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MILITÄR/832: Die Atomwaffenkonvention (IPPNWforum)


IPPNWforum | 117|18 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Die Atomwaffenkonvention
Der Weg von der Vision zur Realität

Von John Loretz, Jürgen Scheffran, Alyn Ware, Tim Wright, John Burroughs, John Hallam, Elizabeth Shafer, Ruth Mitchell


Der Atomwaffensperrvertrag (Non-Proliferation Treaty NPT) ist an einen Wendepunkt gelangt: Entweder muss die in Artikel VI festgelegte Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung erfüllt werden, oder der Vertrag steht als Ganzes auf dem Spiel. Dass eine Verpflichtung zu abschließenden Verhandlungen über die atomare Abrüstung besteht, hat der Internationale Gerichtshof 1996 bestätigt. Und auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat wiederholt zur Erfüllung dieser Pflicht aufgerufen - nun hat Ban Ki Moon den Entwurf für eine Atomwaffenkonvention (Nuclear Weapons Convention NWC) als Ausgangspunkt für Verhandlungen vorgeschlagen.


Einen Antrag auf Beratungen über eine Atomwaffenkonvention stellten Malaysia und Costa Rica bereits im Jahr 2000 während der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag. Fünf Jahre später war daraus ein Arbeitspapier entstanden, in dem einige Punkte für die Durchsetzung und Aufrechterhaltung einer atomwaffenfreien Ordnung ausgearbeitet waren. Diese Punkte wurden mit einem 13-Stufen Aktionsplan, den die Mitgliedstaaten 2000 vereinbart hatten, verknüpft. 2007 reichten Malaysia und Costa Rica den Entwurf der Konvention beim ersten NPT Vorbereitungstreffen ein, als Rahmen für eine vollständige Abschaffung der Atomwaffen.

Trotz überwältigender Unterstützung nicht nur von der Zivilgesellschaft, haben einige Regierungen diesen Entwurf ignoriert oder sich ihm widersetzt. Dieses Zögern wird mit Argumenten begründet, denen im Folgenden entgegengetreten werden soll.


"Ein umfassendes Abkommen zur Abschaffung von Atomwaffen ist vorschnell."

Wer Verhandlungen über die Konvention für verfrüht hält, argumentiert meist damit, dass der Atomwaffensperrvertrag erst einmal allgemein gültig sein muss, bevor etwas noch umfangreicheres vorgeschlagen werden kann. Diese Forderung ist illusorisch, da viele Länder den Vertrag nicht unterschreiben wollen. Die Atommächte Indien, Pakistan, Israel und als Sonderfall Nordkorea lehnen eine Unterschrift ab, weil sie für sich andere Bedingungen als ein Land ohne Atomwaffen aufgenommen wissen wollen. Aus ihrer Perspektive ist der Atomwaffensperrvertrag ein diskriminierender Vertrag, der die fünf Staaten begünstigt, die schon vor 1970 Atomwaffen getestet haben. Dass diese Länder überzeugt werden könnten, dem Atomwaffensperrvertrag ohne weitere Bedingungen beizutreten (oder wieder einzutreten), ist eindeutig unrealistisch. Die Atomwaffenkonvention ist ein neuer, fairer Ansatz. Verhandlungen über die Konvention öffnen diesen Ländern also die Tür und sind durchaus aussichtsreich.


"Verhandlungen über eine Atomwaffenkonvention haben nur Wert, wenn von Anfang an alle Atommächte teilnehmen."

Es versteht sich von selbst, dass es ohne die Teilnahme aller zu keinem Abschluss der Verhandlungen und damit zu keiner Umsetzung der Konvention kommen kann. Es ist auch klar, dass einige Atommächte zögern werden, an den Verhandlungen mitzuwirken. In manchen Fällen, wie Israel, wird eine vorsichtige und längerfristige Diplomatie nötig sein. Man kann allerdings auch ohne die Unterstützung aller Atommächte mit Verhandlungen beginnen - z.B. unter der Voraussetzung, dass sie erst bei Ratifizierung durch alle Atommächte in Kraft tritt.

Bei Vorbereitungstreffen könnten Schlüssel-Atommächte in den Dialog treten - ganz unabhängig davon, ob sie an den Verhandlungen teilnehmen wollen oder nicht. Sobald die größten Atommächte zu einer Beteiligung bereit sind, könnten die eigentlichen Verhandlungen beginnen; ist dies nicht der Fall, könnten die Vorbereitungstreffen für eine gewisse Zeit fortgesetzt werden, während der politische Wille und das Vertrauen zwischen den Schlüssel-Atommächten weiter aufgebaut wird.

