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DISKURS/082: Wie Integration über Kontakte und Beziehungen ermöglicht wird (spw)


spw - Ausgabe 4/2009 - Heft 172
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Vorstellungen von "den Anderen" und gelebte Realitäten:
Wie Integration über Kontakte und Beziehungen (erst) ermöglicht wird

Von Baris Ceyhan


Die Frage nach Integrationsrezepten wird seit langem kontrovers diskutiert. Die Ermöglichung von Teilhabe und das Erweisen von Loyalität sind nur zwei Enden des aktuellen Diskurses. In diesem Artikel wird nach einer Annäherung an die Begriffe Segregation und Integration anhand einer Studie von Böltken nachgezeichnet, wie Kontakt im Wohnbereich die Integrationsbereitschaft von Deutschen und AusländerInnen beeinflusst.


Segregation und Integration

Segregation und Integration werden in diesem Artikel als gegensätzliche Konzepte - bezüglich der bevorzugten Wohnsituation von Deutschen und AusländerInnen - verwendet, obschon sie nicht die begrifflichen Gegensatzpaare bilden. Das Gegenteil von Segregation wäre eine den Segregationsindizes entsprechend mit Null gemessenes Gebiet. Ein Tatbestand, der vermutlich nur rechnerisch möglich ist. Das Gegenteil von Integration ist Desintegration. Peuckert und Scherr erläutern Niklas Luhmanns Forderung, das Begriffspaar Integration/Desintegration mit dem Begriffspaar Inklusion/Exklusion zu ersetzen, da die vollkommene und gleichzeitige Integration von Individuen in die in immer differenziertere Teilbereiche zerfallende Gesellschaft nicht möglich sei. (Vgl. Peuckert, Scherr 2006 S. 116).

Der wichtigen Frage, ob und wie sowohl Deutsche als auch AusländerInnen ihre Integration oder Inklusion in für sie wichtige "Teilsysteme" empfinden und was diese für ihre Integration in die Mehrheitsgesellschaft (wenn denn von dieser gesprochen werden kann) bedeutet, kann in dieser Arbeit nicht nachgegangen werden. Die Benachteiligungen und demnach Inklusionen und Exklusionen von deutschen und türkischen BewohnerInnen in einem benachteiligten Kölner Stadtteil haben Blasius, Friedrichs und Klöckner untersucht. (Blasius, Friedrichs, Klöckner 2009) Ein Ergebnis dieser Untersuchung ist, dass die türkischen BewohnerInnen des untersuchten Gebiets "[...] offenbar Krisensituationen besser bewältigen konnten", weil sie in andere Teilsysteme eingebunden sind, als die "doppelt benachteiligten" Deutschen im selben Stadtteil, die nicht über Zugang zu denselben Teilsystemen verfügen. (Blasius, Friedrichs, Klöckner 2009)


Was ist Segregation?

Segregation beschreibt die räumliche Abbildung von sozialer Ungleichheit in einer Gesellschaft. (Hamm 2006 S. 251) Ob Segregation 'auf eigenen Wunsch' der segregierten Gruppe hin geschieht, ist nicht abschließend zu klären. Fest steht jedoch, dass sich vermehrt die höheren und niedrigeren Schichten einer Gesellschaft segregieren. Hier ist sicher die Annahme geboten, dass es sich im Falle der höheren Einkommens- und Bildungsschichten, also den privilegierteren Mitgliedern der Gesellschaft um eine durchaus "gewählte" Segregation handelt, 'man bleibt unter sich'. Dies erfolgt - wie später auch noch deutlich wird - auch bei AusländerInnen. Wenn AusländerInnen segregiert in Stadtteilen leben, gehören sie selten zu den privilegierteren Mitgliedern der Gesellschaft. Gerade diese benachteiligteren Gruppen wünschen sich vermehrt das Zusammenleben mit Deutschen, somit also eine Abnahme der Segregation. Dies wiederum wirft die Frage nach der Wählbarkeit der eigenen Wohnsituation auf. Hamm stellt fest, dass Wohnungssuchende durch gesellschaftsspezifische Mechanismen wie Preis, amtliche Zuteilungen etc. Stadtteilen und Häusern zugeordnet werden, die ihrem Status in der Gesellschaft entsprechen. (Hamm 2006 S. 151-152)

