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MILITÄR/943: Deutschlands Beitrag zur Bombe (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 5. Juli 2017
german-foreign-policy.com

Deutschlands Beitrag zur Bombe


BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) - Die Modernisierung der inzwischen in neun Staaten vorhandenen Kernwaffen, die über die "nukleare Teilhabe" auch Deutschland betrifft, schreitet laut einer aktuellen Analyse des Forschungsinstituts SIPRI rasch voran. Zwar habe die Gesamtzahl der atomaren Sprengköpfe zuletzt leicht abgenommen, teilt SIPRI mit; doch seien etwa die neuen US-Bomben ("B61-12") erheblich zielgenauer als die bisherigen Modelle. Experten warnen, dies könne die Hemmschwelle für mögliche Einsätze senken. Die B61-12 dürften auch auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel stationiert werden. Die "nukleare Teilhabe" der Bundesrepublik löst unterdessen Diskussionen in der Rüstungsindustrie aus: Airbus hat mit der Konzeption eines Nachfolgemodells für den Tornado begonnen, der aktuell für die B61 zertifiziert ist; soll der Kampfjet der nächsten Generation ebenso für die US-Bombe zertifiziert werden, müssten den USA sämtliche Baudetails preisgegeben werden, was im Berliner Establishment auf Unmut stößt. Aktuellen Berichten zufolge hat die Atomfirma URENCO mit Sitz unter anderem in Gronau (Nordrhein-Westfalen) die Lieferung von angereichertem Uran in ein US-Kraftwerk vereinbart, in dem Tritium für US-Kernwaffen hergestellt wird.

Effizienz statt Masse

Die zur Zeit neun Nuklearmächte bereiten sich mit der Modernisierung ihrer Kernwaffenbestände auf künftige Konflikte vor. Dies hat das Stockholmer Forschungsinstitut SIPRI in einer am Montag publizierten Analyse bestätigt. Demnach ist zwar die Zahl der Atomsprengköpfe weltweit, die in den 1980er Jahren noch bei fast 70.000 gelegen hatte, zuletzt von 15.395 Anfang 2016 auf 14.935 Anfang 2017 zurückgegangen - vor allem wegen der Umsetzung des neuen START-Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und Russland. Doch dürfe das nicht darüber hinwegtäuschen, warnt SIPRI, dass gleichzeitig Milliardensummen investiert würden, um modernere Nuklearwaffen zu entwickeln und zu produzieren. Die USA etwa hätten für die Jahre von 2017 bis 2026 rund 400 Milliarden US-Dollar für ihre Atomprogramme veranschlagt. Schätzungen gingen davon aus, dass im Verlauf der nächsten drei Jahrzehnte bis zu einer Billion US-Dollar dafür ausgegeben würden. Zudem dürfe die Gesamtzahl der Atomsprengköpfe ohnehin nicht überbewertet werden. SIPRI zufolge werden gegenwärtig weltweit lediglich 4.150 Stück einsatzbereit gehalten [1], während die übrigen nur als Reserve eingelagert sind; einen Teil davon halten die zwei großen Atommächte für durchaus verzichtbar.[2]

Die Hemmschwelle sinkt

Im Rahmen des umfassenden US-Modernisierungsprogramms ist für Deutschland vor allem die Weiterentwicklung der Atombomben B61 von Bedeutung. Die B61 existieren bislang in mehreren Varianten, die teilweise für Langstreckenbomber, teilweise für Kampfjets mit kürzerer Reichweite geeignet sind. Washington hat beschlossen, eine faktisch neue Bombe zu entwickeln, die mit sämtlichen Flugzeugen zum Ziel transportiert werden kann; das Modell, das inzwischen die ersten Tests durchlaufen hat [3], wird unter der Bezeichnung B61-12 geführt. Die neue Bombe soll nicht nur an den modernsten Stand der Technik angepasst werden, sondern deutlich präziser treffen können; bei der Federation of American Scientists ist von einem Fehlerradius von 30 Metern statt, wie bei den bisherigen B61-Varianten, von gut 100 Metern die Rede. Zudem heißt es, die B61-12 habe einen geringeren radioaktiven Niederschlag; das mache sie "nutzbarer".[4] In der Tat könnte die Illusion, bei deutlich geringerem Fallout präzise treffen zu können, die Hemmschwelle zum Einsatz der B61-12 senken.

B61-12 in der Eifel

Ersetzt die B61-12 die bisherigen B61-Modelle, dann wäre davon auszugehen, dass dies auch für die 20 auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel gelagerten B61-Bomben gilt. Diese werden dort im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe bewahrt und können von deutschen PA-200 Tornados eingesetzt werden. Experten bestätigen, dass die B61-12 mit den Tornados kompatibel sind. Laut jüngsten Angaben sollen sie ab dem Jahr 2019 oder 2020 hergestellt werden und dann schrittweise die alten B61-Bestände ersetzen - auch die Bestände in Büchel.

