Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

MILITÄR/873: Abrüstung - Atomtestverbot rückt näher, Interview mit CTBTO-Exekutivsekretär Tóth (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. November 2010

Abrüstung: Atomtestverbot rückt näher - Interview mit CTBTO-Exekutivsekretär Tóth

Von Ramesh Jaura


Berlin/Wien, 9. November (IPS/IDN*) - Bald 190 Länder der Welt haben ihr Interesse an der Umsetzung des umfassenden Atomteststoppabkommens (CTBT) bekräftigt. Das von 1996 von der UN-Vollversammlung angenommene Vertragswerk verbietet Versuchsexplosionen von Kernwaffen zu militärischen und zivilen Zwecken.

Auch wenn das CTBT noch nicht in Kraft getreten ist, wurde es doch schon von 153 Staaten ratifiziert. Außerdem liegt mit 182 Unterzeichnerstaaten eine nahezu universelle Mitgliedschaft vor. Nun müsse das Abkommen in einem weiteren und logischen Schritt in Kraft gesetzt werden, so der ungarische UN-Botschafter und Exekutivsekretär der Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO), Tibor Tóth in einem Interview mit IDN-InDepthNews, dem Partner von IPS-Deutschland.

Zu den Ländern, die das CTBT noch ratifizieren müssen, gehören die USA. Tóth zufolge ist es von größter Bedeutung, dass all diejenigen 44 Länder, deren Ratifizierung für ein Inkrafttreten der Konvention erforderlich ist, ihre Führungsqualitäten unter Beweis stellen. So sollten sie sich nicht auf die Position zurückziehen, auf die Ratifizierung durch die USA warten zu wollen.

Von der Weltöffentlichkeit beinahe unbemerkt haben Tóth und sein Team seit der Gründung der CTBTO 1997 in Wien dem Abkommen universelle Unterstützung verschafft und ein verlässliches Verifizierungssystem aufgebaut. "Das Verifizierungssystem hat sich bewährt", sagte Tóth im Interview. Als Nordkorea im Oktober 2006 einen atomaren Sprengsatz zündete, erhielten die CTBT-Mitgliedstaaten bereits zwei Stunden später genaue Informationen über Stärke, Intensität, Ort und Zeit der Explosion. Es folgen Auszüge aus dem Gespräch.


*


Frage: Was sind die Highlights der CTBTO-Vorbereitungskommission seit der Aufnahme ihrer Arbeit 1996? Überwiegen die Erfolge oder die Niederlagen?


Universelle Mitgliedschaft

Tibor Tóth: Bis heute liegen 153 CTBT-Ratifizierungen und eine fast universelle Mitgliedschaft durch die 182 Unterzeichnerstaaten vor. Vor zehn Jahren hatten 51 von 155 Staaten das CTBT unterzeichnet, und Kontrollstationen waren damals unbekannt.

Heute gibt es ein Netzwerk von fast 250 Stationen, die überall auf der Welt die Signale einer atomaren Sprengung feststellen können. Es ist bemerkenswert, dass diese Entwicklungen in einer Zeit stattgefunden haben, in der das CTBT-Abkommen einem feindlichen politischen Klima ausgesetzt war. Staaten stimmten mit ihren Füßen ab und haben das Abkommen in den Stand einer universellen Norm erhoben.

Die politische Landschaft hat sich tiefgehend verändert. Eine Vielzahl entscheidender und hochrangiger Events hat gezeigt, dass Multilateralismus keineswegs ein Relikt der Vergangenheit ist, sondern dass die Unterstützung für das CTBT verbreitet ist und zunimmt. Die Konferenz zur Förderung des Inkrafttretens des CTBT im vergangenen Jahr genoss aufgrund der Teilnahme von Vertretern aus 103 Ländern eine ungewöhnlich hohe Aufmerksamkeit.

Die Konferenz nahm einvernehmlich die aussagekräftige Abschlusserklärung an, die die überfälligen Staaten dazu aufrief, das CTBT zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Unterzeichnerstaaten wie die USA, China, Ägypten, Indonesien, Iran and Israel schlossen sich dem Aufruf der ratifizierenden Staaten an. Ebenfalls im letzten Jahr auf der UN-Vollversammlung stellte sich eine überwiegende Mehrheit der Länder hinter das Abkommen und stimmte für die CTBT-Resolution. Außerdem fand ein Statement auf dem fünften Ministertreffen für das Inkrafttreten des CTBT die Zustimmung von Ministern aus mehr als 70 Ländern.


Bewährtes Kontrollsystem

Die Vorbereitungskommission für die CTBTO hat ein Verifizierungssystem aufgebaut, das zu 80 Prozent fertig gestellt ist und sich bereits bewährt hat. Als Nordkorea bedauerlicherweise im Oktober 2006 einen atomaren Sprengsatz zündete, lagen den CTBT-Mitgliedstaaten bereits zwei Stunden später genaue Informationen über Größe, Ort, Intensität und Zeit der Explosion vor. 24 Stationen ermittelten den Atomtest. Als im Mai 2009 eine ähnliche und nur geringfügig stärkere Explosion gezündet wurde, schlugen sogar 61 Stationen an.