Prominente Entscheidungsträger, Politiker und Diplomaten von allen Seiten des politischen Spektrums in den USA und Großbritannien befürworten die Abrüstung und unterstreichen, dass jede politische Entscheidung über Waffenkontrolle und Abrüstung das Ziel einer totalen Abschaffung von Atomwaffen im Auge haben muss. US-Präsident Barack Obama hat die Vision einer atomwaffenfreien Welt zu einer Priorität seiner Amtsperiode gemacht. Er wiederholte dieses Vorhaben in einer gemeinsamen Erklärung mit dem russischen Präsidenten Medvedev am 1. April. Die politische Durchschlagskraft für einen umfassenden Ansatz zur nuklearen Abrüstung scheint also da zu sein - mit einem Vorbereitungsprozess zu Verhandlungen gewänne sie weiter an Stoßkraft.


"Ein Umschwenken der Aufmerksamkeit auf die Konvention schwächt den Atomwaffensperrvertrag."

Die Atomwaffenkonvention baut auf dem Atomwaffensperrvertrag auf. Sie bietet zusätzliche Maßnahmen für die Durchsetzung und Bewahrung einer atomwaffenfreien Welt. Artikel VI des Atomwaffensperrvertrags verbietet zum einen den Gebrauch, die Androhung des Gebrauchs und die Beschaffung von Kernwaffen; zum anderen verlangt er Verhandlungen über die stufenweise Reduktion und Elimination von Beständen; schließlich fordert er den Aufbau von Mechanismen, mit denen die Einhaltung überprüft werden kann. Die Überprüfungsmaßnahmen des Konventionsentwurfs erfüllen also die Forderungen des Atomwaffensperrvertrags und verbinden sie mit den Maßnahmen der UN Resolution 1540 des Sicherheitsrates, der Internationalen Konvention zur Unterdrückung von nuklearem Terrorismus und des Atomwaffenteststop-Vertrag.

Das Ziel der Verhandlungen um eine Atomwaffenkonvention ist also nicht, eine Alternative zum Atomwaffensperrvertrag zu schaffen. Vielmehr soll die Konvention ein zusätzliches Instrument werden, mit dem der Atomwaffensperrvertrag und andere Nichtverbreitungs- und Abrüstungsmaßnahmen weitergeführt werden. Eine Konzentration der politischen Aufmerksamkeit auf einen neuen Prozess befreit die Atommächte nicht von dem Druck, Artikel VI des NPT zu erfüllen. Im Gegenteil: Durch Verhandlungen um eine Atomwaffenkonvention wird das politische Augenmerk voll und ganz auf die Voraussetzungen für eine Implementierung der Verpflichtung aus Artikel VI gelegt werden.

Die oben genannten Verträge, zusammen mit denen, die eine bilaterale Abrüstung von USA und Russland fordern, haben den NPT ergänzt und uns seinem Ziel nähergebracht. Die Atomwaffenkonvention wäre der Schlussstein für eine Ordnung der atomaren Nicht-Verbreitung und Abrüstung, für die der Atomwaffensperrvertrag der erste Grundpfeiler und jeder folgende Vertrag weiterer Mörtel war.


"Nur mit einem Einzelschritt-Ansatz lassen sich praktische Ergebnisse erreichen."

Die Einführung von Rahmenbedingungen bedeutet nicht, dass man nicht Schritt für Schritt vorangehen kann - dies ist zweifellos notwendig, um das für eine vollständige Abschaffung nötige Vertrauen zu bilden. Kurzfristige Schritte wie der Umfassende Teststoppvertrag (CTBT) oder das Produktionsverbot für spaltbares Material, die - einzeln betrachtet - einigen Staaten offensichtliche Nachteile bringen können, sind in einem Kontext der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen aber viel "schmackhafter".

Einzelne Schritte zu besprechen geht Hand in Hand mit Verhandlungen über das rechtliche Gesamtgerüst der Konvention, das die Mängel dieser Schritte ausgleicht. Verhandlungen über die Atomwaffenkonvention können ein solcher Schirm für Besprechungen über einzelne Schritte sein. Dabei können relevante Punkte und Interessen in verschiedenen Verhandlungsforen angesprochen werden und NGOs können den Verhandlungsprozess unterstützen, indem sie ihn durch Diskussionen über beste Konzepte und Vorschläge anregen.

Mit der Vision eines globalen Vertrages und dem entsprechenden Einsatz können Hindernisse überwunden und das Ziel erreicht werden. Der Entwurf der Atomwaffenkonvention beinhaltet diese Vision und erlaubt konkrete einzelne Schritte auf dem Weg dorthin. Natürlich muss dieser Ansatz auf den Erfolgen des Atomwaffensperrvertrags aufbauen und einen Weg zur Lösung der Probleme bieten, die eine volle Implementierung des Vertrags verhindert haben.

Eine Annahme des Entwurfs der Atomwaffenkonvention könnte den guten Willen und das Engagement demonstrieren, der Verpflichtung zu einer vollständigen nuklearen Abrüstung nachzukommen, wie sie in der ersten Resolution der Vereinten Nationen festgelegt ist und im Atomwaffensperrvertrag selbst Ausdruck findet.


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Quelle:
IPPNWforum | 117|18 | 09, S. 18-19
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2009