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INNEN/1667: Wem gehören unsere Daten? Volkszählung 2011 (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 8 vom 25. Februar 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Wem gehören unsere Daten?
Volkszählung 2011

Von Hans-Peter Brenner


Es sind nur noch wenige Wochen bis zum Beginn der neuen Volkszählung. Ab dem 9. Mai 2011 startet der neue Zensus. Ab dann werden Interviewer an den Haustüren klingeln. Die Länder haben längst mit den Vorbereitungen begonnen und insgesamt zirka 80.000 Interviewer rekrutiert. Aufsehen erregte vor einigen Monaten die NPD, die ihren Mitgliedern empfohlen hatte sich als "Zähler" registrieren zu lassen.


Vorgeschichte und offizielle Ziele

Die letzte Volkszählung ist schon einige Jahre her. Im Jahr 1987 wurde in der Alt-BRD zum letzten Mal "gezählt"; in der DDR war es 1981. Damals wurden tatsächlich noch alle Haushalte befragt. Im Ergebnis stand fest, dass die Alt-BRD nicht 61,7 sondern nur 61,1 Millionen Einwohner hatte. Besonders krass war das Ergebnis im damaligen Westberlin: dort wurden 2,04 Millionen Einwohner gezählt, 160.000 mehr als angenommen, wobei es aber schon 1987 und erst recht in 2011 um etwas anderes ging und geht als nur um ein einfaches Abzählen der "Köpfe".

Die offiziellen Veranstalter, das Statistische Bundesamt und die Statistischen Ämter der Bundesländer benennen die Ziele der neuen Volkszählung so: "Der Zensus verfolgt zwei Ziele. Ganz wichtig ist die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahlen Deutschlands. Ob Länderfinanzausgleich, die Einteilung der Bundestagswahlkreise, die Stimmenverteilung der Bundesländer im Bundesrat oder die Sitze Deutschlands im Europaparlament - all das hängt von aktuellen Einwohnerzahlen ab. Auch eine ganze Reihe von Statistiken basieren darauf, so zum Beispiel die Berechnung des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf. Ein zweites wesentliches Ziel des Zensus ist es, Informationen zum Wohnraum, zur Bildung und zum Erwerbsleben zu gewinnen. Wie viele Erwerbstätige gibt es, wie viele Menschen davon sind selbstständig? Wo werden in den kommenden Jahren wie viele Kinder eingeschult? Wie viele Wohnungen gibt es in Deutschland und wie sind sie ausgestattet? Um diese Fragen zu beantworten, braucht man genaue und aktuelle Strukturdaten. Die Basis hierfür bildet ein Zensus, der - als eine Art Inventur - in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden muss".


Vom Aussterben bedroht?

Schon heute befürchten einige Beobachter, dass das seit langem geschürte Furchtthema "Sterben wir Deutschen aus?" durch das Ergebnis des Zensus massiven Auftrieb erhält. Allein "google" wirft auf dieses Stichwort bereits jetzt 3,5 Millionen Querverweise aus. Der "Fischer Weltalmanach 2011" gibt die Bevölkerungszahl der BRD mit 82,11 Millionen an. Am Ende könnte die Zahl der Einwohner der BRD bis zu 1,3 Millionen niedriger sein, als bisher offiziell angenommen wird.

Das ist Fritz Müller und Erika Meier wahrscheinlich im Prinzip egal. Doch die Feststellung dieser eigentlich ja einfach zu ermittelnden Zahl hat bedeutende Konsequenzen. Ein Minus von 1,3 Millionen Einwohnern könnte viele Bundesländer teuer zu stehen kommen. Nach der Einwohnerzahl berechnen sich nämlich auch die Zuschüsse aus dem sogenannten "Länderfinanzausgleich".

Anders als zu biblischen Zeiten, in denen sich ja auch schon auf kaiserlichen Befehl "alle Welt schätzen" lassen musste - darunter ein später bekannt gewordener Zimmermann und seine schwangere Frau aus Nazareth - geht es heute aber um weit mehr. Und damit fangen die Probleme an. Denn "gezählt" im wörtlichen Sinne wird überhaupt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Nur bei 10 Prozent der Haushalte werden direkt "Volkszähler" an der Tür klingeln. Die Volkszählung 2011 basiert in erster Linie auf der Zusammenführung der Datensammlungen der Meldeämter und der Bundesagentur für Arbeit. Diese Daten werden gespeichert, mit Hilfe von vereinheitlichten Ordnungsnummern verknüpft und mit Daten aus dem gleichzeitig neu erstellten Wohnungsregister zusammengeführt.