Die Segregation wird ambivalent bewertet: positiv, weil sie den kleineren Subsystemen eine leichtere interne Integration ermöglicht und Schutzräume für die Mitglieder der segregierten Gruppe bieten. Sie ermöglicht den Individuen notwendige Verhaltenssicherheiten und Stabilitäten in pluralistischen Gesellschaften. Dem entgegen steht die Forderung, dass demokratische Gesellschaften Absonderungen dieser Art verhindern müssen, da sie bereits bestehende soziale Ungleichheiten zementieren und Empathie und Toleranz erschweren. (Hamm 2006 S. 152) Die Empirie belegt, dass Segregation nicht per se problematisch empfunden wird, dies sich jedoch ändert, sobald mit der Segregation eine Ungleichverteilung von Lebenschancen und Privilegien einhergeht. (Hamm 2006 S. 152) Dann entwickelt sich die Segregation sowohl zu einem Mechanismus des Ausschlusses und der Diskriminierung als auch zu einer aggressiven und gewaltsamen Praxis der Absonderung von innen und außen. (Vgl. Hamm 2006 S. 152) Im Gegensatz dazu "[...] überwiegt die Wahrnehmung von Segregation im Sinn von kultureller Vielfalt, Bereicherung und Toleranz", (Hamm 2006 S. 152) wenn die "Verteilung von Lebenschancen und gesellschaftlichen Privilegien als überwiegend gleich empfunden wird. Problematisiert wird Segregation in der Selbst- und Fremdwahrnehmung demnach erst, wenn sie einhergeht mit spürbaren Nachteilen für die segregierte oder mit als stark wahrgenommenen Vorteilen für die sich segregierende Gruppe. Das bestätigt laut Hamm auch die empirische Erfahrung, wonach "die gesellschaftlichen Statusgruppen am unteren und am oberen Ende der Rangskala deutlich stärker segregiert leben als die 'in der Mitte'." (Hamm 2006 S. 252)


Was ist Integration?

Die Definition von Integration ist schwierig, vielfältig und in den politischen und gesellschaftlichen Debatten der letzten dreißig Jahre kontrovers gebraucht worden. Friedrichs und Jagodzinski weisen in "Theorien sozialer Integration" auf die Doppelbedeutung des Begriffs hin:

"Zum einen spricht man davon, dass ein Element, ein Subsystem oder ein Teil in ein System, ein Kollektiv oder ein größeres Ganzes integriert ist, es wird also eine Relation zwischen dem Teil und dem Ganzen behauptet. Zum anderen schreibt man einem System selbst eine mehr oder minder hohe Integration zu [...]."
(Friedrichs, Jagodzinski 1999 S. 11)

Friedrichs und Jagodzinski formulieren die Schwierigkeiten, die aus diesen Definitionen erwachsen: zum einen die Ansiedlung der Systeme auf unterschiedlichen (Mikro-, Meso-, Makro-) Ebenen und zum anderen, dass es sich bei dem in das System integrierte Element nicht selten selbst um ein komplexes Kollektiv oder (Sub)System handelt.

In diesem Artikel folgt der Gebrauch der Begriffe Segregation und Integration Böltkens Interpretation der Antworten auf die Befragung als Zustimmung bzw. Ablehnung der Konzepte Integration und Segregation im Wohnbereich.


Böltkens Studie

Böltken konstatiert zu Anfang seiner Studie, dass die AusländerInnen besonders in den alten Bundesländern der Bundesrepublik einen festen Bestandteil der Gesellschaft bilden und größtenteils kaum mehr als solche zu bezeichnen sind. Aufgrund ihrer Lebenspraxis und Perspektive sieht er sie vielmehr als 'InländerInnen ohne deutschen Pass'. Außerdem stellt sich ihm nicht die Frage nach der Möglichkeit der Integration sondern nach Wegen und Formen dieser. (Vgl. Böltken 1994 S. 335)

Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass im Jahr 1996 die meisten AusländerInnen im Stadtstaat Hamburg lebten, gefolgt von Hessen und Berlin. In den Ostdeutschen Bundesländern lebten bis auf Brandenburg mit knapp über zwei Prozent immer unter zwei Prozent AusländerInnen.


Tabelle 1: Ausländische Bevölkerung in den Bundesländern, 30.12.1996


Gesamtbevölkerung
in 1.000         
Ausländisch
in 1.000   
Bevölkerung, relat.
Anteil in Prozent
Baden-Württemberg
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
Mecklenburg-Vorpommern
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
Deutschland Gesamt
10.375          
12.044          
3.459          
2.554          
678          
1.708          
6.027          
1.817          
7.815          
17.948          
4.001          
1.084          
4.546          
2.724          
2.742          
2.491          
82.012          
1.291     
1.109     
469     
62     
82     
288     
833     
26     
480     
1.993     
299     
80     
85     
49     
140     
29     
7.314     
12,4              
9,2              
13,5              
2,4              
12,0              
16,9              
13,8              
1,4              
6,1              
11,1              
7,5              
7,4              
1,9              
1,8              
5,1              
1,2              
8,9              

