Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

ASYL/790: Kanada - Jüdische Gemeinde gespalten, Lobbygruppe fordert Begrenzung von Flüchtlingszuzug (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Februar 2013

Kanada: Jüdische Gemeinde gespalten - Neue Lobbygruppe fordert Begrenzung von Flüchtlingszuzug

von Paul Weinberg



Toronto, 6. Februar (IPS) - Der größten pro-israelischen Lobbyorganisation in Kanada wird vorgeworfen, sich gegen die traditionell liberale Haltung der jüdischen Gemeinde des Landes mit etwa 380.000 Mitgliedern zu stellen. Denn das vor erst zwei Jahren gegründete Zentrum für israelische und jüdische Angelegenheiten (CIJA) verteidigt den restriktiven Umgang des nordamerikanischen Landes mit Flüchtlingen.

"CIJA ist eine Katastrophe für die jüdische Gemeinde. Das wird nun langsam deutlich", meint der in Toronto lebende jüdische Arzt Philip Berger. Das Zentrum stellt sich gegen die traditionellen Sympathien, die die jüdische Gemeinde in Kanada bisher Menschen entgegenbrachte, die vor Unterdrückung aus ihren Heimatländern geflohen sind.

Unter den nach Nordamerika kommenden Flüchtlingen waren auch Juden, die in den dreißiger und vierziger Jahren Nazi-Deutschland verließen. Der damalige Premierminister William Lyon Mackenzie King gewährte nach dem Grundsatz 'Keiner ist zuviel' den von den Nazis Verfolgten in seinem Land Zuflucht.


Zweifelhafte Sonderbefugnisse für Einwanderungsminister

Das umstrittene Gesetz C-31 hat bei Menschenrechtsgruppen wie 'Amnesty International', der 'Canadian Association of Refugee Lawyers' und dem 'Canadian Council for Refugees' Proteste hervorgerufen. Es bevollmächtigt den Einwanderungsminister Jason Kennedy dazu, Herkunftsländer von Asylsuchenden als 'sicher' und 'demokratisch' einzustufen, um angeblich 'falsche' von 'echten' Flüchtlingen zu unterscheiden.

Dass Kanada Ungarn zu den 'sicheren' Ländern zählt, obwohl bekannt ist, dass die Regierung in Budapest die Roma-Minderheit nicht vor Diskriminierungen und tätlichen Angriffen schützt, hat in einigen jüdischen Organisationen für Aufregung gesorgt. Unmut regte sich etwa beim 'Toronto Board of Rabbis' und beim 'Montreal Holocaust Memorial Centre'.

Steve McDonald vom CIJA zufolge hat das Gesetz C-31 hingegen "signifikante Verbesserungen" mit sich gebracht, was den Schutz und die Sicherheit von Kanadiern angehe. Zudem schrecke es Menschenhändler ab und gestatte dem kanadischen Staat, nicht anerkannte Flüchtlinge rasch in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken. Das Zentrum weigert sich, die Forderung zu unterstützen, Ungarn von der Liste der sicheren Staaten zu entfernen.

Wohl hat CIJA die kanadische Regierung aufgefordert, ihre Entscheidung zu überdenken, die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen aus 'sicheren' Staaten einzuschränken. Berger geht der Appell allerdings nicht weit genug. "CIJA sollte bei diesem Thema an vorderster Front stehen", meinte er. "Das Zentrum weiß ganz genau, was vor sich geht. Die Nähe zur konservativen Regierung hat es um seine Unabhängigkeit gebracht, die es braucht, um die Interessen und Ansichten der jüdischen Gemeinde zu vertreten."

Das Zentrum wurde gegründet, als die erst von den Liberalen und nun von den Konservativen bestimmte kanadische Außenpolitik sich stärker auf die Seite Israels stellte, statt eine gleichermaßen ausgewogene Position im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern einzunehmen, wie der Politologe Reg Whitaker erklärte.

"Der unkritische Schulterschluss der Regierung von Stephen Harper mit der israelischen Rechten hat offensichtlich in Kanada ein günstigeres Klima für eine aggressivere Lobbyarbeit im Stil von AIPAC geschaffen", meinte Whitaker in Anspielung auf die 'American Israel Public Affairs Committee' in den USA. Whitaker zufolge ging es den mächtigen Gebern, die den traditionsreichen 'Canadian Jewish Congress' und andere jüdische Organisationen zum CIJA zusammengeführt haben, um die Gründung einer kanadischen AIPAC-Version.


Kritik an Israel gilt automatisch als anti-jüdisch

"Die Folge dieser Übernahme ist, dass die einst vielfältigen Institutionen und Gruppen, die die weit gespannten und unterschiedlichen Interessen der jüdischen Gemeinde vertreten hatten, einer aggressiven Dachorganisation im Stil von AIPAC untergeordnet wurden", kritisierte er. Jüdische Interessen würden auf diese Weise mit den Interessen der israelischen Rechten gleichgesetzt. Die Kehrseite bestehe darin, dass jegliche Kritik an der Regierung Israels automatisch als 'antisemitisch' gebrandmarkt werde.

Mira Sucharov, Politikprofessorin an der Carleton-Universität, kritisierte CIJA für Versuche, den US-Autor Peter Beinart daran zu hindern, an zwei Hochschulen in Ottawa und Montreal zu jüdischen Studenten von der Organisation 'Hillel' zu sprechen. Beinart hatte zu der Zeit eine Kampagne vorangetrieben, die den Boykott von Waren unterstützt, die in jüdischen Siedlungen auf Palästinenserland hergestellt werden.

Sucharov, die ähnliche Maßnahmen wie Beinart fordert, wurde ebenfalls ein Maulkorb angelegt. "Durch meine jährliche Spende an meine örtliche jüdische Vereinigung unterstütze ich sowohl CIJA als auch Hillel, die mich und andere mundtot machen wollen", sagte sie.

CIJA argumentiert, dass der Boykott von Produkten aus den jüdischen Siedlungen dem Staat Israel seine Legitimation entzieht. "Ein Boykott von Juden, wo immer sie auch leben, ist keine Diskussionstaktik, sondern ein Konfliktinstrument", erklärte CIJA-Chef Shimon Vogel. "Jemand, der jüdische Kameraden herausgreift, um sie an den Pranger zu stellen, verstößt gegen ein Grundprinzip der Vorstellung von einem Volk."

Bernie Faber, der vor der Fusion mit CIJA dem früheren 'Canadian Jewish Congress' vorstand, hält sich mit Kritik an der neuen Organisation zurück. CIJA habe mehrfach die Roma verteidigt, erklärte er. "Einigen gingen die Äußerungen nicht weit genug, andere meinten, man habe gar nichts sagen sollen. Das ist typisch in einer jüdischen Gemeinde, in der es immer unterschiedliche Meinungen gibt."

Um potenzielle Asylsuchende abzuschrecken, finanziert die kanadische Regierung unterdessen Hinweisschilder in der ungarischen Stadt Miskolc, in der viele Roma leben. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.cija.ca/
http://www.mhmc.ca/en
http://www.aipac.org/
http://www.ipsnews.net/2013/02/canadas-israel-lobby-criticised-on- refugees/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. Februar 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2013