auf die geänderten Bleiberechtsregelungen zurückzuführen, zum Anderen auf die "Abschottungspolitik" der EU an den europäischen Außengrenzen.

Die Abschiebungsbeobachterinnen begleiteten ca. 300 dieser Abschiebungen, oft auf Anfragen von Flüchtlingsinitiativen und AnwältInnen. Insbesondere werden Abschiebungen von kranken Menschen in Begleitung, Abschiebungen von Familien und von Personen, bei denen schon mehrere vorherige Versuche gescheitert sind, beobachtet.

Während des Beobachtungszeitraumes sind immer wieder Probleme aufgetaucht, bei denen Bedürfnisse und das Wohlbefinden der Betroffenen missachtet wurden und eine Gleichgültigkeit Seitens der Ausländerbehörden erkennbar war.


Abschiebung ohne finanzielle Mittel für die Weiterreise

Vermehrt wurden gänzlich mittellose Personen abgeschoben, ohne sie mit einer minimalen Geldsumme auszustatten, um sich die Weiterreise in ihrem Heimatland finanzieren zu können bzw. für die Versorgung in den ersten Tagen. Handgelderlasse werden nur in Rheinland-Pfalz, Saarland und Nordrhein-Westfalen gewährt. Rückkehrhilfen werden aber generell - auch von der Bundespolizei - als positiv bewertet, da sie die an sich schon schwierige Situation für die Betroffenen ein wenig entschärft.

Seit einem Beschluss auf der Forumssitzung des Evangelischen Regionalverbandes im August 2007 stellt die Bundespolizei jedem mittellosen Betroffenen 15 Euro für das Überleben in den ersten Tagen zur Verfügung. Familien sollen bis zu 50 Euro erhalten. Die Mittel stammen aus einem Rückkehrhilfefonds kirchlicher Spendengelder.

Die ausgezahlten Beträge fordern die Beobachterinnen von den Ausländerbehörden zurück, die diese Rückkehrhilfen sehr unterschiedlich bewerten. Während das Regierungspräsidium Stuttgart die Idee positiv findet, ist sie vom Regierungspräsidium Chemnitz, der Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt und vom Landeskriminalamt Niedersachsen eher nicht gewünscht. Sie lehnen die Rückzahlung generell ab und sind nur bereit Geld auszuzahlen, wenn vorherige Vereinbarungen getroffen wurden oder wenn andernfalls die Abschiebung zu scheitern droht.

Nach Gesprächen mit dem hessischen Innenminister Volker Bouffier wurde seitens der Behörden in Aussicht gestellt, dass Thema - basierend auf den von den Beobachterinnen gesammelten Daten und Erfahrungen - nochmals zu überdenken.


Fehlende Nahrungsmittel und Medikamente

Ein weiteres Problemfeld ist die Versorgung mit Essen und Trinken. Oft sind die zur Ausreise Gezwungenen nicht genug mit Nahrungsmitteln durch die Transportkräfte versorgt.

Wesentlich schwerwiegender ist die Abschiebung von kranken Personen ohne die Versorgung der von ihnen benötigten Medikamente.

Der folgende Fall ereignete sich im Juni 2007 am Frankfurter Flughafen im Beisein einer Abschiebebeobachterin.

"Eine 58jährige Frau aus dem Iran wird von der zuständigen Münchner Ausländerbehörde zur Abschiebung gezwungen. Am Flughafen ist eine Verständigung mit der nur persisch sprechenden Frau dank der Abschiebungsbeobachterin möglich. Die Frau aus dem Iran wirkt sehr schwach, klagt über Kopfschmerzen und Unwohlsein. Die zuckerkranke Frau hatte sich am Morgen zuletzt Insulin gespritzt und seitdem nichts mehr zu Essen bekommen. Ein von der Bundespolizei dazugerufener Arzt veranlasst eine weitere Insulinspritzung und legt der Frau nahe, etwas zu essen.

Im Iran wird die Frau eine 15-stündige Busfahrt vor sich haben, hat aber nur noch eine Dosis Insulin. Arzt und Dienstgruppenleiter geben zu verstehen, dass es nicht mehr möglich sei, noch Insulin zu besorgen. Die Frau ist mittellos, hat keine Familienangehörigen in Teheran und medizinische Versorgung im Iran ist nur bei Vorauszahlung möglich. Niemand fühlt sich zuständig. Arzt und Sanitäter stehen der Situation gleichgültig gegenüber. Die Frau wird ohne Medikamentenversorgung in den ersten Tagen abgeschoben. Daraufhin zahlt die Abschiebebeobachterin ihr 25 Euro aus."

Häufig kommt es vor, dass ÄrztInnen Flugtauglichkeitsbescheinigungen ausstellen, ohne jegliche Untersuchung der betroffenen Person und ohne näheres Gespräch.