Quelle: Statistisches Bundesamt, (Münz 2000 S. 40)


Böltken untersucht in seiner Studie "Angleichung und Ungleichheit. Einstellungen zur Integration von AusländerInnen in Ost- und Westdeutschland drei Jahre nach der deutschen Einheit" (1996) die Integrationsbereitschaft der west- und ostdeutschen Bevölkerung. Seine Daten beruhen auf den Ergebnissen der Umfragen der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR) von 1987-1993. Die BfLR-Umfragen dienen dem Versuch, die alltäglichen Lebensbedingungen der Bürger und Bürgerinnen, ihre Wahrnehmungen von Defiziten, ihren Vor- und Einstellungen zu erheben. Die Vorstellungen zum Nachbarschaftsverhältnis von Deutschen und AusländerInnen werden hier neben den Wohn-, Umwelt- und Arbeitsbedingungen mit einigen Fragen erfasst. (Böltken 1994 S. 335) Im Zentrum von Böltkens Studie stehen die Fragen, die nach den bevorzugten Formen des Zusammenlebens mit/ ohne AusländerInnen der Befragten abzielen. Die Fragen lauteten wie folgt:

"Ist es ihrer Meinung nach gut, wenn in einer Nachbarschaft AusländerInnen und Deutsche zusammenleben; ist es besser, wenn in einer Nachbarschaft die Deutschen und auch die AusländerInnen für sich getrennt leben, oder ist es Ihnen egal?"
(Böltken 1994 S. 335)

Interpretiert wurden die gegebenen Antworten als Plädoyer für das Modell Integration, bei der Aussage, "Es ist gut, wenn AusländerInnen und Deutsche zusammenleben"; als Zustimmung zum Modell Segregation bei der Antwort, "Es ist besser, wenn Deutsche und AusländerInnen getrennt für sich leben" und als Indifferenz bei Wahl der Aussage 'Ist mir egal'. (Böltken 1994 S. 335) Die Entwicklung von starkem Zuwachs der Integrationsbereitschaft von Deutschen in West- (60 Prozent für Integration, Zunahme um 21 Prozentpunkte zum Vorjahr) und Ostdeutschland (32 Prozent für Integration, Zunahme von 9 Prozentpunkten zum Vorjahr) im Herbst 1993 deutet Böltken als Betroffenheit über die Zunahme rechtsextremer und ausländerfeindlicher Anschläge; den "Höhepunkt" bildete am 29.05.93 der Brandanschlag in Solingen, bei dem fünf Personen starben. Auch die Zustimmung derjenigen Befragten, in deren Wohngebiet keine AusländerInnen lebten, stieg im Herbst 1993 im Vergleich zum Vorjahr erheblich. Böltken führt diese Antworten auf die internationalen Anklagen und Proteste gegen die rechte Gewalt und eine als wünschenswert geltende Haltung.

Ein großer Unterschied ist und bleibt die Differenz zwischen Ost- und Westdeutschland, was die Integrationsbereitschaft angeht. Böltken nennt als mögliche Ursachen hierfür, dass AusländerInnen im Westen für die meisten Menschen zur Alltagsrealität gehören, auch wenn sie in ihren Wohngebieten wenig sichtbar sind. Sie sind eher geneigt, einen Angriff auf AusländerInnen unmittelbar als einen Angriff auf ihr Gesellschaftssystem zu sehen. (Böltken 1994 S. 340) Die zeitliche und vom politischen und gesellschaftlichen Kontext abhängig analysierten Entwicklungen der Zustimmung zu den Konzepten Integration und Segregation soll nicht weiterverfolgt werden, sondern wieder auf den Zusammenhang zwischen gelebter Erfahrung und der dazu in Beziehung gesetzten bevorzugten Wohnsituation von Deutschen und AusländerInnen in West- und Ostdeutschland abgehoben werden.