Zusätzlich müssen alle Eigentümer von Gebäuden und Wohnräumen detaillierte Angaben zu Eigentumsverhältnissen, Größe und Ausstattung der Wohnungen und zu den Mietern machen. Ein Widerspruch kann nicht eingelegt und die Auskunft darf nicht verweigert werden.


Einwände und Bedenken

Kritiker der Volkszählung, die mit der Homepage "zensus2011.de" eine ausführliche und detaillierte Gegeninformation betreiben, bleiben skeptisch und erklären: "Wir sind der Meinung, dass die geplante Datensammlung weit über eventuelle Notwendigkeiten einer Volkszählung hinausgeht und außerdem wichtige Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts z. B. zur informationellen Selbstbestimmung verletzt und deshalb verfassungswidrig ist." Und damit stehen sie nicht allein da.

Zwar gibt es nicht ein einheitliches gemeinsames Votum der staatlichen Datenschützer. Doch auch bei ihnen ist die Skepsis beachtlich hoch. Umstritten sind besonders die Frage nach der Religionszugehörigkeit, die Speicherung einer Kennzahl, mit der die Daten einzelnen Personen zugeordnet werden können sowie die Pflicht der Bürger zu antworten. Denn wenn sie das nicht tun, wird ein Bußgeld fällig.

Burkhard Hirsch, langjähriges "liberales" Aushängeschild der FDP und ehemaliger Bundestagsvizepräsident a. D,. erklärte: "Ein Zwang befördert die Gefahr, dass die Leute Phantasiedaten angeben". Viele Datenschützer verweisen zudem auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983, das ein Grundrecht auf "informationelle Selbstbestimmung" anerkannte. Dieses dürfe nur beschränkt werden, wenn das Allgemeininteresse überwiege und ausgeschlossen sei, dass Persönlichkeitsrechte verletzt werden.

Das könne mit den aktuellen Plänen schwer eingehalten werden, meinte sogar Hansjörg Geiger, Ex-Chefjurist der sogenannten "Stasi-Unterlagenbehörde." Vier Jahre Aufbewahrung der Kennziffern bärgen ein "extrem hohes Risiko für Datenmissbrauch", erklärte er. Er müsste es wissen, wenn man sieht, welch willkürlicher Umgang mit den sogenannten "Stasi-Daten" betrieben wird.

Die meisten bürgerlichen Kritiker kritisieren vor allem, dass Daten zu Herkunft, Beruf und Religion über eine Kennziffer verknüpft und einzelnen Personen zugeordnet werden könnten. Über die wirtschaftlichen Nutznießer und die ökonomischen Triebkräfte, die das Volkszählungsprojekt befeuern, sprechen sie kaum oder gar nicht.


Wie teuer wird der Zensus? Wann gibt es Ergebnisse?

Erste Resultate sollen Ende 2012 vorliegen. Insgesamt rechnet das Statistische Bundesamt mit 88 Millionen Datensätzen aus Melderegistern, acht Millionen aus der Haushaltsstichprobe und 17,5 Millionen von Gebäudeeigentümern. Das alles muss ausgewertet werden. Die Länder zahlen davon 625 Millionen, bekommen vom Bund aber 250 Millionen Zuschuss. Der Bund selbst zahlt weitere 85 Millionen Euro.

Jenseits aller konkreten Detailkritiken ist der entscheidende Punkt nicht allein die nicht ausreichend garantierte Anonymisierung der Daten sondern die von allen möglichen interessierten Unternehmen und anderen Institutionen (z. B. Verband der Hauseigentümer, Immobilienmakler, Werbewirtschaft, Marktforschungsunternehmen, Versicherungsund auch Industriekonzerne) erhoffte ökonomische Ausnutzung und Verwertung der Daten für ganz eigennützige Zwecke. Volkszählung und Kapitalinteressen - das ist das eigentliche Problem.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, Nr. 8 vom 25. Februar 2011, Seite 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2011