Ein umstrittener Arzt aus Bonn stellt immer wieder Flugtauglichkeitsbescheinigungen aus, ohne korrekte Untersuchung der PatientInnen, obwohl viele krank waren. Bereits in der Frankfurter Rundschau vom 14.4.2008 erklärte ein Vertreter der Ärztekammer NRW, "dass es über keinen anderen Mediziner in Deutschland so viele Beschwerden gäbe". Laut der Sendung Westpol im WDR vom 30.3.2008 soll er den Behörden ganz konkret seine Dienste angeboten haben. Er stellte in Aussicht, dass er "Fälle schneller zum Abschluss" bringe.


Trennung von Familien

In der Praxis kam es wiederholt zu Trennungen von Familien. Transportkräfte brachten nur Teile von Familien zum Flughafen, wenn einzelne Familienmitglieder bei der Abholung nicht zu Hause oder aus gesundheitlichen Gründen nicht reisefähig waren. Im September 2007 wurde bei einer Sammelabschiebung nach Vietnam ein Vater allein mit seiner 18 Monate alten Tochter abgeschoben, weil die Mutter bei der Abholung nicht zu Hause war.

Auch Abschiebungen nach langjährigen Aufenthalten oder nach Geburt in Deutschland sind auf der Tagesordnung.

Eine 19jährige in Deutschland geborene Frau und ihr 2jähriger Sohn wurden nach Montenegro abgeschoben, obwohl die Frau keinerlei Bezug zu diesem Land hat, sie zur Zeit der Abschiebung schwanger ist und ihr Lebenspartner in Deutschland lebt.


Abschiebestopp in den Nordirak

Grundsätzliche gab es während des Beobachtungszeitraums einen Abschiebestopp in den Nordirak. Dennoch sollen laut Innenministerkonferenz vom 19.11.2006 Personen abgeschoben werden, die wegen einer Straftat zu mindestens 50 Tagessätze in Deutschland verurteilt wurden und über soziale Bindungen in eine der drei nordirakischen Provinzen verfügen.

Mehrere Verwaltungsgerichtsentscheidungen zu Afghanistan führen aus, dass es bereits für Einzelpersonen ohne Familienbindung nicht möglich sei, ihren Lebensunterhalt dort zu verdienen oder Unterkunft zu finden. Durch die schlechten hygienischen Verhältnisse bestände zudem die Gefahr, lebensbedrohlich zu erkranken. Trotzdem wurden Menschen in Krisengebiete abgeschoben.

Deutschlandweit existieren Abschiebungsbeobachtungen in Düsseldorf und Frankfurt. Auf europäischer Ebene gibt es diese auch in Luxemburg.

In Zukunft werden die kirchlichen Dienste in Frankfurt auch ein Verfahren für Beobachtungen von Zurückschiebungen und Zurückweisungen aus Flüchtlingsunterkünften entwickeln.


Meike Dalhoff ist Studentin an der Fachhoschule Kiel.


Abschiebungsmonitoring

Die Nordelbische Kirche wird ab April mit einem Abschiebungsmonitoring am Hamburger Flughafen starten. Dazu ist ein Forum (eine Art Runder Tisch) erforderlich, der wie in Frankfurt a.M. NGOs und staatliche Akteure an einen Tisch bringen soll und auf menschenrechtliche Standards achten soll.

In Frankfurt und Düsseldorf gibt es bereits solche Monitoringstellen. Hamburg folgt nun, Berlin und München sind im Gespräch. Mit den verabschiedeten europäischen Rückkehrrichtlinien sind solche Mechanismen vorgesehen. In Luxemburg besteht eine Abschiebungsbeobachtung durch das Rote Kreuz. Trotz zurückgehender Abschiebungszahlen ist es gut, einen Beobachtungsposten auf dem Flughafen zu haben, der bei Rückschiebungen und Abschiebungen alles dokumentiert.

Für die Abzuschiebenden ist es wichtig, noch einmal eine neutrale Person sprechen zu können und eventuell Hinweise geben zu können. Für die Arbeit von kirchlichen Organisationen und NGOs ist es wichtig, Informationen über das weitere Ergehen der Abgeschobenen im Herkunftsland zu gewinnen. Zudem werden menschenrechtliche Standards nur durch außenstehende BeobachterInnen ausgebaut und sichergestellt. Dies wird auch in Europa so gesehen.

Fanny Dethloff ist Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche und lebt in Hamburg.


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 47 - Frühling 2009, Seite
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
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Tel.: 0431/73 50 00, Fax: 0431/73 60 77
E-Mail: office@frsh.de
Internet: www.frsh.de
Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm

Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V.
Für Vereinsmitglieder ist Der Schlepper kostenlos.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2009