Die Einstellungen von AusländerInnen zu Deutschen

Die Einstellung von AusländerInnen wurde mit denselben Fragen und Antwortmöglichkeiten erhoben. Für die Gruppe der AusländerInnen wurden keine getrennten Erhebungen für Ost- und Westdeutschland durchgeführt, die Daten für die Einstellung der AusländerInnen wurden für die gesamte Bundesrepublik erhoben. Außerdem handelt es sich bei den erhobenen Daten der AusländerInnen nur um die fünf Gruppen der Spanier, Italiener, Jugoslawen, Griechen und Türken. Ein Großteil der AusländerInnen, die ein nachbarschaftliches Verhältnis zu Deutschen haben, bewertet dieses als sehr gut bis normal und nur wenige berichten von Reibereien, wobei diese Zahl von 1991 bis 1993 kontinuierlich steigt. In den Jahren von 1991-1993 hat sich das Nachbarschaftsverhältnis von AusländerInnen und Deutschen nicht nachhaltig verschlechtert, obschon von 1991 zu 1992 eine Verschlechterung zu erkennen ist, die Aussage 'sehr gut' nahm ab, ein 'normales' und ein 'mit Reibereien' verbundenes Verhältnis nahm zu. (Vgl. Tabelle 2) Die Daten für die AusländerInnen stammen hierbei allerdings aus dem Frühjahr 1993, der Brandanschlag in Solingen war zu dem Zeitpunkt noch nicht erfolgt.


Tabelle 4: Das Nachbarschaftsverhältnis von AusländerInnen und Deutschen
aus Sicht der AusländerInnen



Angaben in
Prozent


Spanier
Italiener
Jugoslawen
Griechen
Türken
insgesamt(*)
1991             
Nachbarschafts-
verhältnis

sehr  nor-  Reibe-
gut   mal   reien 
36    53     3   
34    47     8   
30    52     9   
26    51    11   
15    55    12   
24    53    10   
1992             
Nachbarschafts-
verhältnis

sehr  nor-  Reibe-
gut   mal   reien 
33    55     7   
28    57    10   
26    56    12   
26    56    12   
18    54    15   
23    55    13   
1993             
Nachbarschafts-
verhältnis

sehr  nor-  Reibe-
gut   mal   reien 
34    58     6   
28    56     9   
21    64     8   
35    50     9   
19    57    13   
23    57    11   

(*) gewichtet nach der Größe der jeweiligen Gruppe jeder Bundesrepublik
n = jeweils ca. 400 Befragte je Nationalität und Zeitpunkt
Quelle VfLR-Befragte an der MARPLAN-AusländerInnenstudie (West), (Böltken 1994 S. 357)


Kontakte und Beziehungen erhöhen die Bereitschaft zu Integration

Die Fragestellung, ob Kontakte und Beziehungen die Bereitschaft zu Integration prägen und beeinflussen, kann mit den oben angeführten Daten aus Böltkens Studie definitiv mit ja beantwortet werden. Zum einen ist die Bereitschaft in Westdeutschland, wo seit je her mehr AusländerInnen leben, dem Konzept Integration zuzustimmen höher als in Ostdeutschland, wo in fast allen Bundesländern (bis auf Brandenburg mit 2,4 Prozent) in allen anderen ostdeutschen Ländern weniger als 2 Prozent AusländerInnen leben. Nur der seit langem gewachsene Kontakt zwischen Deutschen und AusländerInnen in Westdeutschland trägt bereits zu einer höheren Integrationsbereitschaft der Westdeutschen bei. Hiermit kann abschließend gesagt werden, dass offensichtlich die Bereitschaft zur Integration nicht mit dem Steigen der Anzahl der AusländerInnen abnimmt, sondern im Gegenteil, je länger, intensiver und konstanter die Kontakte zwischen Deutschen und AusländerInnen sind, desto größer ist die Bereitschaft beider Seiten zur Integration. Des Weiteren folgert Böltken, dass je mehr Partizipation an gesellschaftlichen Strukturen und Entscheidungen den AusländerInnen gewährt und ermöglicht werde, desto eher könne auch erwartet werden, dass sich dieses auf die Integration im Wohnquartier und der Nachbarschaft auswirke. (Böltken 1994 S. 361)


