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ASYL/961: Pakistan - Vorbild im Umgang mit Flüchtlingen, Schelte für internationale Gemeinschaft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. August 2015

Pakistan: Vorbild im Umgang mit Flüchtlingen - Schelte für internationale Gemeinschaft

von Thalif Deen



Bild: © Eskinder Debebe/UN

Flüchtlingsfrauen und -kinder im Dezember 2001 im Shamshatoo-Flüchtlingslager im Nordwesten Pakistans in Erwartung des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan
Bild: © Eskinder Debebe/UN

NEW YORK (IPS) - Die Vereinten Nationen haben 2015 zum "tödlichsten Jahr" für die Millionen von Migranten und Asylsuchenden erklärt. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass Pakistan zu den ersten Ländern der Welt zählte, die Millionen Flüchtlingen einen sicheren Hafen boten.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) leben in Pakistan 1,5 Millionen anerkannte afghanische Flüchtlinge. Sie bilden die größte Flüchtlingsgruppe, die am längsten in einem Drittland verweilen durfte - seit Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan in den 1980er Jahren.

Derzeit beherbergt die Türkei mit 1,7 Millionen Menschen, mehrheitlich Syrern, die meisten Flüchtlinge. Pakistan belegt Platz zwei und Jordanien mit mehr als 800.000 Flüchtlingen den dritten Platz. 86 Prozent aller aus ihren Heimatländern vertriebenen Menschen halten sich somit in Entwicklungsländern auf. Vor zehn Jahren waren es nur zehn Prozent gewesen.

Wie die pakistanische Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Maleeha Lodhi, gegenüber IPS berichtete, hatte ihr Land auf dem Höhepunkt der afghanischen Flüchtlingskrise im Jahr 1990 sogar drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Diese Zahl wurde durch einen Zensus von 2005 bestätigt, demzufolge sich die Hälfte der Flüchtlinge registrieren ließ, während sich die andere Hälfte illegal im Land aufhielt.


Verantwortungsbewusstsein

Laut Lodhi, einer ehemaligen Hochkommissarin ihres Landes in Großbritannien und einstigen Botschafterin Pakistans in den USA, hatten die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft Pakistan geholfen, die afghanischen Flüchtlinge zu versorgen. "Doch den überwiegenden Teil der Bemühungen haben wir mit unseren eigenen bescheidenen Mitteln gestemmt, weil wir uns für unsere Brüder und Schwestern aus Afghanistan verantwortlich fühlen."

Der ehemaligen Journalistin zufolge, die Ende Juli an einer Podiumsdiskussion der Vereinten Nationen in New York zum Thema Flüchtlinge und Migranten teilnahm, hat sich das pakistanische Volk im Umgang mit den afghanischen Flüchtlingen über drei Jahrzehnte hinweg vorbildlich verhalten und Großzügigkeit und Mitgefühl unter Beweis gestellt.

Doch in Europa gebe es Länder, die versuchten, die Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge zu begrenzen oder gar zu verhindern, hatte der UN-Migrationsbeauftragte Peter Sutherland unlängst erklärt. Migranten und Flüchtlinge aus Syrien, Libyen, Eritrea, Somalia, dem Sudan und Afghanistan an der Einreise zu hindern, sei eine "fremdenfeindliche Reaktion auf das Recht zur Bewegungsfreiheit".

UN-Zahlen belegen, dass der 28-Staaten-Block EU im letzten Jahr 570.800 Asylanträge erhalten habe. Gegenüber dem Vorjahr war dies ein Zuwachs von fast 44 Prozent. Einen kritischen Punkt hat die Flüchtlingskrise im Hafen von Calais erreicht, wo seit Wochen tausende Menschen versuchen, als blinde Passagiere auf Lkws durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu gelangen.

"Die Briten beschuldigen die Franzosen, die Franzosen beschuldigen die Briten und beide beschuldigen die Europäische Union einer inkohärenten Politik gegenüber den Tausenden von Menschen, von denen viele versuchen, dem politischen Horror in ihren Heimatländern zu entkommen, in Europa Arbeit zu finden und sich und ihren Familien eine bessere Zukunft zu ermöglichen", heißt es in einem Beitrag der 'New York Times'.

Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann hatte Ende Juli erklärt, dass Schutz vor Verfolgung ein Menschenrecht sei, zu dessen Einhaltung auch sein Land rechtlich und moralisch verpflichtet sei. Das 8,5 Millionen Einwohner zählende Österreich hat in der ersten Hälfte des Jahres 28.000 Asylanträge erhalten. Das waren bereits mehr als im Gesamtjahr 2014.

Nach bisherigen Erkenntnissen sind 2014 bis zu 3.072 Migranten im Mittelmeer ertrunken. Im Jahr davor waren es nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 700 gewesen. Weltweit sind im vergangenen Jahr mindestens 4.077 Migranten umgekommen. Seit 2000 starben mindestens 40.000. "Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein", betonte die IOM. "Viele Menschen sterben in entlegenen Weltregionen, ohne dass dies je zur Kenntnis genommen wird. Einige Experten gehen davon aus, dass auf jedes Todesopfer zwei weitere kommen, die niemals gefunden werden."


Großherzigkeit und Mitgefühl gefragt

Auf die Frage, was für Lehren diese vielen Todesfälle bereithielten, erklärte Botschafterin Lodhi, dass die Menschen sich wieder auf Werte wie Mitgefühl, Empathie und kollektive humanitäre Verantwortung besinnen müssten. Die derzeitigen Herausforderungen verlangten zudem Großherzigkeit und die Bereitschaft, Menschen beizuspringen, die vor Kriegen, Armut und Verfolgung auf der Flucht seien. Es müssten dringend Entscheidungen getroffen und kommuniziert werden, die diese Werte widerspiegelten. Außerdem müssten die Ursachen der Vertreibungen angegangen werden.

Auf der Podiumsdiskussion in New York hieß es, dass die jüngsten und fortgesetzten Vertreibungen in allen Teilen der Welt mit dem Verlust von zahlreichen Menschenleben einhergingen. Tausende Männer, Frauen und Kinder endeten im Massengrab Mittelmeer, während in Ostasien Rohingya-Muslime, die ebenfalls in Booten vor Verfolgung, Verhaftung und tödlicher Gewalt fliehen würden, untergingen.

"Und wie geht die internationale Gemeinschaft mit diesen Flüchtlingskrisen um? Indem sie zu wenig tun und es an Entschlossenheit in dieser humanitären Notsituation missen lässt", fasste Lodhi zusammen. Die internationale Gemeinschaft habe das große menschliche Leid in der Vergangenheit schändlich ignoriert. Man fühle sich an die Tatenlosigkeit gegenüber dem Völkermord in Ruanda und den Massakern in Srebrenica erinnert. Und die derzeitigen Flüchtlingskrisen könnten zu neuerlichen Schandmalen werden. (Ende/IPS/kb/05.08.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/08/pakistan-one-of-the-worlds-first-safe-havens-for-refugees/

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IPS-Tagesdienst vom 5. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2015

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