CTBTO-Daten sind zudem geeignet, Folgen von Katastrophen abzumildern und einen zivilen und wissenschaftlichen Nutzen zu bringen. So hat die CTBTO seit 2005 Datenmaterial direkt an regionale und nationale Tsunami-Warnsystemzentren im Pazifischen und Atlantischen Ozean weitergegeben. Die Informationen tragen dazu bei, dass die Zentren Tsunamis generierende Beben rechtzeitig erkennen und die bedrohten Gemeinden rechtzeitig gewarnt werden und sich aus der Gefahrenzone retten können. Das ist nur ein Beispiel für die vielen Anwendungsmöglichkeiten der wissenschaftlichen Forschung im Alltag.

Frage: Ist Ihre Aufgabe seit der der berühmten Rede von US-Präsident Barack Obama in Prag im April 2009 leichter geworden? Oder war die Rede nur ein Tropfen im Meer der vielen Gegner der atomaren Abrüstung oder der Abschaffung von Atomwaffen?

Tóth: Die Unterstützung der Obama-Administration für das CTBT, nicht nur in der Prager Rede sondern auch auf anderen Foren, hat sicherlich den Bemühungen für eine Anwendung des Abkommens Auftrieb gegeben. Die Bedeutung der Ratifizierung durch die USA als eines der letzten verbliebenen neun der 44 atomwaffenfähigen Staaten (der sogenannten Annex-2-Staaten), die das Abkommen noch ratifizieren müssen, kann nicht hoch genug bewertet werden.


Führungsqualitäten gefragt

In diesem Zusammenhang kann ich nicht oft genug betonen, dass es absolut wichtig ist, dass alle diese 44 Länder, deren Ratifizierungen für das Inkrafttreten des Abkommens erforderlich sind, Führungsqualitäten beweisen und sich nicht mit der Entschuldigung aus der Affäre ziehen, dass sie auf die Ratifizierung durch die USA warten wollen.

Frage: Wie würden Sie die derzeitige Situation im Hinblick auf die Anstrengungen bewerten, in absehbarer Zeit eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen?

Tóth: Für die atomare Abrüstung und die Abschaffung aller Atomwaffen besteht Hoffnung. Im Mai 2010 hat die Revisionskonferenz für den Atomwaffensperrvertrag (NPT) den Fehlschlag von 2005 überwunden, indem sie neuen Wind in den multilateralen Abrüstungsprozess brachte. Die fast 190 Mitgliedstaaten wiederholten in ihrem Abschlussdokument die Bedeutung, die dem Inkrafttreten des CTBT als Herzstück der nuklearen Abrüstung und der Nichtverbreitung zukam.

Als eine Barriere gegen Atomtests können auch die Verbesserung und Weiterentwicklung von Atomwaffen durch die Atomstaaten durch das einmal in Kraft gesetzte Abkommen aufgehalten werden. Es wäre somit ein Meilenstein in dem Bemühen, die Welt von Atomwaffen zu befreien.

Frage: Birgt die NPT-Revisionskonferenz neue Möglichkeiten für das CTBT?

Tóth: Die Tatsache, dass die jüngste NPT-Revisionskonferenz ein Abschlussdokument angenommen hat, das erstmals das Inkrafttreten des CTBT als Schlüssel in den Bemühungen um nukleare Abrüstung und Nicht-Verbreitung bescheinigt, zeigt die große Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für die Umsetzung des Abkommens.

Ein in Kraft gesetztes CTBT würde sich auch als Vertrauen und Sicherheit bildende Maßnahme etwa in Regionen wie Nahost und Asien erweisen. Dadurch wäre ein Tool geschaffen, um Forschritte in relativ kurzer Zeit zu erreichen, zumal das Abkommen bereits besteht und nahezu universelle Unterstützung genießt. Was wir brauchen, sind nennenswerte Fortschritte für ein Inkrafttreten des CTBT als einen ersten und wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt.


Gefahr durch Atomprogramme

Frage: Mehr als 30 Staaten, die derzeit keinen Atomstrom nutzen, denken über Atomprogramme nach. Dabei handelt es sich sowohl um Industrie- als auch um Entwicklungsländer. Inwieweit würde eine solche Option Ihren Einsatz für das CTBT beeinträchtigen?

Tóth: Es lässt sich nicht verhehlen, dass ein neu erwachtes Interesse an Atomenergie aufgrund der inhärenten dualen Nutzung der Kernkrafttechnologie Anlass zur Sorge über eine mögliche Weiterverbreitung (von Atomwaffen) gibt. Unter solchen Voraussetzungen ist die Dringlichkeit, das CTBT in Kraft zu setzen, noch höher. Das CTBT, ist es erst einmal in Kraft, wird nicht nur ein starkes und nachprüfbares Hindernis für die Atomwaffenfähigkeit, sondern auch ein wichtiges Instrument sein, das Vertrauen in die Beweggründe einzelner Länder setzt. (Ende/IPS/kb/2010)


Links:
http://www.ctbto.org
http://www.indepthnews.net/news/news.php?key1=2010-11-08%2015:04:19&key2=1


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. November 2010
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2010