Begriffskritik

Problematisch erscheinen die von Böltken verwendete Bezeichnungen "AusländerInnen" und "Probleme zwischen AusländerInnen und Deutschen". Obschon in diesem Artikel der gleiche Begriff verwendet wurde, soll an dieser Stelle eine Kritik erfolgen. Die Differenzierung zwischen Deutschen und AusländerInnen erscheint spätestens seit der Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland problematisch. Die Begriffe sind darüber hinaus bereits wertend und ausschließend - also desintegrierend - oder exkludierend. Auch wenn Böltken sich dieser Tatsache bewusst zu sein scheint, da er an einigen Stellen von "Inländern ohne deutschen Paß" (Böltken 1994 S. 335) spricht, bezeichnet er sie durchgehend als AusländerInnen. Dies erscheint paradox zu den drei Forderungen, die er am Ende seiner Studie stellt: 1. Die Notwendigkeit, Fremdheit als "normales Problem" anzuerkennen, da sie zum normalen Erscheinungsbild einer modernen Gesellschaft gehört. 2. Eine damit einhergehende Gelassenheit wäre wünschenswert, da, wie die Daten belegen, durch mehr Bekanntschaft auch eine größere Zustimmung zur Integration erreicht wird. Und 3. Dass die politischen Entscheidungsträger dafür Sorge zu tragen haben, den AusländerInnen die Teilhabe am bundesrepublikanischen Alltag in Form der Einräumung des Kommunalwahlrechts etc. zu ermöglichen. Abschließend muss noch dargelegt werden, dass bereits durch die Verwendung von bestimmten Begrifflichkeiten Realitäten konstruiert und Zuschreibungen an das Gegenüber gemacht werden. Mir erscheinen die Begriffe "Menschen mit Migrationshintergrund" oder verwandte Bezeichnungen auch nur bedingt geeignet, da auch sie die Identitäten der bezeichneten Menschen nicht erfassen. Einen besseren Begriff bleibe auch ich dem Leser schuldig.


Integration durch Partizipation

Je besser die Erfahrungen sind, die man mit einer als mehr oder weniger geschlossen wahrgenommenen Gruppe gemacht hat, desto eher ist man bereit, sich wieder und weiterhin auf Kontakte und Beziehungen mit dieser Gruppe einzulassen. Und desto eher scheinen Menschen dann bereit zu sein, einen zentralen Teil ihres Lebens, den Wohnbereich mit dieser Gruppe zu teilen. Dieses Ergebnis kann als ein klares Plädoyer für die Ermöglichung und Förderung für die Aufnahme von Kontakten und Beziehungen zwischen Mehrheitsgesellschaft und Zugewanderten gewertet werden. "Nur" die Ermöglichung von Kontakten allerdings scheint als solche wenig praktikabel zu sein, da sie auf der theoretischen Ebene verbleibt. Deswegen schließe ich mich der Forderung von Böltken nach mehr Gleichberechtigung und Partizipationsmöglichkeiten für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte an. Gerade weil die Partizipation an politischen Entscheidungen auf lokaler Ebene in einer Demokratie die Gestaltung des engeren Lebensbereiches ermöglicht, muss dieses Recht - das kommunale Wahlrecht - auch längerfristig in Deutschland lebenden Deutschen ohne deutschen Pass ermöglicht werden.


Baris Ceyhan ist Studentin der Amerikanistik, Soziologie und Islamwissenschaften an der Universität Bonn.


Literatur

Alba, Richard, Peter Schmidt, Martina Wasmer (Hg.): Blickpunkt Gesellschaft 5. Deutsche und Ausländer: Freunde, Fremde oder Feinde? Empirische Befunde und theoretische Erklärungen. Wiesbaden 2000.

Blasius, Jörg/Jürgen Friedrichs/Jennifer Klöckner: Doppelt benachteiligt?

Leben in einem deutsch-türkischen Stadtteil. Wiesbaden 2009.

Böltken, Ferdinand: Angleichung und Ungleichheit. Einstellungen zur Integration von Ausländern im Wohngebiet in Ost- und Westdeutschland drei Jahre nach der Einheit, in: Informationen zur Raumentwicklung, 5/6. Bonn 1994. S. 335-362.

Friedrichs, Jürgen und Wolfgang Jagodzinski: Theorien sozialer Integration, in: Friedrichs, Jürgen und Wolfgang Jagodzinski (Hg.) Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie: Soziale Integration, Sonderheft 39/1999, Wiesbaden, S. 9-43.

Hamm, Bernd: Segregation, in: Bernhard Schäfers und Johannes Kopp (Hg.) Grundbegriffe der Soziologie, 9. Aufl., 2006, Wiesbaden, S. 251-253.

Münz, Rainer und Ralf Ulrich: Die ethnische und demographische Struktur von Ausländern und Zuwanderern in Deutschland, in: Richard Alba, Peter Schmidt, Martina Wasmer (Hg.): Blickpunkt Gesellschaft 5. Deutsche und Ausländer: Freunde, Fremde oder Feinde? Empirische Befunde und theoretische Erklärungen. Wiesbaden 2000, S. 12-54.

Peuckert, Rüdiger und Albert Scherr: Integration, in: Bernhard Schäfers und Johannes Kopp (Hg.) Grundbegriffe der Soziologie, 9. Aufl., 2006, Wiesbaden. S. 115-117.

Schäfers, Bernhard und Johannes Kopp (Hg.): Grundbegriffe der Soziologie, 9. Aufl. Wiesbaden 2006.


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 4/2009, Heft 172, Seite 38-43
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2009