Der Kampfjet der Zukunft

Unklar ist, welche Folgen die fortgesetzte nukleare Teilhabe für die Zukunftspläne der deutschen Luftwaffe haben wird. Die Tornado-Flotte ist inzwischen deutlich geschrumpft; von den 357 Stück, die von 1981 bis 1992 ausgeliefert wurden, werden Berichten zufolge nur noch 83 genutzt. Airbus hat begonnen, ein Nachfolgemodell zu konzipieren; es soll den modernen Kriegsszenarien entsprechen und zum Beispiel in der Lage sein, satellitengesteuert begleitet von Drohnen oder Drohnenschwärmen Einsätze zu fliegen. Womöglich könne es nicht nur den Tornado, sondern auch den Eurofighter ersetzen, heißt es. Probleme gebe es jedoch bei der atomaren Bewaffnung: Wolle man den künftigen Airbus-Kampfjet auch für die B61-12 zertifizieren lassen, um der nuklearen Teilhabe Rechnung zu tragen, "dann müssten den USA alle Flugzeuggeheimnisse preisgegeben werden".[5] Dies wäre aus der Sicht von Strategen, die eine eigenständige deutsche Weltmachtrolle anstreben, ein Rückschritt sogar gegenüber dem Eurofighter, der nicht für US-Bomben zertifiziert ist. Eine Lösung ist gegenwärtig noch nicht in Sicht.

Großkunde USA

Die Umrüstung der US-Nuklearstreitkräfte auf Bomben mit einer möglicherweise niedrigeren Einsatzhemmschwelle könnte auch die deutsche Atomindustrie betreffen - genauer: die deutsch-niederländisch-britische Firma URENCO und deren deutschen Ableger, die Urananreicherungsanlage Gronau. Deren größter Kunde sind die Vereinigten Staaten, die im Jahr 2016 für den Betrieb von Atomreaktoren rund 440 Tonnen angereichertes Uran in Gronau gekauft haben.[6] Das Geschäft mit den USA gilt als zukunftsträchtig, da das Land seit 2013 über keine eigene Anreicherungsanlage mehr verfügt - wegen mangelnder Rentabilität. Zwar mehren sich die Stimmen im US-Establishment, die dringend Pläne für den notfalls staatlichen Bau einer solchen Anlage fordern, weil US-Gesetze den Rückgriff auf ausländische Produkte in zentralen Bereichen der Rüstungsherstellung im Prinzip nicht zulassen. Doch ist noch nichts entschieden.[7] Nicht zuletzt deshalb hat der staatliche Kraftwerksbetreiber Tennessee Valley Authority (TVA) im Mai dem US-Ableger von URENCO einen Auftrag zur Belieferung zweier weiterer Kernkraftwerke erteilt - der TVA-Kraftwerke Watts Bar und Sequoyah. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf 500 Millionen US-Dollar.[8]

"Liefervorgänge"

Der Deal ist deswegen brisant, weil im Kraftwerk Watts Bar als Nebenprodukt Tritium hergestellt wird, das für die US-Atomwaffenbestände unverzichtbar ist: Tritium verstärkt die Wirkung der Sprengkörper, muss allerdings kontinuierlich ersetzt werden, weil es eine Halbwertszeit von nur zwölf Jahren hat. Laut Berichten hat der deutsche URENCO-Ableger Gronau schon vor geraumer Zeit Watts Bar indirekt beliefert.[9] Die nun in Aussicht stehende direkte Belieferung wäre allerdings ein unmittelbarer Bruch der URENCO-Bestimmungen, die jede Nutzung von URENCO-Produkten zu militärischen Zwecken untersagen. US-Experten haben erst kürzlich darauf hingewiesen, dass manche Länder sich mit Verweis auf die militärische Nutzung des in Watts Bar hergestellten Tritiums tatsächlich weigern, TVA angereichertes Uran zu liefern.[10] URENCO teilt diese Einwände nicht. Im URENCO-Aufsichtsgremium, dem "Gemeinsamen Ausschuss", ist die Bundesregierung vertreten. Über die Belieferung von Watts Bar mit von URENCO angereichertem Uran hat erst kürzlich das Bundeswirtschaftsministerium geäußert, es handle sich dabei um einen "Liefervorgang innerhalb der USA", der "der Bundesregierung nicht bekannt" sei.[11] Der "Liefervorgang" betrifft potenziell nicht nur die US-Kernwaffenproduktion allgemein, sondern speziell auch die Herstellung der B61-12 - der Atombombe mit geringerer Einsatzhemmschwelle.


Mehr zum Thema: Die Nukleardebatte der NATO, Der Schock als Chance und Griff nach der Bombe.


Anmerkungen:

[1] Russland hält laut SIPRI 1.950 Atomsprengköpfe einsatzbereit, die USA 1.800, Frankreich 280, Großbritannien 120.

[2] Trends in World Nuclear Forces, 2017. SIPRI Fact Sheet July 2017.

[3] Tom O'Connor: The U.S. Is Building a Nuclear Bomb That's More Accurate Than Ever. www.newsweek.com 18.04.2017.

[4] America's New Guided Standoff Nuclear Bomb. FAS, 30.05.2013.

[5] Gerhard Hegmann: Neuer Kampfjet bringt Deutschland die Atombomben-Frage. www.welt.de 12.06.2017.

[6] Jürgen Döschner: Deutsches Uran für US-Atomwaffen? www.tagesschau.de 11.05.2017.

[7] John R. Harvey, Franklin C. Miller: The looming crisis for US tritium production. www.defensenews.com 06.03.2017.

[8] Jürgen Döschner: Das heikle Geschäft mit dem URENCO-Uran. www.tagesschau.de 14.06.2017.

[9] Jürgen Döschner: Deutsches Uran für US-Atomwaffen? www.tagesschau.de 11.05.2017.

[10] John R. Harvey, Franklin C. Miller: The looming crisis for US tritium production. www.defensenews.com 06.03.2017.

[11] Jürgen Döschner: Das heikle Geschäft mit dem URENCO-Uran. www.tagesschau.de 14.06.2017.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2017

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